Die dunklen Bereiche verdeutlichen die Gruppe marginalisierter Jugendlicher. Dazu gehören exkludierte bzw. ausgegrenzte, »schwer erreichbare« und auch »unsichtbare« Jugendliche. Schwer erreichbare Jugendliche sind solche, die exkludiert sind und durch Maßnahmen des Hilfesystems kaum noch angesprochen werden können, um sie zu re-inkludieren. Häufig wird ihre Exklusion dann nur noch verwaltet. Die Lebenslage unsichtbarer Jugendlicher ist Institutionen meist gar nicht bekannt, ihre Kommunikation ist stark eingeschränkt oder gar nicht vorhanden, sie sind sehr introvertiert, halten sich nur selten in der Öffentlichkeit auf und bewegen sich meist ausschließlich in virtuellen Welten bzw. in sozialen Netzwerken. Aufgrund ihrer Unsichtbarkeit sind sie überhaupt nicht mehr für Institutionen erreichbar.
Eingeschränkte Ressourcen bzw. eine Lebenslage, die durch Armut, Arbeitslosigkeit, fehlende Bildung, Krankheit der Jugendlichen selbst oder ihrer Bezugspersonen gekennzeichnet ist, können zu folgenden, von Köhler & König (2016, S. 23) aufgeführten, sozialen Problemen führen:
• übermäßiger Medienkonsum bei starker Nutzung sozialer Netzwerke,
• Freizeitgestaltung, die von Phantasie- und Interessenlosigkeit sowie von geringer Initiative für neue Angebote und geringer Bandbreite an Aktivitäten geprägt ist,
• Mangel an positiven Vorbildern und Bezugspersonen (z. B. Freund*innen, Lehrer*innen, Verwandte, Ausbilder*innen),
• Isolierungstendenzen, geringe soziale Einbindung und bewusster sozialer Rückzug prägen das Sozialverhalten,
• mangelnde und unrealistische Zukunftsvorstellungen als Ausdruck empfundener Perspektiv- und Chancenlosigkeit,
• sozial abweichendes Verhalten, Passivität und Schulverweigerung,
• Häufung lebenskritischer Ereignisse und/oder traumatischer Erfahrungen, verbunden mit Angst und Misstrauen,
• erzieherische Defizite bei Eltern und Erziehungsberechtigten,
• Abhängigkeit von Suchtmitteln und häufig psychische Erkrankungen,
• wenig Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit aufgrund häufiger Versagenserfahrungen und negativer Reaktionen durch Andere.
Hingewiesen werden muss an dieser Stelle jedoch darauf, dass solche Reaktionen auftreten können, nicht notwendigerweise auftreten müssen. Zudem gibt es durchaus marginalisierte Jugendliche, die erfolgreiche Bewältigungsformen für ihre Probleme entwickeln. Dazu gehören z. B. auch hohe Bildungsaspirationen und -erfolge oder auch Aktivitäten wie z. B. widerständige Praktiken. Betonen muss man allerdings wiederum, dass marginalisierte Jugendliche von den o. g. sozialen Problemen weitaus häufiger betroffen sind als privilegiertere Jugendliche.

Wichtig ist es hervorzuheben, dass der Begriff der Marginalisierung sowohl eine Polarisierung von Personen bzw. Gruppen als auch eine Stigmatisierung derselben impliziert. Mit andere Worten: In eine marginalisierten Lage geraten Personen und Gruppen erst, wenn neben der Polarisierung bzw. Segregation auch eine Stigmatisierung stattfindet. Die Unterscheidung dieser beiden Prozesse ist wichtig, da nicht jede segregierte Person oder Gruppe auch gleichzeitig einem Stigma unterliegt. Zudem kann der Ruf einer marginalisierten Person, einer Gruppe oder sogar eines Quartiers sich durchaus ändern 3 .
