1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 53
Zudem beeinflussen die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten des WpHG aufgrund dieses Rechtsverlusts (§ 44 Abs. 1 Satz 1 WpHG) insofern das Aktienrecht, als für die nicht gemeldeten Aktien ein Teilnahme- und Stimmrechtsausübungsverbot in der Hauptversammlung besteht[105].
2. Kapitalmarktrechtliche „Lösung“ bzgl Börsenrückzug (Delisting)
54
Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung zwischen Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht ist das sog. Delisting[106], dh der Rückzug eines börsennotierten Unternehmens von der Börse[107]. Bei einem freiwilligen Delisting stellte sich lange Zeit die Frage des angemessenen Ausgleichs der Anleger/Aktionäre. Nunmehr hat sich der Gesetzgeber gegen eine gesellschaftsrechtliche Lösung, etwa durch eine Gesamtanalogie zu den §§ 305, 320b, 327b AktG und den §§ 29, 207 UmwG[108], entschieden. Das bedeutet, dass sich die Abfindung der Aktionäre nicht am Unternehmenswert orientiert und für eine Klage nicht der Zivilrechtsweg gegeben ist[109]. Vielmehr wurde eine „kapitalmarktrechtliche“ Lösungfavorisiert, bei der sich die Abfindung nach dem Börsenkurs bemisst und hiergegen der Verwaltungsrechtsweg offensteht[110].
3. Vorrang der kapitalmarktrechtlichen Haftung vor Gläubigerschutz
55
Der Emittent haftet für die rechtzeitige und vollständige Ad-hoc-Veröffentlichung von Insiderinformationen nach den §§ 97 und 98 WpHG[111]. Diese kapitalmarktrechtliche Haftung hat nach hM Vorrang vor dem aktienrechtlichen Gläubigerschutz, insbesondere dem Verbot der Einlagenrückgewähr(§ 57 AktG) und dem Verbot des Erwerbs eigener Aktien(§ 71 AktG)[112]. Eine kapitalmarktrechtliche Haftung soll nicht an diesen aktienrechtlichen Regelungen scheitern. Gerechtfertigt wird das in erster Linie mit dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori und dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali[113].
4. Unternehmensübernahmen
56
Das WpÜG regelt die Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots durch einen Erwerbswilligen (Bieter) an die Aktionäre der (Ziel-)Gesellschaft[114]. Es nimmt eine Zwitterstellungein und ist zum einen Kapitalmarktrecht (zB Publizität und Verfahrensablauf von Übernahmeangeboten) und zum anderen (Börsen-)Gesellschaftsrecht[115] (zB Verhaltenspflichten der Organe)[116].
57
Auch hier erfolgt eine Überlagerung des Aktienrechtsdurch kapitalmarktrechtliche Regelungen (hier: des WpÜG)[117]. Das WpÜG enthält einen stärkeren Minderheitenschutz, indem der Kontrollerwerber bei einem Kontrollwechsel den Minderheitsaktionären nach § 35 Abs. 2 WpÜG grds ein Pflichtangebot machen muss und diese daher ihre Aktien an den Kontrollerwerber abgeben können. Dagegen sieht das Aktien(konzern)recht eine solche Möglichkeit lediglich im engen Fall des Abschlusses eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags vor (vgl § 305 Abs. 1 AktG)[118]. Außerdem tritt im WpÜG bei Übernahmeangeboten eine Kompetenzbeschränkungbzgl der aktienrechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Vorstands ein, indem er gemäß § 33 Abs. 1 WpÜG grds solche Handlungen zu unterlassen hat, durch die der Erfolg des Übernahmeangebots verhindert werden könnte.
5. Corporate Governance-Grundsätze
58
Ausgangspunkt von Corporate Governance-Regeln waren „Richtlinien“ v.a. von anglo-amerikanischen institutionellen Anlegern, nach denen diese ihre Portfolioemittenten beurteilten. Die Regeln mündeten in institutsübergreifende Regelwerke und wurden zu einem „Code of Best Practice“ weiterentwickelt[119].
⇒ Definition:
Corporate Governancemeint einen Ordnungsrahmen für eine erfolgsorientierte Unternehmensleitung und verantwortliche Unternehmensüberwachung[120] durch gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Standards (gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung)[121].
