„Wie sieht denn der Stallbursche genau aus?“, fragte Philipp.
Helena beschrieb ihn, so gut sie konnte.
Da begann Philipp zu lachen und sagte: „So, so! Ein Stallbursche also soll er sein, der gute Carlos“.
Helena sah ihn verwundert an.
„Helena, liebes Mädchen! Zuerst danke ich dir dafür, dass du dich mir anvertraut hast. Das war richtig und gut. Zum Zweiten verlange ich von dir, dieses Geheimnis weiterhin zu wahren, zu schützen und zu unterstützen. Ich möchte, dass meine Tochter glücklich ist und bleibt. Also zu niemandem ein Wort, und schon gar nicht zu meiner Gattin!
Und nun zu einem weiteren Geheimnis, welches außer mir niemand im Schloss kennt. Auch dieses Geheimnis musst du versprechen zu bewahren. Carlos ist kein Stallbursche, sondern ein Nachkomme aus einem spanischen Adelsgeschlecht. Ich erweise jemandem einen Gefallen, denn er kann nicht unbedingt gut mit Pferden umgehen.
Daher ist er bei uns auf dem Schloss, um zu lernen, bis er zur Ausbildung als Knappe abberufen wird.“
„Dann haben ja beide ein Geheimnis voreinander“, antwortete Helena.
Philipp antwortete: „Carlos ist ein cleverer Bursche. Ich bin mir sicher, dass er weiß, mit wem er es zu tun hat. Er wird auf sie aufpassen. Darauf wette ich!“
„Dann habe ich Euren Segen, Herr?“, fragte Helena.
„Den hast du, und denke an dein Versprechen“, sagte Philipp, als Helena zur Tür lief.
Beim Hinausgehen hörte sie, wie Philipp lachend zu sich selbst sagte: „Dieses Teufelsweib! So raffiniert, und noch so schlau und hübsch dazu. Ja, das ist meine Tochter. So hätte ich mir meine Frau gewünscht!“
Leise zog Helena die Tür ins Schloss. Erleichtert ging sie zur Tagesordnung über. Mit der Prinzessin traf sie die Vereinbarung, dass das Lernen nicht zu kurz kommen durfte, und die nachmittäglichen Ausflüge wurden etwas kürzer. Das störte die Prinzessin nicht, denn sie war froh, die Kinder - und vor allem Carlos - regelmäßig zu sehen.
Und so vergingen freudige Jahre.
Die Veränderung kam nicht plötzlich, sondern langsam, aber stetig.
Aus den Kindern wurden Jugendliche, und immer mehr Verpflichtungen verlangten nach ihnen. Ständig hatte die eine oder der andere keine Zeit zum Spielen.
Auch die Prinzessin musste ihren gesellschaftlichen Pflichten immer öfter nachkommen, und die gemeinsamen Stunden wurden weniger.
Dann kam der Tag, an dem sich alles veränderte! Carlos war nicht mehr auf dem Schloss!
Ben hatte gesehen, wie er mit mehreren Männern auf einem Pferd das Schloss verließ.
‚Er wird wiederkommen’, dachte sie und wartete. Sie wartete einen Tag, dann den nächsten. Todunglücklich gab sie das Warten nach zwei enttäuschenden Wochen auf.
Helena wusste, dass Carlos zu seiner Ausbildung zum Ritter abberufen wurde. Doch sie musste das Geheimnis für sich behalten! Sie wusste auch, dass er sich gerne von Maria verabschiedet hätte. Doch der Aufbruch kam auch für ihn überraschend.
Maria wurde immer trauriger und war mit nichts aufzuheitern. Sie zog sich mehr und mehr zurück. Sie lehnte den Umzug in ihr altes Zimmer ab, um in der Abgeschiedenheit ihr Unglück zu bedauern.
Einzig die Falkenjagd erheiterte sie etwas. Aber auch dort war sie nicht bei der Sache.
Sie ignorierte das Werben einiger Prinzen gänzlich, denn sie hatte sich geschworen, nur Carlos zu lieben.
Mittlerweile war sie zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen.
Ihre Mutter Elisabeth bestand darauf, dass sie einen der Freier akzeptierte. Es sollte endlich eine Hochzeit gefeiert werden. Doch Maria weigerte sich.
Und so vergingen die Tage für die Prinzessin - immer mit den Gedanken bei ihrem Carlos!
- -
Helena wurde wieder zu einer Dienerin, durfte aber bei der Prinzessin bleiben.
Philipp war tief in seine Geschäfte verwickelt, denn es waren unruhige Zeiten. Gerne hätte er seiner Tochter geholfen - doch ihm waren die Hände gebunden.
