Er schniefte erneut ins Tempo, und mittlerweile türmten sich die verschneuzten Taschentücher neben ihm schon auf. Aus irgendeinem Grund war er komplett von der Rolle. Doch war der Tod der Diva wirklich der Auslöser dafür? Oder gab es die Krise schon vorher? Er versuchte, seine Misere zu analysieren: Niemand wollte mehr seine Bilder kaufen, selbst übers Internet lief es mau. Und ja, es hatte ihn mitgenommen, vielleicht mehr als er zugeben wollte, dass die junge Russin Ekatarina Tartakowskaja vor kurzem die Hälfte seines Unterrichts übernommen hatte. Fast einfach so…
Sie war eine studierte Kunstmalerin, verfügte über eine erstklassige Ausbildung und hatte sich eines schönen Tages auf gut‘ Glück in der Frankfurter Malschule vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit hatte sie sowohl ihre russischen Modelmaße auf High Heels, als auch einige ihrer hervorragende Stillleben und Landschaftsmalereien in altmeisterlicher Lasurmalerei präsentiert. Was Herrn Thielmann, dem Inhaber und Leiter der Schule, ausgesprochen positiv ins sonst so kritische Auge gefallen war. Die Waffen der Frauen…
Anschließend hatte die attraktive Frau Tartakowskaja mit dem roten Schmollmund und zwei weiteren schlagenden Argumenten direkt einen Lehrerjob in der Tasche. Oder besser gesagt: einen Teil von Jans Job. Doch musste ihn das so aus der Bahn werfen? Ihm fiel keine Antwort ein…
Er musste auf einmal an den Keltenberg denken. Dort malte er am allerliebsten. In der Wetterau, nicht weit von Frankfurt. Wie gern wäre er jetzt dort gewesen. Oder in seinem Atelier, seiner Künstler-Oase. Eigentlich war es nur das ehemalige Hauswirtschaftszimmer in der Bornheimer Altbauwohnung. Aber es war groß und hell. Für Leinwände und Staffeleien und seine Hamburger Lieblingsmöbel: den alten Buffetschrank, wo er seine Farben und Pinsel unterbringen konnte und einem uralten Esstisch, der schon allerhand erlebt haben musste. Nicht zu vergessen, seinen gemütlichen Ohrensessel, der schon mehrfach neu gepolstert und bezogen worden war und der Jan zum entspannten Zurücklehnen diente, wenn er seine Gemälde im Werden begutachtete. Trocknen und Lagern war Kellerraumsache. Alles in allem also genug Platz für ein Künstlerdasein. Ein mehr oder weniger gewinnfreies...
Sein Vater hatte seine Mutter nach seinem frühen Tod gut versorgt hinterlassen. Die Weinhandlung und das gut sortierte Lager hatten nach dem Tod von Oluf Johannsen hohe Verkaufspreise erzielt, und einen nicht unerheblichen Teil an wertvollen Weinen und Jahrgangswhiskeys aus der umfangreichen Sammlung seines Vaters hatten seine Mutter und er behalten und bei einem befreundeten Händler einlagern können. Die Wertsteigerung konnte eines Tages einmal erheblich sein. „Gut Ding‘ will Weile haben“, erinnerte er sich an einen Spruch seines Vaters.
Obwohl Jan also im Prinzip nicht gänzlich pleite war, musste er sich doch ziemlich knapp halten, um Lina nicht allzu sehr auf der Tasche zu liegen. Sie finanzierte nämlich den Großteil ihres gemeinsamen Lebens. Seine Mutter steckte ihm zwar auch oft ein paar Scheine zu, wenn er in Hamburg war. Aber eigentlich war ihm das schon ein bisschen peinlich, immer noch eine Art Taschengeld zu bekommen. Noch so ein Luxusproblemchen à la Jan! Denn im Grunde wollte er seiner Mutter gar nicht sagen, dass er meist klamm war. Aber wahrscheinlich ahnte sie…
Doch über das leidige Geld wollte er sich jetzt keine Gedanken mehr machen. Hier ging es schließlich um Leben und Tod: die Bilder aus dem Klinkerbau zogen ihn wieder in ihren Bann.
Meine Güte, beim Blick auf die Uhr registrierte Jan, dass das ganze heilige Spektakel fast geschlagene vier Stunden gedauert hatte.
„Du liebe Zeit“, dachte er, „in Amerika sind nicht nur die Hot Dogs viel länger.“ Er war müde und ganz schön verheult und wollte nur noch in sein Hamburger Bett. Eine Nacht darüber schlafen konnte da bestimmt nicht schaden. „Morgen ist ein neuer Tag“, tröstete er sich selbst.
Seine Mutter war offenbar noch nicht wieder von ihrer Tour zurückgekehrt. Auch Hamburger Nächte konnten lange sein.
Und der automatische Homegoing Service von Gisela Johannsen war anscheinend auch außer Betrieb…
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