• sich das Problem als Ausdruck sozialer Benachteiligungen und sozialer Ungleichheit verstehen lässt (z. B. biografisch nicht erworbenes Bildungskapital, prekäre Beschäftigungs-, Einkommens- und Wohnverhältnisse, gesundheitliche Belastungen, soziale Ausgrenzung und verwehrte soziale Teilhabe, misslungene Übergänge z. B. zwischen Schule und Arbeitswelt, konflikthafte Familienbeziehungen, mangelnde Förderung durch die primären Bezugspersonen).
Der Einsatz von Sozialarbeiter*innen zur Problembearbeitung kann Ausschließlichkeitscharakter haben oder Teil eines komplexeren Lösungskonzepts sein, zu dem auch Geld- oder Sachleistungen oder andere personenbezogene Dienstleistungen gehören, z. B. Bildung und Qualifizierung, um Jugendliche mit Lernschwierigkeiten erfolgreich in eine Berufsausbildung zu integrieren. Soziale Arbeit stellt daher oft nur einen Beitrag zu einer umfassenderen Problemlösung dar, die je nach Problemlage ergänzt werden muss um
• lebenslagen- und teilhabebezogene Maßnahmen (Unterhaltssicherung, Wohngeld, Entschuldung; Teilhabeleistungen nach dem SGB II),
• Dienstleistungen anderer Professionen (Medizin/Psychiatrie, Psychotherapie, Schuldenberatung).
Das Soziale Problem Drogenabhängigkeit ist ein Beispiel dafür, wie weit die Spannweite einer umfassenden Problemlösung ggf. ausfallen muss.
Erforderlich sind z. B. Abkommen mit den Anbau- bzw. Herstellungsländern, Grenzkontrollen, polizeiliche Fahndungsmaßnahmen im Inland, Kontrolle von Finanzströmen, Präventionskonzepte, klinische Entzugsmaßnahmen für Abhängige, Substitutionsangebote, stationäre Therapieangebote und psychosoziale Hilfen durch Sozialarbeiter*innen.
Die Verschränkung von »persönlichen und sachlichen« Problemen zu verstehen und zu bearbeiten, wurde schon zu Beginn der Sozialen Arbeit als Beruf (damals unter dem Begriff der »Fürsorge«) formuliert: »Immer richtet sich die Fürsorge auf beides, den Menschen und seine Umgebung. Fast niemals genügt es, daß sie sich ausschließlich dem einen Faktor zuwendet« (Salomon 1926, S. 105; vgl. Kuhlmann 2000, S. 306).
1.2.2 Bearbeitung sozialer Probleme
Soziale Arbeit kann dazu beitragen, dass soziale Probleme nicht (wieder neu) entstehen oder sich verschlimmern oder zu Folgeproblemen führen, sie kann sie aber insgesamt nicht verhindern. Gewalt in Familien, soziale Benachteiligung im Bildungssystem, die Auswirkungen von Globalisierung und technologischem Fortschritt (Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit), Bezahlbarkeit von bedarfsgerechtem Wohnraum, die Auflösung von gesellschaftlichen Bindungen, zunehmende Trennungs- und Scheidungsraten etc. – all diese tief in der Gesellschaft und im Wirtschaftssystem verwurzelten Probleme lassen sich nicht durch Soziale Arbeit vermeiden.
Soziale Arbeit befasst sich an der Stelle mit Sozialen Problemen, wo sie den*die Einzelne*n oder Gruppen von Menschen konkret betreffen oder bedrohen und sich in Überlastung, Überforderung, in Zumutungen für Dritte, Benachteiligungen, sozialer Desintegration/Exklusion und unerfüllten Grundbedürfnissen präsentieren. Soziale Arbeit kann Menschen unterstützen, mit der Erfahrung des Ausgegrenztseins (z. B. Nichtteilhabe an Arbeit, Armut, Diskriminierung) so umzugehen, dass sich bietende Chancen genutzt werden können und Folgeprobleme unwahrscheinlicher werden.
