Sie entzog mir gekonnt das Sakko. Es landete auf einem Sessel. Samantha setzte sich neben mich. Meine Atmung ging schwerer. Krampfhaft versuchte ich mich, zu beherrschen, nicht über sie herzufallen. Hitzewellen durchstrichen meine Brust und meinem Kopf. Dann begegneten sich unsere Blicke. Keine Sekunde zögerte ich und küsste sie endlich auf ihren Mund. Das Smartphone feuerte ich auf den Tisch, damit ich ihren Kopf halten konnte. Zusammengefasst inhalierte ich gerade alle Sorten von Glücksvitaminen. Ich entspannte mich, zumindest über der Gürtellinie. Einfach nur schön dieser Moment. Dieser Kuss weckte ungeahnte Weiten. Alles vermischte sich und ich hielt inne. Leicht zog sie sich zurück. Doch dann fühlte ich ihre Hand auf meiner Hose.
„So schlimm war mein Auftritt?“, liebkoste sie mich mit einem kleinen Kuss auf meine Nase.
Meine Ohren glühten. Ich nickte. Ihre Natürlichkeit faszinierte mich nun vollends. Statt mich weiter zu traktieren, drehte sie sich um und verschwand. Im Bad hörte ich diverse Utensilien, die ich auch von meinen Töchtern kannte.
Ein wenig verlegen erklärte sie: „Du, George, ich finde, dass ich dir für gestern danken sollte. Leider habe ich keine Ahnung wie.“
Sie nahm mir meinen Durchmarsch nicht übel? Auch das Verhör tat sie einfach so beiseite? Starke Frauen beeindruckten mich sonst nicht so sehr, aber diese hier?
Mir kam ein komischer Gedanke: „Hmm, dich einpacken und mitnehmen? Klonen vielleicht?“
Wie konnte es anders sein, klingelte mein oft gehasstes Smartphone dazwischen. Also nahm ich entschuldigend mit meinen Achseln zuckend das Gespräch an.
„Tag Heimat“, meldete ich mich.
„Hey Dad“, floss wie Honig die ruhige leise Stimme Olivias in meinem Ohr.
Mit einem überraschten und freundlichen Ton flötete ich: „Olivia, du hörst dich aber toll an. Es scheint dir gut zu gehen?“
Olivia: „Oh, ähm ja. Wo bist du gerade? Bin allein in meinem Zimmer.“
„Und ich sitze gerade in Samanthas Wohnung“, teilte ich ihr mit.
Meine kleine Tochter antwortete: „Gefällt es dir?“
Ich: „Klar. Ich denke, ich bleibe länger hier, ist echt toll. Würde euch bestimmt nicht gefallen.“
Olivia aufgeregt: „Dad? Was soll das heißen? Ich denke, du übertreibst. Stimmts? Sonst komme ich dich abholen.“
Etwas enttäuschend fand ich das schon. Gleich wurde das Schlimmste angenommen. Obwohl ich diesen Vorwurf von Olivia nur zu gut kannte, wunderte mich ihr Aufbegehren. Irgendwie veränderte sich meine Tochter in den letzten Tagen? Kommen da wieder diese seltsamen Fantasien und Ängste auf? Eigentlich erwartete ich mehr Freude darüber, dass Samantha wieder ganz nahe bei mir weilt. So verliebt bin ich doch nicht, dass ich den Bodenkontakt verlieren würde, obwohl ich doch arg daran zweifeln musste. Mir ging es gerade auch mental richtig gut, hier in Samanthas Heim. Es gefiel mir, wie sie es eingerichtet hatte. Gemütlich, trotzdem modern und klar strukturiert.
„Ach, welche G-E-H-E-I-M-N-I-S-S-E hast du denn erfahren von deinen Geschwistern?“, horchte ich Olivia aus.
Olivia brauste leicht auf: „Zumindest finden beide es gar nicht so toll, dass du Hals über Kopf eine Ausländerin anschleppen willst. Jason macht sich Sorgen, Jennifer ist wirklich seltsam drauf.“
Nachdenklich schüttele ich den Kopf: „Liebe Olivia, du sollst andere nicht ausspionieren.“
Ein Schnauben von Olivia regte sie weiter auf: „Ich finde es schon bedenklich, mir Spionage vorzuhalten. Warum denkt ihr von mir, ich drifte in irgendwelche Welten ab? Du kommst doch zurück, oder?“
Jetzt reichte es mir: „Bist du verrückt? Warum sollte ich unsere Familie auseinanderbringen wollen?“
Stille und ein Seufzer am anderen Ende. Jetzt erklärte ihr Verhalten viele meiner Beobachtungen.
