124
Die Einbeziehung ist auf Antrag eines Handelsteilnehmers oder bei entsprechendem Marktbedürfnis von Amts wegen durch die Börsengeschäftsführung möglich (Verwaltungsakt)[46]. Der Emittent ist hierüber zu unterrichten (§ 33 Abs. 3 BörsG). Bei einer Einbeziehung müssen die Zulassungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 3 BörsG nicht erfüllt sein, insbesondere ist kein Prospekt iS der ProspektVO bzw des WpPG erforderlich[47]. Näheres ist in der Börsenzulassungsverordnung (BörsZulV)geregelt.
b) Prime Standard und General Standard
125
Für Papiere, die zum regulierten Markt zugelassen sind, hat die Frankfurter Wertpapierbörse[48] die Börsensegmente (Qualitätssegmente, § 42 Abs. 1 BörsG)[49] Prime Standard und General Standard geschaffen[50]. Dies stellt keine börsenrechtliche Unterteilung dar, sondern es werden unter Beibehaltung der vom BörsG vorgegebenen Marktsegmente Teilbereiche des regulierten Markts für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Emittenten geschaffen.
126
Der General Standardist insbesondere für solche Unternehmen geeignet, die lediglich nationale Investoren ansprechen und die mit dem Listing verbundenen Kosten möglichst gering halten wollen. Die Zulassung eines Papiers zum General Standard erfolgt automatisch mit der Zulassung zum regulierten Markt. Die im General Standard geführten Unternehmen müssen vier Transparenzanforderungen erfüllen. Sie haben zum ersten und dritten Quartal Halbjahresfinanzberichte (§ 115 WpHG) zu erstellen[51], die internationalen Rechnungslegungsstandards zu erfüllen (in der Regel IFRS oder US-GAAP[52]), einen sog. Unternehmenskalender über die wesentlichen Termine (Hauptversammlung, Bilanzpressekonferenz, Analystenveranstaltungen usw) sowie Ad-hoc-Mitteilungen zu veröffentlichen.
127
Durch die Zulassung zum Prime Standard[53] sollen Unternehmen v.a. internationale Investoren ansprechen können. Diese Zulassung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme in die AktienindizesDAX[54], M-DAX[55], Tec-DAX[56] und S-DAX[57]. Diese Indizes stellen also keine eigenständigen Marktsegmente dar. Über die Einbeziehung in die Indizes entscheidet die Deutsche Börse AG[58]. Es besteht keine besondere vertragliche Beziehung zwischen dieser und den einbezogenen Emittenten[59].
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Für den Prime Standard müssen die Gesellschaften hohe internationale Transparenzanforderungenerfüllen, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen im General Standard des regulierten Markts hinausgehen (vgl §§ 48 ff BörsO Ffm, Stand: 28. Juni 2021). Die Zulassungsfolgepflichten im Prime Standard müssen neben denen des General Standard erfüllt werden. Zusätzliche Anforderungen sind die Veröffentlichung von Quartalsmitteilungen (§ 53 BörsO Ffm, Stand: 28. Juni 2021), die Veröffentlichung des Unternehmenskalenders sowie die Ad-hoc-Mitteilungspflicht auch in englischer Sprache sowie die Durchführung mindestens einer Analystenveranstaltung pro Jahr. Zudem müssen der Unternehmenskalender sowie die Finanzberichte der Börsengeschäftsführung in elektronischer Form übermittelt werden.
2. Multilaterale Handelssysteme (MTF)
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Multilaterale Handelssysteme (Multilateral Trading Facility, MTF) sind in Konkurrenz zu den Börsen entstanden[60].
⇒ Definition:
Multilaterale Handelssystemesind börsenähnliche Handelssysteme, die von einem Finanzdienstleister, einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder einem Betreiber eines geregelten (organisierten) Markts[61] auf privatrechtlicher Ebene betrieben werden (§ 2 Abs. 6 BörsG, § 2 Abs. 8 Satz 1 Nr. 8 WpHG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 MAR)[62].
