»Geschieht dir ganz recht, Mel.«
»Sag das nochmal.«
»Du hast es versprochen: Du triffst dich nicht mehr zu Haus mit dem Teufel. Lügner muss man bestrafen«
Und wenn schon, was ging es ihn an? Am liebsten hätte sie ihm den Hintern versohlt. Freute sich doch der Bengel über den Kratzer in ihrem Gesicht! Das war nun der Dank, dass sie ihn aufgenommen hatte? Dabei saß er, mit seinen Schlenkerbeinen und den Sockenfüßen, den lieben langen Tag nur faul auf dem Bierkasten unter dem Marilyn-Manson-Poster. Und überhaupt, Melda redete sich da etwas schön, das wurde ihr nun klar. Von wegen Maria-Ersatz. Der Kleine konnte Maria das Wasser nicht reichen.
Der Schmerz ließ allmählich nach, als Melda mit Brot und Äpfeln zum Esstisch vordrang. Was wusste der Bengel schon? Als ob sich Melda mit Luzifer träfe, nur weil sie ihn haben wollte. Doch für den Titel des Beelzebubs würde sie alles tun. Sogar dieses Baby beschaffen.
Tine Fabian, hatte Luzifer gesagt. Schreib dir die Telefonnummer auf. Sie ist eine Freundin Mephistos und sie will eine Hausgeburt.
Melda legte Äpfel und Brot auf den Tisch, dazu die Schokolade. Sie musterte Jorgas stumm. Dürr sah er aus. Dürr wie sie selbst. Wenn sie die Schokolade verschenkte, musste sie mit trockenem Brot Vorlieb nehmen. Danach stand ihr nicht der Sinn und dieser respektlose Jorgas hatte Strafe verdient.
Verführerisch raschelte sie mit der Silberfolie, ehe sie sie zerknüllte, auf den Müllberg warf, genüsslich von der Rippe abbiss und sich die Lippen leckte.
»Jorgas mag auch.« Die Faust des Knaben krachte auf sein Knie, Spucke tropfte aus seinem Mundwinkel, hasserfüllt hing sein Blick auf Melda. Sie warf ihm eine Kusshand zu.
»Mh, lecker.«
»Du bist böse«, knurrte das Balg. Sie lächelte.
»Du bist böse. Du frisst Schokolade. Und kleine Kinder.«
Kleine Kinder? In Meldas Schlund klebte die Süßigkeit. Sie atmete tief.
»Nimm das lieber zurück.«
Er schnaubte.
»Seelenfresserin, Bluttrinkerin.«
Bildfetzen tauchten auf. Eine Gruppe betender Männer in schwarzen Kutten. Und in ihrer Mitte, am Boden in eine schwarze Decke gehüllt, die kleine Maria.
Neben Maria Melda. Blut lief aus ihrem Mund.
Sie schüttelte den Kopf, die Bilder zerbarsten vor ihren Augen wie Glas. Das dumme, dumme Kind! Was wusste es schon von der Welt, von Melda? So satt hatte sie seine Beleidigungen.
»Reiß dich zusammen, Jorgas. Und bitte Satan um Vergebung.«
Jorgas sagte nichts, wirkte wie eingefroren und stierte wieder vor sich hin. Nur die Katze, zurück aus dem Bad, zeigte Lebendigkeit, indem sie mit den Krallen kleine Wollfäden aus Jorgas‘ Hosenbeinen zupfte. Der Lümmel spielte mit Meldas Gefühlen. Er will mein schlechtes Gewissen. Er will, dass ich leide, dachte sie. Niemand machte das mehr mit ihr. Niemand. Sie hatte genug gelitten, ihre Familie Luzifers wegen verlassen, dann Dimmi verlassen, und ihr Baby verloren.
Oh, sie wollte ihm die Zähne schon öffnen, dem Neidhammel, dem aufmüpfigen Unschuldsgesicht. Melda, hol den Essig. Das war Satans Stimme in ihrem Ohr.
Über die Brücke führte der Weg nach rechts zu dem Schrank mit den Schrubbern, Besen und Putzmitteln. Als Melda wieder vor Jorgas stand, hielt sie die glasklare Flasche. Miauend ergriff die Katze die Flucht in den Wäschekorb.
Der Essig verbrannte Meldas Hände, als sie den Lappen tränkte und sich Jorgas näherte. So verlangten es die Gesetze der Gruppe: Rebellen war der Mund mit Säure auszuwaschen.
