Endlich in der Firma mit meinem Koffer, Handtasche und Rucksack angelangt, musste ich blöderweise meinem Chef, Herrn Stratter, über den Weg laufen. Bei meinem durchnässten Anblick grinste er breit und betrachtete interessiert meinen Koffer. So viel Pech konnte ich doch gar nicht haben. Trotzdem setzte sich ein breites Grinsen in meinem Kopf durch, weil ich im Gegensatz zu meinen letzten drei „Urlaubserlebnissen“ nicht erreichbar sein würde. Gleich käme eine Spitze von diesem, für mich nervigen, Mann und irgendetwas Anzügliches meinen Koffer betreffend. War mir echt egal. Super Gefühl, die Lockerheit oder Vorfreude auf London diktierten mein Gefühlsleben. Stopp, keinen Fehler machen. Pokerface konnte ich mittlerweile sehr gut. Der Typ ging mir einfach auf die Ketten. Wie eigentlich alle Männer in letzter Zeit, die ich auf Datingportalen oder in meinem Büro erdulden musste. London schwirrte mir wie ein Schwarm Hummeln im Kopf herum. Beruhigend summend und die Neugier mit Honig fütternd. Das erste Mal in die Stadt von Sherlock Holmes, Gwendolyn Shepherd, Olivia Silber, Lord Nelson, der Queen, Oliver Twist und einer Historie, wie sie hier in Berlin mitunter auch zu finden war. Der Big Ben und die Burg – Tower of London genannt – diese roten Doppeldeckerbusse auf der falschen Straßenseite fahrend, dunkle Pubs, ein Meer an Straßen, das an Parks brandete, die vielen Kirchen und die alten viktorianischen Häuser. Ertappte ich mich gerade rechtzeitig doch noch beim Lächeln, überhörte ich, was der Chef wieder in seinem vermutlich blöden Männergestammel von sich gab. Huch, da landete ich schon in unserem Büro, beengt, weil eigentlich nicht für drei Personen gedacht, sah ich Maren bei meinem Eintreffen. Endlich den ersten Punkt meiner heutigen Reise erreicht. „Hallo Maren. Puh, bisschen feucht, wahrscheinlich genau das englische Wetter zum Vorkosten“, grüßte ich die liebe Kollegin, die mir gegenüber saß.
„Hey, Sammy. Ja stimmt. Vorhin war der Chef hier und wollte mich über dich ausfragen, ob du in der Stadt bleibst. Hab ihm an den Kopf geworfen, dass ihn das ein Scheiß angeht, weil du seit zwei Jahren keinen zusammenhängenden Urlaub länger als eine Woche erlebt hast“, flötete sie mir mit einem diabolischen Grinsen zu.
Meinen Parka hatte ich einfach über meine Stuhllehne gehängt und den Koffer unter das Fensterbrett gestellt. Ach, Maren war ein Schatz, da bot ich ihr für ihre Anteilnahme und den Schutz meiner Privatsphäre ein Highfive an. War unter uns drei Kämpferinnen so üblich, denn sonst bekamen wir von den überwiegend männlichen Mitarbeitern nur Nörgeleien zu hören. Auch zu lesen. Zumeist ging daraus ihre eigene Dummheit hervor. Daran war allerdings die Frau Stratter, die Personalrätin des Unternehmens, maßgeblich schuld. Während Herr Stratter hübsche Damen bevorzugte, wählte sie milchbubige Yuppies aus. Als wäre ein Wettstreit zwischen beiden entbrannt.
„Komm, Patschehändchen. Find ick echt knorke von dir“ , sagte ich ruhig und noch vornüber gelehnt.
„Wow. Toller Ausschnitt hat dein neues Top. Gefällt mir, Große“, erwiderte sie mein Highfive immer noch grinsend.