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Die Pflichten für die Betreiber eines multilateralen Handelssystems ergeben sich aus den §§ 72–74 WpHG sowie aus der VO 600/2014 (MiFIR), welche durch die DelVO 2017/567 ergänzt wird. Ziel ist es, wie bei einer Börse die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten in einer Weise zusammenzuführen, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt[63]. Systeme, die lediglich den Kontakt der Parteien ermöglichen, sind keine MTF[64]. Das erste in Deutschland betriebene MTF war die Handelsplattform Tradegate, die inzwischen als Börse zugelassen ist.
131
Der Betrieb eines MTF ist eine Wertpapierdienstleistung(§ 2 Abs. 8 Nr. 8 WpHG)[65]. Das bedeutet umgekehrt, dass nur Wertpapierdienstleistungsunternehmen das Betreiben eines MTF möglich ist. Da der Betrieb eines multilateralen Handelssystems auch eine FinanzdienstleistungiS des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1b KWG ist, bedarf dieser einer schriftlichen Erlaubnis der BaFin(§ 32 Abs. 1 Satz 1 KWG)[66]. Die Aufsichtnimmt die BaFin wahr. Der Freiverkehr[67] unterliegt allerdings ausdrücklich nach wie vor der Aufsicht durch die zuständige Börsenaufsichtsbehörde (§ 48 Abs. 2, 3 iVm § 3 Abs. 1 BörsG).
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Da die MTF eine börsenähnliche (in der Regel elektronische) Handelsplattform ist, gelten weitgehend übereinstimmende Anforderungen. So ist auch hier eine Zulassung der Handelsteilnehmer erforderlich. Der Betreiber hat Regelungen für den Zugangvon Handelsteilnehmern festzulegen (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 WpHG)[68]. Dabei müssen mindestens die Vorgaben bzgl der Zulassung von Unternehmen zur Teilnahme am Börsenhandel (§ 19 Abs. 2, Abs. 4 BörsG) analog eingehalten werden (§ 74 Abs. 1 WpHG). Anders als bei den Börsen besteht kein Zulassungszwang[69]. Vorzusehen sind außerdem auch hier Bestimmungen für die Einbeziehung von Finanzinstrumenten, die ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Preisermittlung, die Verwendung von einbezogenen Referenzpreisen und die vertragsgemäße Abwicklung der abgeschlossenen Geschäfte (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Die Regelungen bzgl des Handels und der Preisermittlung dürfen dem Betreiber keinen Ermessensspielraum gewähren (nicht-diskretionäre Regeln, § 74 Abs. 2 WpHG).
133
Der Betreiber hat Regelungen zur Kontrolleder Bestimmungen nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 WpHG sowie zur Kontrolle des Insiderhandelsverbots (Art. 14 MAR) und des Verbots der Marktmanipulation (Art. 15 MAR) zu treffen (§ 72 Abs. 1 Nr. 3 WpHG). Über Verstöße ist die BaFin nach § 72 Abs. 6 WpHG zu unterrichten. § 73 WpHG regelt den Inhalt und das Verfahren bei einer Aussetzung des Handels von Finanzinstrumenten und deren Ausschluss[70].
134
Im Unterschied zum regulierten Marktbestehen für multilaterale Handelssysteme bei der Einbeziehung in den Handel keine bestimmten Anforderungen an die Finanzinstrumente und die Emittenten. Damit werden schnelle, sichere und billige Transaktionsinfrastrukturen zur Verfügung gestellt. Bestanden ursprünglich bestimmte Zulassungsfolgepflichten für die MTF nicht, so gelten inzwischen weitgehend gleiche Regelungen[71].
3. Insbesondere: Freiverkehr/Open Market
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Der Freiverkehr ist ein privatrechtlichorganisierter außerbörslicher Markt zwischen Freimaklern und Handelsteilnehmern. Er ist häufig ein erster Schritt von Unternehmen an den Markt[72].
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Auch der Freiverkehr (Open Market) gilt als multilaterales Handelssystem (§ 48 Abs. 3 Satz 2 BörsG)[73]. Da er, anders als die sonstigen multilateralen Handelssysteme, nicht von Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituten, sondern von Börsen betrieben wird, unterliegt er der Börsenaufsichtund nicht derjenigen der BaFin[74]. Da der Freiverkehr stärker international positioniert werden sollte, erfolgte an der Frankfurter Wertpapierbörse im Jahr 2005 die Umbenennung in „Open Market“.
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