Als Akteurinnen und Akteure der Stigmatisierung treten immer wieder sowohl Vertreter*innen der Medien und der Politik, aber auch gesellschaftlicher Institutionen wie die Schule, das Jugendamt oder die Polizei auf. Insbesondere der gemeinsame Auftritt dieser verschiedenen Institutionen kann zur Marginalisierung bestimmter Personen und Gruppen beitragen und für diese von verheerender Bedeutung sein. Zitate konservativer Politiker*innen werden insbesondere von der Boulevard-Presse immer wieder in die Öffentlichkeit transportiert. Indem Medien durch einseitige Berichterstattung bzw. Verlautbarungen ein negatives Bild bestimmter Personen, Gruppen oder sogar Quartiere konstruieren, bilden beide Institutionen eine so genannte unheilvolle Allianz. So werden häufig die angeblich »hohe (Ausländer-)Kriminalität«, der »starke Drogenkonsum«, die »enorme Gewaltbereitschaft« bestimmter Personen und Gruppen, aber auch deren fragwürdige Werte und Normen als Schlagzeilen für die Titelseiten der Boulevard-Presse verwendet. Aber auch eine scheinbar sensiblere Berichterstattung, die Klischees und Pauschalisierungen wie »türkische Kultur«, die Bezeichnung türkischer Jugendlicher als »Machos« bzw. türkischer Frauen als »Opfer der Zwangsverheiratung« benutzt, trägt zu dieser, für marginalisierte Personen, Gruppen oder gar Quartiere unheilvollen Allianz von Medien und Politik bei. Deutlich wird hier, dass von bestimmten Medien immer wieder bestimmte Jugendliche und diese in der Regel auch nur in bestimmten Regionen bzw. städtischen Quartieren 4 mit Phänomenen wie Drogen, Kriminalität und Bandentum in Verbindung gebracht werden. Jugend wird dann oft als ›Problem‹ konstruiert mit erheblichen Folgen für die Betroffenen. Hinzu kommt, dass bei den einseitigen Beschreibungen der Handlungen marginalisierter Personen und Gruppen mögliche Gründe für deren Entstehung regelmäßig vernachlässigt bzw. verzerrt wiedergegeben werden. Werden solche marginalisierte Personen, Gruppen und Quartiere von außen (z. B. durch Medien, durch politische Verlautbarungen oder auch durch die Wissenschaft) stigmatisiert, dann kann bereits die Angabe des Wohnorts bei der Jobsuche, in der Schule, bei der Polizei oder auf dem Wohnungsmarkt dazu führen, dass diese Personen in ein schlechtes Licht gerückt bzw. diskriminiert werden. Delinquente Karrieren können durch solche Prozesse forciert oder sogar angestoßen werden 5 .
Will man die Gründe der Marginalisierung der Jugendlichen analysieren, muss man sich die gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Lebenslage marginalisierter Jugendlicher, aber auch deren Lebensstile bzw. sozialen Milieus genauer anschauen.
1.7 Zusammenfassung und Arbeitsanregungen
In den Sozialwissenschaften und auch in der Sozialen Arbeit ist es wichtig, Wert auf die Wahl der Begriffe zu legen, weil mit den Begriffen häufig Wertungen, aber auch Vorurteile, Diskriminierungen und Stigmatisierungen verbunden sein können. Um eine professionelle Perspektive einzunehmen, müssen die Implikationen, Folgen und Konsequenzen der Begriffswahl reflektiert werden.
Die Benennung der hier behandelten Zielgruppe verdeutlicht, dass zunächst zwischen alltagssprachlichen und wissenschaftlichen Begriffen differenziert werden muss. Aber auch innerhalb der (Sozial-)Wissenschaften gibt es im Begriffsgebrauch Unterschiede, die meist erst deutlich werden, wenn man die Folgen und Auswirkungen der Begriffswahl reflektiert. So macht es durchaus einen Unterschied, ob von »bildungsfernen« oder »marginalisierten Jugendlichen« die Rede ist. Um Diskriminierungen und Stigmatisierungen der Zielgruppe zu verhindern, muss in Bezug auf die Zielgruppe deren Entstehungskontext berücksichtigt und eine individuelle Schuldzuweisung (wie beim Begriff der »bildungsfernen Jugendlichen«) vermieden werden. Auch die Darstellung des Status der Gruppe (wie beim Begriff der »sozialen Benachteiligung« oder auch beim Begriff der »Exklusion«) reicht nicht aus, um der Situation der Zielgruppe gerecht zu werden. Stattdessen wird in Bezug auf die hier thematisierte Zielgruppe für die Benutzung des Begriffs der »marginalisierten Jugendlichen« plädiert. Bei dieser Begriffswahl wird sowohl der Status der Gruppe neutral dargestellt als auch der Prozesscharakter berücksichtigt. Beide Aspekte tragen zudem maßgeblich dazu bei, eine Diskriminierung und Stigmatisierung der Zielgruppe zu verhindern.
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