Kaum einen Schritt von ihr entfernt, übertünchte ich meinen Wunsch nach mehr mit einem kleinen Freudentanz.
„Versprechen eingelöst!“, übertönte mein Gedanke den Verkehr hinter mir.
Dem nächsten Morgen schritt erst eine angeregte Nacht voran, gefüllt mit Analyse und der Hoffnung auf mehr Sammy. Ja diesen Kosenamen mochte ich nun. Er klang gar nicht mehr so männlich. Ein wundervolles Klingeln meines Smartphones färbte meine Gedanken bunter, machte mich fröhlicher und generell übertünchte es diese Einsamkeit des Hotelzimmers. Samantha anzurufen schärfte alle Sinne. Endlich nahm sie ab.
„Sammy, meine Sonne. Guten Morgen“, sagte ich sanft.
„George? George“, klang erst nach Abwehr, dann nach gerade erwacht.
„Ja, der Nasenbär weckt dich“ , zog ich sie etwas auf.
Ein zustimmendes „Hmm“ beruhigte mich, dass sie mir andächtig lauschte. Aber es hörte sich nach einer unbewussten Unstimmigkeit an. Hoffentlich hatte ich meine Kleine gestern Abend nicht verärgert. Vergeblich versuchte ich, gestern diesen Ausbruch meinerseits zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Ich war kurz davor, wie ein Junge, mich lächerlich zu benehmen. Mit beinahe fünfzig Jahren.
Also ließ ich ihr eine kleine Verschnaufpause, indem ich einen offenen Punkt ansprach: „Deine Operation war einem Gewaltverbrechen geschuldet?“
Samantha dachte anscheinend nach. Ihre Pause deutete auf meine korrekte Deduktion hin. Versunken in ihre Gedankenwelt, vernahm ich ihr Atmen. Ruhig bleiben half hier hoffentlich mehr.
„George, wie kommst du denn früh am Morgen auf so etwas? Gnarf! Ich brauche kein Mitleid, hörst du? Denn es lässt sich nichts ändern. Und bemitleidet habe ich mich selbst schon viel zu oft“, raunte mir Samantha ein wenig unwirsch entgegen.
Nein, ich erwiderte nichts, sondern hörte nur zu. Endlich verstand ich ihre Art, mit dem dunklen Geheimnis umzugehen. Ihre seltsamen Verhaltensweisen erklärten mir, dass Samantha Willer kämpfte, ihren Schmerz zu verbergen. Das war wesentlich englischer, als die meisten Vaterländler sich gaben. Ich dachte mir schon, dass wir in einigen Punkten Gemeinsamkeiten hatten. Aber das? Halleluja.
„Ach George, ob ich jemals frei darüber reden werden kann, steht in den Sternen. Vielleicht kam eben der Zeitpunkt gestern genau richtig, einen nächsten Schritt zu machen. Oder ich habe mich dir vor die Füße geworfen. Keine Ahnung“, philosophierte sie immer noch nur halb wach.
Oh, vorsichtig fragte ich eher, als es zu sagen: „Aber alles, was ich wollte, war, dich zu befreien. Es trieb mich dazu, dich zu beschützen. Deine Qual ertrug ich nicht. Du hast bei mir etwas gut. Etwas Großes, ja?“
„Ach du. Wie hast du das eigentlich gedreht?“, stotterte Samantha auf der anderen Seite und wartete gespannt.
Wenn sie mich jetzt grinsen sehen könnte, würde sie dahinschmelzen.
Nach einer gewollten Pause: „Du hattest einen Verhandlungsklassiker der Zuspitzung und Entspannung erlebt. Hoffentlich verzeiht mir deine Familie jemals meinen Auftritt.“
„Meine Mama liebt dich mit Haut und Haaren. So stolz, wie sie war. Gemeinsam lachen und weinen verbindet, also hast du meine Schwester und ihren Mann auch auf deiner Seite. Keine Ahnung wie es um meinen Vater bestellt ist“, klang doch schon sehr viel aufgeweckter.