In Deutschland wurde der „Deutsche Corporate Governance Kodex“ (DCGK) 2002 von der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ erstellt[122] und überarbeitet[123]. Er richtet sich an im regulierten Markt börsennotierte Gesellschaften und Gesellschaften mit Kapitalmarktzugang iSd § 161 AktG. Dessen Empfehlungen und Anregungen können aber laut der Präambel des DCGK auch nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften zur Einhaltung einer guten Unternehmensführung dienen. Die Arbeit an einem Europäischen Corporate Governance-Rahmen ist schon seit geraumer Zeit eingestellt[124].
59
Neben internen, dh gesellschaftsrechtsbezogenen Corporate Governance-Regeln bestehen im Hinblick auf das Kapitalmarktrecht, v.a. die Unternehmenskontrolle, die externen Corporate Governance-Regeln. Die Corporate Governance-Grundsätze sind weder Rechtsnormen[125] noch im Handelsverkehr geltende „Gewohnheiten und Gebräuche“ iS des § 346 HGB, die im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu berücksichtigen sind[126]. Auch wenn er damit grds unverbindlich und eine Überwachung der Kodexeinhaltung der freiwilligen Selbstregulierungskraft des Kapitalmarkts überlassen ist[127], erfolgt eine Kontrolle über das sog. Comply-or-Explain-Prinzip, wonach die Gesellschaften jährlich über die Befolgung bzw Nichtbefolgung der Soll-Empfehlungen des Kodex berichten müssen (§ 161 AktG).
Ausgewählte Literatur:
Kümpel, Kapitalmarktrecht, Eine Einführung, 3. Aufl., 2004; Merkt/Rossbach, Zur Einführung: Kapitalmarktrecht, JuS 2003, 217.
I. Begriff des Kapitalmarkts
60
Eine Definition des Begriffs „Kapitalmarkt“ ist entweder produktbezogen oder handelsbezogen möglich. Eine produktbezogeneAbgrenzung unterscheidet danach, welche Produkte gehandelt werden. Handelsbezogenkann differenziert werden zwischen organisierten Märkten und dem grauen Kapitalmarkt. Dabei geht es um die Frage, wie und wo gehandelt wird.
1. Kapitalmarkt
61
Der Begriff „Kapitalmarkt“ umfasst sowohl den regulierten als auch den nicht regulierten Kapitalmarkt. Daher kann er einerseits in den nicht organisiertenKapitalmarkt, der außerhalb von Banken und Börsen abgewickelt wird, und andererseits den organisiertenMarkt unterteilt werden[1]. Der Kapitalmarkt ist zwar auch ein Wertpapiermarkt und erstreckt sich damit auf den Handel mit den in § 2 Abs. 1 WpHG (Kapitalmarkt ieS)[2] aufgeführten Wertpapieren, bezieht sich aber darüber hinaus auch auf den Markt für Finanzinstrumente[3] (§ 2 Abs. 4 WpHG; Kapitalmarkt iwS).
62
Unter „Kapitalmarkt im weiteren Sinne“ war lange Zeit der sog. Graue Kapitalmarkt zu verstehen, ein Markt für Kredit- und Beteiligungsfinanzierungen, der keiner speziellen gesetzlichen Regelung unterlag. Dort wurden ursprünglich v.a. Anteile an Publikumspersonengesellschaften, geschlossenen Immobilienfonds bzw die Beteiligung an Bauherrenmodellen gehandelt, wobei die Abschreibungsgesellschaften als KG, GmbH & Co. KG, BGB-Gesellschaft oder stille Gesellschaft gestaltet waren. Die Anteile konnten daher nicht, wie zB Aktien, nach den §§ 929 ff BGB übertragen werden, sondern nur durch Abtretung vom Alt- auf den Neugesellschafter (§§ 398, 413 BGB). Inzwischen sind viele Teile des ehemals „Grauen“ Kapitalmarkts nicht mehr „grau“, da er weitgehend im VermAnlG und im KAGB geregelt ist.
⇒ Definition:
Grauer Kapitalmarktist der Markt, auf dem Anbieter für ihre Aktivitäten keine Erlaubnis der BaFin benötigen und nur wenige gesetzliche Vorgaben erfüllen müssen. Insofern existiert keine (bzw nur eine geringe) staatliche Regulierung.
Читать дальше