Natalja
»Doc Stein is unnerwegs«, verkündete Pit, der soeben mit dem Handy am Ohr den Hof betrat. Horst Stein arbeitete als Pathologe im gerichtsmedizinischen Institut in der Kennedyallee. Hie und da kreuzten sich unsere Wege, etwa, wenn mir an der Natürlichkeit eines menschlichen Ablebens berechtigte Zweifel kamen. Bis heute war dies nur selten vorgekommen: Am Eindrücklichsten haftete mir die junge Frau mit dem blauen Auge und den zahlreichen Blutergüssen im Gedächtnis, die angeblich die Kellertreppe hinuntergefallen war. Gemeinsam mit der Polizei und Marc Bernstine, den ich bei dieser Gelegenheit vor sechs Monaten kennengelernt hatte, war ich einem Familiendrama auf die Spur gekommen.
Hilflos schauten wir auf Galanis' sterbliche Hülle. Die Leichenflecke und die Leichenstarre waren voll ausgebildet. Fliegeneier klebten an Augen, Mund und Nase und der offenen Stelle an der Kopfhaut, Maden waren bereits geschlüpft. Das deutete auf einen Liegezeitraum von um die zehn Stunden hin.
Ein laues Lüftchen wehte hier draußen, strich mit sanfter Hand durch mein Haar. Aber mir war kalt wie in Februar-Tagen.
»Wer macht denn so was?« Assoziationen an Indianer und Marterpfähle tauchten vor meinem inneren Auge auf, obwohl Galanis nur ein recht kleines Quadrat Kopfhaut fehlte. »Ich frage mich gerade«, sagte ich mit trockenem Mund, »ob diese ... Teufel ... die Hände im Spiel haben.«
»Daran dachte isch aach schon.« Pit presste die Lippen aufeinander und zeigte auf Galanis' Nacken. »Und zwar deshalb. Das hier is doch des Satanssymbol?«
Ich zuckte zusammen. Ein Goats Head. Ziegenkopf. So einen hatte auch Dana auf ihrer Schulter getragen. Meines Wissens hatte sie aber nie mit Satanisten zu tun gehabt. Oder doch?
»Du kanntest den Mann?«, wollte Pit wissen, dem meine Reaktion bei der Betrachtung der Leiche aufgefallen war.
»Kennen ist zu viel gesagt. Ich hab drei Wörter mit ihm gewechselt.« Ich rieb meine Arme, bis mir wärmer wurde. Es war natürlich Unsinn, doch ich machte mir Vorwürfe, gestern nicht länger an der Seite des Professors verweilt zu haben. Was für ein Drama war da passiert, während ich seelenruhig mit dem Bus nach Hause fuhr?
Die wichtigste aller Fragen brannte mir auf der Zunge: Was hatte Galanis ausgerechnet in meinem Hof verloren?
»Der Mord passierte sischer ganz in der Nähe«, meinte Pit, der ja die Theorie vertrat, dass die Entsorgung in meinem Hof dem puren Zufall geschuldet war.
»Ich wüsste zu gern«, sagte ich, und ich wiederholte mich, »ob das hier einen Zusammenhang mit der Seestraße hat, wo die Satansbrüder wohnen.«
»Überlass die Fragen lieber der Polizei, Allia.«
Carlos war herangetreten, ein seltener Anblick in meinen heiligen Hallen und ebenso im Hinterhof, wo schon mal der eine oder andere leere Sarg lagerte. Niemand verdrängte den Gedanken an Gevatter Tod so sehr, wie er es tat. Umso mutiger fand ich es, dass er ausgerechnet mich zur Partnerin gewählt hatte. Er war eine respektable Erscheinung, doch ich sah seine Augen unruhig flackern. Der Anblick der Leiche musste ihn tief verstören. Zu Recht, wie ich meinte. Die Situation war so irreal wie bedrückend.
»Lass uns ins Haus gehen«, bat ich Carlos, der die Nummer der Schulleitung wählte, um sich für heute freizunehmen. Mir wurde klar, dass bis zum Eintreffen der Kripo bei der Leiche niemand etwas zu suchen hatte. Aber da stand er schon im Hof, der wandelnde Vorwurf.
»Natalja.« Horst Stein, mittelgroß, schmal und eine Frisur wie Einstein, machte einen förmlichen Diener vor meinem Rollstuhl, Schuppen fielen von seinem Scheitel auf meine schwarze Hose. »Schade«, sagte er, »dass die Umstände nicht erfreulicher sind.«
»Liebling«, wandte ich mich an Carlos, »das ist Dr. Stein.«
Carlos reichte dem Doktor die Hand. Ich gewahrte den neuen Anhänger an der Kette um seinen Hals. Extravagant in der bizarren Form und sicher nicht von der Stange. . Erinnerte an sein Sternzeichen, den Steinbock. Carlos hatte Geschmack, und den zeigte er gern her.
Ehe er den Arm um meine Schulter legte, begrüßte er auch Steins hinzugetretenen Kollegen sowie die zwei eingetroffenen Polizisten. Ich indessen fegte genervt die unappetitlichen weißen Punkte von meinen Hosenbeinen.
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