Soziale Arbeit wirft – im Unterschied zu anderen Professionen – stets einen Blick auf die gesamte Situation eines Menschen: die Biografie als Folie für das Verständnis des Hier und Jetzt, die aktuell bestehenden Probleme und deren Verwobenheit, die vorhandenen und die fehlenden Ressourcen, z. B. die Tragfähigkeit des sozialen Netzes. Auf dieser diagnostischen Grundlage, die nur in intensivem Austausch mit den Adressat*innen erarbeitet werden kann, gilt es einen Handlungsplan zu entwerfen, der nicht starr sein darf, sondern immer wieder neu an die (oft fragile) Fallentwicklung anzupassen ist. Die Interventionsplanung erfolgt ganzheitlich, auch wenn nicht alle Probleme gleichzeitig angegangen werden können. Der ganzheitliche Blick auf den »Fall« verbietet aber, sich lediglich Teilproblemen zuzuwenden, wie es fachlich spezialisierte Helfer*innen tun, z. B. Psychiater*innen, die sich ausschließlich um psychische Störungen kümmern, aber nicht um die verschimmelte Wohnung, den fehlenden Kindergartenplatz oder die Konflikte von Betroffenen mit der Sozialbürokratie. Eine ganzheitliche Sicht bedeutet allerdings keine Exklusivzuständigkeit für die Umsetzung eines mehrdimensionalen Hilfekonzeptes (
Kap. 1.3).
Soziale Probleme, die durch die Soziale Arbeit bearbeitet werden, treten in unterschiedlicher Form auf, als
• belastende Lebensbedingungen (materielle Situation: Armut, Arbeits- und Ausbildungslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse; soziale Situation: fehlende oder konflikthafte Beziehungen zu anderen Menschen, soziale Ausgrenzung, fehlende lebensweltliche Unterstützung; Gesundheit: kognitive, psychische und körperliche Krankheit oder Behinderung). Auf den ersten Blick vergleichbare Lebensbedingungen können sich im Einzelfall als sehr unterschiedlich darstellen. Hinzu kommt, dass belastende Lebensbedingungen individuell sehr unterschiedlich erlebt werden können.
Wie Arbeitslosigkeit individuell erlebt wird, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, die individuell sehr verschieden sein können (finanzielle Rücklagen, soziale Einbindung, Dauer, Reaktion des sozialen Umfelds, individuelles Lebenskonzept etc.).
• Schwierigkeiten der Bewältigung von belastenden Lebensbedingungen. Schwierigkeiten ergeben sich aus der Diskrepanz zwischen den Menschen zur Verfügung stehenden individuellen, sozialen und materiellen Ressourcen (Wissen/Bildung/Erfahrung, Motivation, Selbstvertrauen, Durchsetzungskraft, soziales Netz, Einkommen, Gesundheit) und den zur Problembewältigung erforderlichen Ressourcen. Ein wichtiger Teil der Ressourcen wird im Laufe des Lebens erworben und angesammelt. Mangelnde Ressourcen führen zu Überforderungen, z. B. in der Erziehung und Versorgung von Kindern, im Umgang mit Geld und Konsumwünschen, bei der Regelung behördlicher Angelegenheiten, bei der Alltagsstrukturierung, bei der Konfliktbewältigung etc.
• abweichendes bzw. regelverletzendes Verhalten (z. B. Gewalt gegen Dritte, Straffälligkeit, diskriminierende und demokratiefeindliche Haltungen). Abweichendes Verhalten fällt erst dann in die Zuständigkeit der Sozialen Arbeit, wenn sein (Wieder-)Auftreten als Ausdruck unzulänglicher Sozialisation, biografisch erworbener Ressourcendefizite oder aktuell prekärer Lebensverhältnisse gedeutet werden kann, bei deren Bewältigung Soziale Arbeit aus Sicht des Gesetzgebers oder der Behörden ›angezeigt‹ erscheint.
Der ungelernte, arbeitslose Herr P. erhält eine Strafaussetzung zur Bewährung. Er wird einer Bewährungshelferin unterstellt.
Der wegen Anlagebetrugs verurteilte Diplom-Kaufmann Herr D. erhält ebenfalls eine Strafaussetzung zur Bewährung. Sein Arbeitgeber hat sich zwar von Herrn D. getrennt, Herr D. hat aber keinen persönlichen Unterstützungsbedarf. Er wird keiner Bewährungshelferin unterstellt.
Die materiellen/finanziellen Lebensbedingungen und die Ausstattung von Menschen mit Ressourcen wie Bildung, soziale Beziehungen und Gesundheit werden in der Soziologie unter dem Begriff Lebenslage zusammengefasst. Die Lebenslage ist ein Gradmesser für die Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft und damit ihrer Lebensqualität (vgl. Engels 2013, S. 615ff.)
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