Etwas leiser und trauriger antwortete ich ihr: „Weißt du, ich will nur Samantha treffen. Du sollst glücklich sein. Ihr alle.“
Samantha betrat mit einer Kanne Tee und zwei Teetassen auf einem Tablett wieder das Wohnzimmer. Ihr schräg gelegter Kopf mit den wundervoll geschminkten Augen betrachtete mich forschend. Das geht aber gleich schief, spiegelte mir dieses Wort schräg die Kehrseite der Medaille vor. Weder ertrug ich Olivias Stimmungsschwankung noch Samanthas seltsamen Blick. Mein Magen zog sich zusammen, denn Ärger zog auf.
„Olivia, vielleicht willst du einfach nur etwas für dich?“, herrschte ich als Familienoberhaupt.
„Ja klar. Vielleicht sollte ich bei Samantha bleiben und du wieder herkommen! KLICK. Tuuuuut“, fassungslos sah ich das Smartphone an.
Schreck lass nach. Kurz vermutete ich Tagträume. Eigentlich kannte ich Olivia besser, als solch eine Reaktion ertragen zu müssen. Sollte ich meinen guten Draht zu Olivia gekappt haben? Doch nicht jetzt. Mutig wählte ich erneut daheim an. Aber vielleicht hatten Jennifer und Jason von den vergangenen Geschehnissen immer noch nicht genug Abstand. Olivia wollte mich wirklich nur warnen?
Nach dreimaligem Läuten meldete sich eine schniefende Olivia: „Ja? Was?“
Bestürzt flüsterte ich: „Hey, Braunlöckchen.“
„Willst du mich weiter nerven? Lass es einfach“, presste Olivia ihren Unmut durch das Telefon.
Oh Mist. Verbockt? Verfluchte Gefühlsausbrüche.
Samantha lenkte mich ab, weil sie sich bezaubernd geschminkt hatte. Aber so unglaublich toll, dass ich sie beinahe nicht mehr wiedererkannt hätte. Die Augen leuchteten geheimnisvoll, ihre Lippen waren etwas dunkler benetzt. Nur ihre Frisur schaute noch unpassend aus. Gerade als sie etwas bemerken wollte, hob ich meine Hand, sodass ich mich auf das wichtige Gespräch konzentrieren konnte.
Ich brummte: „Braunlöckchen, derzeit bin ich etwas hin- und hergerissen. Zuviel passiert momentan, du merkst bestimmt, dass ich versuche, es allen recht zu machen. Verzeih mir. Ich nehme mir deine Bedenken zu Herzen. Bitte, bleib ruhig. Ich löse diesen Knoten auf. Versprochen.“
Leider verschwand Samantha noch einmal. Diese Zeit nutzte ich und forderte den Bericht zur Woche ein, um abzulenken. Als Samantha wieder zurückkehrte, blieb mir der Atem weg. Sie hatte einen Haarknoten eingedreht. Samantha könnte als Modell arbeiten. Eindeutig, und das mit zweiundvierzig durchlebten Sommern. Wahnsinn.
„Dad?“, quäkte meine kleine Tochter genervt.
„Oh ähm, entschuldige bitte, ich wurde abgelenkt. Dein Versprechen habe ich gestern erfüllt“, hatte ich um Ruhe bittend auf Lautsprecher umgeschaltet.
„Echt? Das glaube ich dir nicht“, drängelte ungeduldig Olivia etwas freundlicher.
Samantha saß mittlerweile neben mir. Kippte unglaublich stilvoll den Tee in unsere Tassen ein. Wenn ich das jeden Sonntag erleben dürfte, wäre ich wohl ein typischer männlicher Spießer. Trotzdem fand ich diese Fantasie erstrebenswert, vor allem hätte ich es extrem interessant gefunden, Samantha im alten Manor House zu erleben. Wenn ich im Clubzimmer säße, sie hereinkäme, um mir ein Glas schottischen Whisky oder Gurken-Sandwiches mit dem passenden Tee zu kredenzen. Allerdings würde es mir ebenso gefallen, wenn Samantha mich genauso beim Sonntagsausritt mit meinem Lieblingspferd Joshua bewundern würde.
Читать дальше