So mochte ich meinen Tagesbeginn, setzte mich hin, schaltete den Monitor an und fand in meinem E-Mail-Postfach zuerst eine Nachricht vom Chef, in der er ernsthaft fragte, warum ich meinen PC über Nacht angelassen hatte. Heute ließ ich mich natürlich nicht mehr ärgern. Copy and Paste war einfacher, denn ich kopierte einfach die Statistik des Datenbankreports meiner dringend benötigten Aufräumarbeit. Kurz hielt ich inne und fing an zu kichern. Gleich kopierte ich einfach sämtliche Reportstatistiken der letzten zwei Wochen. Summarisch glatte 5905 Minuten Laufzeit und gleich noch den benötigten Speicher, weil der Arsch von Chef mir aus Kostengründen keinen neuen Rechner dafür genehmigen wollte. Ärgern? Kann ich definitiv besser. Währenddessen hatte ich es den Hummeln in meinem Kopf gleichgetan und angefangen zu summen. Dafür besaßen die Herrschaften da draußen im Anzug alle einen Rechner, einen Laptop, ab und an auch zwei, plus ein Handy. Je „härter“ sie drauf waren, auch einen Dienstwagen. Zurück zu meiner kleinen Rache. Ohne jede Erklärung, jedoch mit der Überschrift: Arbeitspensum Datenbankverwaltung zur Vorbereitung auf erwünschte, nicht dringend benötigte Zusatzmodule
Ich drückte ohne Gruß auf Absenden. Vorsorglich hatte ich noch Maren mit einer Kopie bedacht. Eine Minute später vernahm ich das laute Lachen Marens, die sich beinahe nicht mehr einkriegte. Irgendwie schaffte sie es mit ihrem klaren melodischen Lachen, mich aufzumuntern. Dass ihr Ex immer noch heulte, weil sie ihn vor einem Jahr, nach zwei dummen aufgedeckten Affären, in die Wüste geschickt hatte, konnte ich nachvollziehen. Da ich reichlich überarbeitet war, sogar der Betriebsrat bestand auf meinem Urlaub, ging mir mein gutes Benehmen mittlerweile völlig am Popo vorbei. Eben eine freche Hummel, hierhin und dahin fliegen, eine Blume hier probieren und eine andere da. Hätte ich den Popo etwa auch sicherheitshalber schminken sollen? London wartete. Doch leider stand mir noch das ungeliebte Familientreffen bevor. Die nächste E-Mail in meinem Postfach ließ ich liegen und holte mir einen großen Pott Earl Grey. So ließ es sich leben. Wir hatten uns eine eigene Minibar hergerichtet, weil die ewigen Diskussionen mit jeder von uns und den Schlipsträgern in der Küche einfach zu viel Zeit kosteten. Meistens verstanden diese Herren einfach nicht, dass wir nicht für jeden der Mutterersatz sind. Alle dachten, wir wären „ihre“ persönlichen Assistentinnen, zuständig für ihre Extras. Kaffee sollte ich sogar mal bereiten. Seitdem war ich rigoros. Soweit kommt das noch, studierte Informatikerin als Saftschubse. Die spinnen, die Römer, hallte es in meinem Köpfchen.
Vorurteile, die auch noch geschürt wurden, empfand ich als beleidigend. Servicekraft bin ich gerne, aber nicht auf Kosten meiner Reputation. So empfand ich meine Widerborstigkeit als gerechtfertigt, wie Rita und Maren eben auch. Eine meiner Erfahrungen der früheren Anstellungen lautete, Extras nur für extra liebe Kollegen. Wie ein Hundeleckerli. Nach dieser Erkenntnis, denn der Support, in dem die meisten Frauen arbeiteten, befand sich zwei Etagen unter uns, bedankte ich mich mit in einer E-Mail mit Bildchen. Damals rauften wir drei uns zusammen und erstritten uns dieses gemeinsame Büro. Die Schikane folgte in Form der Größe des Büros. Der Konter kam prompt, denn für Aktenordner und anderen Bürokram war einfach kein Platz mehr vorhanden. Rita jubelte immer wieder darüber, weil sie damit ungeliebte Arbeiten, das Stöbern in alten Papieren und Heftern, nicht mehr nebenher erledigen konnte, sondern in den Keller, in unser Register, expedieren musste. Kaum saß ich, öffnete sich die Tür und glücklicherweise für meine, ein klein wenig wankelmütige Laune, trat Rita ein. Mit ihrer schlanken Figur, dem jugendlichen Gesicht und den dunkelrot – nein, Hot Chili hieß das – gefärbten Haaren, sah sie für eine junge Mutter wirklich schön aus. Was aber viel wichtiger war, in unserer Runde fühlte sie sich pudelwohl und ergänzte unser Büro hervorragend in Farbe, Form und Wissen. Jedes Mal, wenn sie das Büro verließ, flüchteten einige der Kollegen in ihre Büros. Denn Rita konnte so richtig austeilen. Zurecht musste sie das können. Statt sich hinzusetzen, kam sie mit ausgebreiteten Armen zu mir. Ich stand auf und wir umarmten uns.
„Ach Sammy, ich freue mich so sehr, dass du mal nicht hier sein wirst. Wir haben dir auch etwas mitgebracht, weil du uns in den letzten Monaten so oft geholfen hast“, sagte sie und gab mir einen Umschlag.
Als ich den öffnete, fand ich einen Gutschein für The Shard darin. Das berührte mich unvermittelt, weil auch noch eine Karte, auf der ganz viele Kollegen unterschrieben hatten, beigelegt war. Der Support, der gesamte Wareneingang und der Empfang hatten diese Glückwunschkarte koloriert, als hätte ich einen runden Geburtstag. Doch kannte niemand außer der Personalabteilung diesen Tag, meinen Geburtstag. Glücklicherweise kannte ich den zuständigen Mitarbeiter und er versprach mir, nachdem ich ihm das dritte Mal aus einem ernsten Problem geholfen hatte (Löschen ist manchmal eben nicht wirklich weg), niemandem etwas zu verraten.
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