George! Du hast so verdammt recht! Du machst mich glücklich.
Doch dann poppte in meinem Kopf mitten im Chaos des Plattwalzens meiner Wut eine blinkende Neonreklame auf. Sie überstrahlte einfach alles. Jedes Bild wurde durch das Surren der Starter zu farbigem Staub pulverisiert. Als sich die Wolken legten, las ich diese Reklameschrift in mir.
SEX!
Oh nein! Verdammt noch mal. Bitte nicht küssen. Das verkrafte ich jetzt nicht. Bitte bleib britisch zurückhaltend, George, betete ich beinahe .
Eine Stunde später zersprengte sich das Treffen in seine Teile. Ein Anruf seiner Assistentin, die irgendwas mit Iren herausgefunden hatte, brach zusätzlich den Bann der Erwartungen. Seit dem Anruf entfernten sich die Gedanken Georges von unserer Runde ohne Vater. Wir entschieden uns für ein Taxi. Dieser große Mann füllte das Taxi mit seinem Charisma aus. Glücklicherweise setzte er sich, weil sein Körper meinen Kopf mit seiner Präsenz anmachte. Bevor Panik in mir entstand, beruhigte ich mich mit einiger Mühe. Wir fuhren zu einer Adresse, die George anvisierte.
Oh je, wie wird das wohl enden?
Bevor wir den Abend vorzeitig abgebrochen hatten, erzählte George kurz meiner Schwester und ihrem Gatten, wie er mich kennengelernt hatte. Auch meine kleine Panikattacke am Montag legte er offen, um seine Liebe zu mir erklären zu können. Seine Beichte des letzten Wochenendes fiel aber doch einem kleinen Schwindel zum Opfer oder besser gewagten Andeutungen. Marko überraschte mich dennoch, als er mich umarmte und zum Abschied George seine Hand anbot, was bei ihm selten vorkam.
„Earl, oder so. Also, Lord Haggerthon, nennen Sie mich Marko und ich möchte mich für mein dummes Benehmen entschuldigen. Wir Berliner sind manchmal so“, versuchte er, die Wogen zu glätten.
George schlug seine Hand beiseite und umarmte ihn vollkommen untypisch mit den Worten: „Lass uns Freunde sein. Das hier gerade habe ich von meiner verstorbenen Frau gelernt. Machen die in Frankreich so. Herrlich, oder?“
Marko war verdutzt, lachte dann aber doch. Derweil umarmte mich Patrizia, was mich zurück auf den Boden holte. Sie zerrte an mir, damit ich endlich aufhörte, beide Kerle anzustarren, als wären sie Ziegen. Dann verabschiedete ich mich von Marko, der mich auch noch richtig lange anlächelte und mehrmals über meinen Rücken strich, als er uns zum Taxi begleitete.
Markos Stimme drang zu mir: „Das nächste Mal kannst du auch zu mir kommen. Auch wenn es manchmal nicht so klingt, ich mag dich.“
Erleuchtung am Tage
George Haggerthon
Berlin, Oktober 2015, Donnerstag
Dieser Tag begann schlechter, als der gestrige Abend endete. Nämlich mit einem Anruf aus London. Die Nachrichten von Cathryn ließen mich nachdenken. Schritt für Schritt forschten wir nach Anhaltspunkten unserer Gegner. Doch manchmal dachte ich mir, dass die Gegner viel näher waren, als wir es uns weismachen wollten. Die Iren, mit denen ich mal zu tun hatte, steckten uns einige Informationen zu, die überprüft werden mussten. Zuerst erleichterte mich die Nachricht von Cathryn, doch nun baute sich ein Bedrohungsszenario auf, was mich zusehends beunruhigte. Die Vergangenheit holte mich dieser Tage wieder ein. Gestern Abend fuhr ich mit Samantha zur Elsenbrücke. Dort kuschelte sie sich vor mir stehend an mich. Für Oktober blies ein sehr angenehmer Wind ihre herrlich weichen Haare in mein Gesicht. Unser Blick Richtung Alexanderplatz romantisierte diesen Abend hoffentlich genug, denn ich musste zu Kreuze kriechen. Soweit daneben zu liegen, sie zurückzugewinnen, erschütterte mich in kleinen Momenten. Meine Samantha durchlebte heute zu viel Emotionales, auch meinetwegen.