Ohne weiter nachgedacht zuhaben, sagte ich: „Schritt für Schritt. Gut fühlen, ist etwas anderes. Immerhin bist du nun von diesem Geheimnis befreit. Wie hätte ich das meinen Kindern beibringen sollen? Sogar der Anruf passte perfekt ins Timing.“
Die Stille am anderen Ende beendete Samantha dann: „Du hast das veranlasst? George, du bist echt ein böser Junge. Wie schaffe ich es jemals, dich zu verstehen?“
Auf mein „Vertraust du mir?“, folgte eine gurrende Zustimmung ihrerseits, „Das wäre ein guter Anfang. Gib mich nicht auf. Sei einfach für mich da, damit ich auch für dich da sein kann“, versuchte ich, sie ein wenig positiver zu stimmen.
Gestern Abend zwang ich mich dazu, mich von ihr zu verabschieden. Sonst wären wir im folgenden erotischen Nahkampf aufeinander losgegangen. Dauernd knisterte es, wenn sie mir nahe war. Diese Frau am anderen Ende des Telefons wollte ich beeindrucken und endlich für uns Haggerthons gewinnen. Sex ging mir gestern immer wieder durch den Kopf. Am schlimmsten traf es mich bei diesem Kuscheln auf der Brücke über der Spree. Mein Herz verkrampfte regelrecht. Unsere Küsse und das Anschmiegen gefielen mir viel zu gut. In meinen unteren Regionen gab es stehende Beifallsbekundungen. Ob ich mich im Taxi weiterhin beherrscht hätte, wäre ungewiss gewesen.
Ähm, total ungewiss.
Sie roch unverschämt gut, sah verdammt verführerisch aus, redete beinahe nie Unsinn und war einfach echt. Die versteckten Reize ihrerseits beflügelten meinen Wunsch, unter die Schale zu blicken. Wenn sie auch nur in der Nähe ist, elektrisiert mein ganzer Körper.
„Liebe Samantha, ich würde gerne mit dir heute Abend noch etwas unternehmen. Denke ich doch, dass meine To-Do-Liste es mir erlaubt, gegen sieben Uhr am Brandenburger Tor zu sein. Wie sieht es bei dir aus?“, bangte ich auf eine Zusage.
Samantha stockte etwas: „Klar, Essen, aber mehr nicht, okay? Versprochen? Party dann beim nächsten Mal?“
Enttäuscht sagte ich zu: „Gerne, Samantha. Ich fliege am Freitag schon um acht Uhr zurück nach London“ .
„Oh. Schade. So früh schon? Nein. Klar, Familie und Job warten auf dich“, hörte ich auch ihre Enttäuschung heraus.
Unglaublich zart hauchte Samantha dann doch noch: „Ich bin verliebt in dich. Mit rosa Wolken, bunten Wiesen und Schmetterlingen. Liebling, ich werde jetzt mal versuchen zu arbeiten. Und ich freue mich auf dich heute Abend. Tut mir leid, ich muss los.“
Unter der Dusche begann ich, leise zu singen. So unbeschwert war ich vor Jahren das letzte Mal, da hatte neben mir meine Frau Barbara in einem atemberaubenden Sommerblumenkleid mit Blumenkrone gestanden. Was sagte Samantha doch zu meinen Kindern? Sie wollte Barbara auch dabei haben. Wie stark diese Frau war. Und doch fühlte ich mich noch nicht ganz eingeweiht in ihr Leben. Pünktlich um zehn beschaute ich mich im Spiegel. Alles passte. Es klopfte. Erst viermal dann eine Pause und dann zweimal und noch einmal. Es war Bowers. Also Matthew. Der Detektiv, den ich begleitet hatte. Warum? Weil mich diese Frau einfach nicht losließ. Auch für die Lösung meiner derzeitigen Fragen zu den familiären Problemen, die eindeutig aus dem beruflichen Umfeld hereinstürmten, brauchte ich jemanden, der mir weiterhelfen könnte. Und Samantha hatte bereits weitergeholfen. Uneigennützig, kreativ und auch liebevoll. Ehrlich gesagt liebte ich sie nicht nur, sondern brauchte sie auch. Das lernte ich aus dem, was geschehen war. Matthew trat ein und betrachtete mich keine zwei Sekunden. Dann noch einmal genauer. Sein unverschämtes Grinsen verriet mir sein Wissen um meinen Zustand. Darauf beschloss er, nichts anzudeuten. Dennoch schien Matthew überlegt zu haben, etwas mitteilen zu wollen. Jedoch nur unter freiem Himmel irgendwo weiter weg deutete er an. Wie viel ich ihm vom gestrigen Abend erzählen wollte, hatte ich nicht abgesteckt.
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