Der Autor
Prof. Dr. Markus Ottersbach ist promovierter und habilitierter Soziologe und seit 2005 Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften. Seit 2014 ist er dort Direktor der Instituts für interkulturelle Bildung und Entwicklung und Leiter des Forschungsschwerpunkts »Migration und Interkulturelle Kompetenz«. Seine aktuellen Schwerpunkte in der Lehre sind Migration, Soziale Ungleichheit und Soziale Arbeit. Markus Ottersbach hat zahlreiche Forschungs- und Evaluationsprojekte im Auftrag staatlicher Institutionen, Stiftungen und sozialer Einrichtungen geleitet und zahlreiche Monographien, Sammelbände und Artikel zu den Themen Migration, Stadtsoziologie, Politische Partizipation, Jugendsoziologie und Soziale Arbeit publiziert.
Markus Ottersbach
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-037278-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-037279-5
epub: ISBN 978-3-17-037280-1
mobi: ISBN 978-3-17-037281-8
In der Öffentlichkeit gelten marginalisierte Jugendliche im besten Fall als eine Gruppe, der mit Mitleid zu begegnen ist, und im schlimmsten Fall als eine Gruppe, deren Verhalten als asozial zu bezeichnen ist und die deshalb weggesperrt werden muss. Während die Vertreter*innen der ersten Sichtweise eher eine caritative Haltung zeigen, finden sich die Anhänger*innen der zweiten Perspektive in ganz unterschiedlichen Lebenslagen und sozialen Milieus wieder. Es sind nicht nur Bewohner*innen wohlhabender Quartiere, die diese Gruppe Jugendlicher homogenisieren und ihr verächtlich gegenüber auftreten, sondern auch Vertreter*innen der Mittelschichten und auch der Unterschichten selbst, die Vorbehalte gegenüber marginalisierten Jugendlichen äußern. Auch verschiedene Berufsgruppen sind dabei vertreten: Neben Politiker*innen gibt es auch zahlreiche Vertreter*innen der Medien, die an reißerischen und spektakulären Bildern von diesen Jugendlichen interessiert sind und diese partiell auch im Rahmen ihrer Profession selbst produzieren.
Gemeinsam ist den ›öffentlichen‹ Bildern von marginalisierten Jugendlichen, dass sie erstens einer differenzierten, sachlichen, wissenschaftlichen und professionellen Perspektive widersprechen und zweitens der Gruppe nicht wirklich helfen, ihre Situation zu verbessern.
Eine solche, differenzierte, sachliche, wissenschaftlich fundierte und professionelle Sichtweise muss als erstes vor allem Abstand davon nehmen, dass es sich bei der Gruppe der marginalisierten Jugendlichen um eine homogene Gruppe handelt. Auch wenn die Mitglieder dieser Gruppe sicherlich mit ähnlichen strukturellen Gegebenheiten konfrontiert sind, unterscheiden sich ihre Umgangsweisen mit diesen strukturellen Bedingungen doch erheblich. Dennoch ist die Analyse dieser strukturellen Bedingungen eine zentrale Aufgabe sozialwissenschaftlicher Forschung. Um konkrete und professionelle sozialarbeiterische Ansätze und Konzepte zu entwickeln, darf die Forschung bei dieser Analyse jedoch nicht verharren, sondern muss auch die subjektiven Be- und Verarbeitungsweisen dieser strukturellen Bedingungen durch die einzelnen Mitglieder der Gruppe marginalisierter Jugendlicher betrachten.
Um eine effektive, professionelle Unterstützung marginalisierter Jugendlicher aus Sicht der Sozialen Arbeit leisten zu können, ist es zunächst wichtig, die für die Zielgruppe üblichen Bezeichnungen kritisch zu betrachten. Inzwischen kursiert eine ganze Menge an Titulierungen, die die Gruppe mehr oder weniger etikettieren und stigmatisieren. Einen analytischen und nicht-stigmatisierenden Begriff für die Zielgruppe zu finden, ist jedoch nicht einfach. Ein möglichst wertfreier, den Entwicklungsprozess berücksichtigender und nicht-stigmatisierender Begriff für diese Gruppe ist der Begriff »Marginalisierte Jugendliche«. Er ist neutral, reflektiert den Prozesscharakter und verhindert eine Stigmatisierung der Gruppe.
Neben der kritischen Auseinandersetzung mit Begriffen geht es bei der Erarbeitung eines professionellen sozialarbeiterischen Handlungskonzepts auch um Kenntnisse über gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Lebenslage der betroffenen Jugendlichen, deren Lebensstile und soziale Milieus. Damit rückt die gesellschaftliche Partizipation marginalisierter Jugendlicher ins Zentrum der Analyse. Die gesellschaftliche Partizipation umfasst alle drei Aspekte: die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Aspekte der Lebenslage, die von Pierre Bourdieu auch als Kapitalformen bezeichnet werden und das Verhalten und Handeln der Jugendlichen prägen, und auch die – aktive oder auch passive – Gestaltung des Alltags durch die Jugendlichen selbst, die im Kontext ihrer Lebensstile und der Zugehörigkeit zu sozialen Milieus sichtbar wird.
Für die Soziale Arbeit ist die Unterstützung marginalisierter Jugendlicher eine Herausforderung. Die zahlreichen Restriktionen, denen die Zielgruppe im Kontext der gesellschaftlichen Partizipation ausgesetzt sind, erfordern ein besonderes Bewusstsein für die zentralen Eckpunkte Sozialer Arbeit, die sich als Sozialraum-, Ressourcen- und Diversitätsorientierung und einer kritisch-reflexiven Ausrichtung der Sozialen Arbeit benennen lassen. Notwendig sind sowohl bereits bewährte als auch innovative Ansätze und Angebote der Sozialen Arbeit, mit denen diese Jugendlichen erreicht und gefördert werden können. Die Jugendsozialarbeit, die Gemeinwesenarbeit (GWA) und inzwischen auch die Schulsozialarbeit sind bereits bewährte Angebote und Ansätze, die marginalisierten Jugendlichen wirkungsvolle Unterstützungsleistungen bieten. Um soziales Lernen und inklusive Bildung zu ermöglichen, ist es jedoch zudem wichtig, diese Jugendlichen auch in Angebote der politischen Jugendbildung, der internationalen Jugendarbeit und der Jugendverbandsarbeit einzubinden, also in Angebote der Jugendarbeit, die eher Jugendlichen der Mittelschichten vorbehalten sind. Mit anderen Worten geht es darum, gemeinsame Angebote für Jugendliche unterschiedlicher sozialer Milieus durchzuführen, um soziales Lernen und inklusive Bildung zu ermöglichen. Schließlich muss es auch darum gehen, die Grenzen sozialarbeiterischer Interventionen in Bezug auf eine Verbesserung der Situation marginalisierter Jugendlicher darzustellen und auf die Verantwortung der Politik für dieses Ziel zu verweisen.
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