Ich hatte sie gefragt: „Verzeihst du mir jemals diesen Abend?“
Sie neigte ihren Kopf zu mir und sah mit ihren graublauen Edelsteinen in meine Augen: „Sag mir bitte ehrlich, warum du all das heute getan hast.“
Dafür musste ich nicht lange nachdenken: „Ich liebe dich.“
Dann fluteten ihre Augen Tränen und ihr Kopf wollte dies ungläubig verneinen. Mit meiner rechten Hand hielt ich streichelnd ihre Wange fest. Die Bescheidenheit dieser unglaublichen Frau entwaffnete mich und nun hoffte ich nur, dass sie mir über den Weg traute.
„Mehr konnte ich nicht für dich tun. Wenn du mich nicht mehr magst, muss ich damit leben. Aber ich habe alles riskiert, dich ganz zu bekommen. Blumen, Champagner oder Pralinen werten mein Versagen bei weitem nicht auf“, flüsterte ich ihr zu.
Warum bewegt sie sich nur so anmutig? Himmel noch eins, diese Frau macht mich fertig.
„Danke, George. Einfach und ehrlich gemeint“, flüsterte sie mir zu, ohne die Stirn zu runzeln.
Dann drückte sie sich aus meinem Arm. Ich sollte Samantha nicht aufhalten. Sie drehte sich um. Mir hatten derweil alle Nerven den Streik angekündigt, wenn das hier schiefgehen sollte. Dann schwang sie beide Arme um meinen Hals, zwei Lippen berührten mich stürmisch und ein Wohlsein beruhigte dieses flaue Gefühl. Schließlich öffnete ich meine Lippen und leckte zärtlich die ihren, was Samantha ebenso sanft erwiderte. Wir küssten uns. Wahnsinnig laut summten meine Knie, dann mein Rücken und letztlich kribbelte mein Kopf.
„Mein Nasenbär!“, hörte ich sie flöten, nachdem sie aufgehört hatte, mich zu küssen.
Bedauernswert fand ich die Kürze schon. Stattdessen sahen wir uns in die Augen. Lächelnd umschlang sie meine Hüften und betrachtete intensiv mein Gesicht. Es kam mir vor, als zählte diese Berlinerin jede Pore und jedes Haar. Sie presste sich an mich und sah zu mir auf.
Mein fragender Blick nervte sie anscheinend: „Ach George, ob ich dir restlos verzeihe, kann ich dir noch nicht sagen. Zumindest bist du ehrlich, witzig und verdammt lieb. Wann kam dir der Gedanke?“
„Am Dienstag plante ich das alles final. Ich brauche dich doch, um neu anzufangen. Und mein Leben ist verdammt anstrengend. Ich wollte es für uns und dich besser machen“, hatte ich gesagt.
Seltsamerweise entglitt ihr der niedliche Ausdruck im Gesicht. Irgendwas hatte ich mal wieder falsch gemeint. Also setzte ich mein strahlendes Lächeln auf und nickte. Kurz verspannte Samantha sich, doch nach ein oder zwei stillen Momenten fand sie zurück.
„Ich liebe dich auch, mein Nasenbär. Lass uns den Abend beenden, denn ich bin total fertig.“
Letztlich hatte ich mir eingestanden, dass sie mir Respekt gezollt und mich nicht weggestoßen hatte. Beide Daumen auf meinen Wangenknochen schubsten meine Gefühlswelt in die heiße Sonne. Magnetisch angezogen schwebten unsere Münder noch einmal aufeinander zu. Gierig öffnete ich meinen Mund. Manchmal sind Fortsetzungen viel besser, hoffte ich. Unsere Zungen berührten sich und entzündeten die Leidenschaft erneut in mir. Eine kleine ewige Glückseligkeit brummte ich genüsslich.
Nun war ich gezwungen, unsere Zweisamkeit zu beenden: „Ich finde es schade, dass wir aufhören müssen. Ich würde noch … “
Tief atmete ich noch einmal ein. Die Sehnsucht nach ihr fraß mich fast auf. Doch das ginge in unserer Situation einfach zu weit.
Ich: „Vielleicht morgen fortfahren?“
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