Dann kam der Tag, an dem er sich verabschiedete, um auf eine längere Reise zu gehen.
So kam es, dass Mutter und Tochter abends alleine beim Abendtisch saßen.
„Maria, was ist bloß los mit dir, mein Kind? Gefällt dir wirklich keiner der vielen Freier, die ich auf das Schloss eingeladen habe?“
„Nein, ehrwürdige Mutter. Ich habe mein Herz in der Jugend verloren“, seufzte Maria.
„Soll ich dich etwa entführen lassen? Ist es das, was du wünschst? Dass dich ein stattlicher Mann befreit?“, fragte Elisabeth mit sarkastischem Unterton.
„Mutter, nur hässliche oder arme Prinzessinnen müssen entführt werden. Das weißt du doch“, antwortete Maria.
Lange schwiegen die beiden, bis sich Elisabeth erhob und sagte: „Dann ist es entschieden. Morgen gehst du in das Karmelitinnen-Kloster!“
Ohne sich umzudrehen, verließ sie den Raum.
Die Prinzessin ergab sich ihrem Schicksal und trat am nächsten Morgen die Reise zum Kloster an.
Kloster
Das Kloster lag unweit vom Schloss entfernt, inmitten der Stadt Neuburg.
Ihr Vater war ein großer Förderer der Ordensgemeinschaft. Nach der Genehmigung durch Papst Alexander VII. übernahmen acht Nonnen aus Düsseldorf das Kloster. Die Stelle der Oberschwester wurde Magdalena Bedingfeld zuteil, einer Engländerin. Erst vor einem Jahr wurden die Kirche der Allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel und das Wohnheim geweiht.
Maria stand mit ihrer Tasche vor dem Tor des Klosters und atmete tief durch.
‚Was wird mich hier erwarten‘?
Beherzt nahm sie den Türklopfer in die Hand und klopfte zweimal. Das Tor öffnete sich und eine der Torschwestern nahm sie in Empfang und führte sie zur Priorin.
Magdalena hieß sie willkommen und führte sie durch das Kloster.
„Mit dir, liebe Schwester Maria, sind wir 81 Nonnen und an unserer Kapazitätsgrenze angelangt. Du wirst das Zimmer mit zwei ehemaligen adligen Frauen teilen. Hier ist es auch schon.“
Maria schaute in eine einfache Kammer, mit drei hölzernen Liegen und einem kleinen Tisch in der Mitte.
‚Einen Geheimgang wird es hier nicht geben’, dachte die Prinzessin.
Schnell verscheuchte sie den Gedanken wieder. Stattdessen fragte sie die Priorin, was ihre Aufgabe im Kloster sei.
Die Priorin antwortete: „Du wirst den Ritualen unseres Ordens Folge leisten. Das bedeutet, dass dein Tag gefüllt ist mit Gebetszeiten. Morgens von sieben bis acht Uhr stilles Gebet. Dann das Psalm-Gebet, Arbeitsbesprechung, Frühstück, Arbeitszeit, wieder eine Zeit der Stille in der Kirche. Um zwölf Psalm-Gebet, dann Mittagessen. Um siebzehn Uhr wieder Psalm-Gebet. Abends eine Stunde stilles Gebet und unter der Woche die Eucharistiefeier.
Deine Aufgabe wird es sein, den Kräutergarten zu pflegen, zu den Arbeiten, die wir alle gemeinsam erledigen. Deine Mutter hat uns unterrichtet, dass du dich mit Kräutern bestens auskennst.“
‚Mutter wird mir wohl nie den Streich mit dem Juckpulver und dem Niespulver verzeihen’, dachte Maria. Innerlich schmunzelte sie ein wenig.
Die Priorin sah Maria an und fragte: „Ist alles in Ordnung?“
Damit holte sie die Prinzessin in die Wirklichkeit zurück.
„Alles in Ordnung, Frau Priorin“, antwortete Maria.
- -
Am nächsten Morgen begann der Tag, wie vorhergesagt, mit Beten.
Dann wurde wieder gebetet, und wieder und wieder.
Maria freute sich immer mehr auf die Zeit, die sie im Garten unter freiem Himmel verbrachte. Im Kloster war die Stimmung düster und erdrückend. Nach einigen Wochen fühlte sich Maria immer unwohler. Das Innere des Klosters erdrückte sie, und wann immer es möglich war, lief sie ins Freie.
Unbemerkt wurde sie von der Priorin beobachtet. Sie hatte schon beim Einzug der Prinzessin gefühlt, dass etwas nicht stimmte. Sie spürte, dass etwas anderes, als der Wunsch in ein Kloster zu gehen, Maria bedrückte, ja fast erdrückte.
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