Beschdaddungsundernehme.
»Gude, Allia.« Er trat ein, zur selben Zeit wie Georgina, die sich des vollen Abfallkorbs annahm. Sie hatte wohl wieder schlecht geschlafen, unter ihren Augen schimmerten bläuliche Ränder.
»Was ist los, Pitti? Schaust ja, als wär einer gestorben.« Grinsend kniff ich ihn in die Seite. Er musterte mich.
»Du hast kei Ahnung, odder?«
Ich stellte fest, dass Mona sich noch im Haus aufhielt, denn sie steckte den Kopf zur Tür herein. Irgendwie schaute sie genauso belämmert drein wie Pit.
»Es ist einer gestorben«, erklärte Pit und tauschte einen Blick mit Mona, danach verschwand ihr Kopf wieder, und auch meine Perle verließ den Raum, den Papierkorb unter dem Arm.
Ich nickte. »Weiß ich doch. Der Herzinfarkt.«
Erst überlegte ich, niemand hatte mich über einen Neuzugang informiert, und das ging gar nicht. Aber dann musste ich lachen, als ich den verwirrten Ausdruck in dem Lausbubengesicht sah.
„Noch kei frische Luft geschnappt, heut?« Pitti schnaufte. »Das tote Professorsche ... wie drück isch es vorsischdisch aus ...«
»Professor? Nun mach es nicht so spannend, mein Blutdruck ... schon viel zu hoch heute Morgen ...« Demonstrativ deutete ich auf den Aktenstapel, der auf mich wartete.
»Er heißt Dimitrios Galanis, einundfuffzisch Jahr alt«, erklärte Pit mit leicht hilflosem Ausdruck. »Isch hab den Perso gefunne, in seiner Hosentasch. Und eine Rechnung von Amazon.«
»In welchem Raum?«
Pit zuckte mit den Schultern und deutete Richtung Tür. Draußen hörte ich Mona werkeln. Allmählich wurde ich sauer. Vorsorglich wendete ich meinen Rollstuhl.
»Will mich mal einer aufklären ... Wer ist denn jetzt der Tote? Frankfurter?«
Ein Nicken.
»Und was ist an dem ... Professor so besonders, außer, dass er klammheimlich durch meine Hintertür ...?«
Pit deponierte eine Plastiktüte auf dem Schreibtisch. Seine hellen Augen fixierten mich.
» Der Galanis is unvollständisch, gewissermaßen.«
Sofort kamen mir Bilder. Nikotinkrüppel hatten wir hin und wieder mal auf dem Tisch. Ich fummelte in der Tüte herum. Pit hörte nicht auf, mich anzusehen, indessen meine Finger auf etwas Kaltes, Rundes stießen. Ich spähte in die Tüte, fand einen Opalring. Irgendwie wurde mir mulmig bei dem Anblick. Das Teil sah fast aus wie …Der Ring sank in die Tüte zurück.
»Okay. Unvollständig. Was heißt das?“
Ich stand bereits in den Startlöchern, die Hände an den Rädern. Am besten war, ich sah selbst nach dem Rechten.
»Der Professor is rasiert.«
Ich hüstelte. Als wäre Galanis der Erste mit epilierter Brust oder einer Rasur im Schambereich! Pit war altmodisch in diesen Belangen, da hielt sie seinen Freund Jochen für deutlich aufgeschlossener.
„Galanis fehlt ein Stück Skalp, Briefmarkengröße.«
Nichts hielt mich mehr im Büro. Pit schloss auf.
»Warte mal!«, rief er, doch ich war schneller. Raum drei war wie die zwei anderen gut gekühlt, dennoch roch ich die Leiche. Man sagte, mit der Zeit gewöhne man sich. Meine Nase reagierte schon auf die feinsten Nuancen. Ich hatte meinen Beruf von der Pike auf erlernt, Familienbetrieb, war gewissermaßen zwischen Särgen aufgewachsen und hatte mit meinen Freunden darin Verstecken gespielt. Und dennoch war ich stets froh, die Verstorbenen bald Erde, Feuer oder Wasser überantworten zu dürfen, die Fenster zu öffnen und den Tod aus dem Haus zu jagen. Es hatte etwas von Tabula rasa.
»Das ist Frau Markwart«, stellte ich irritiert fest, als ich das Laken vom Kopf der Leiche in unserem Raum für Neuankömmlinge zog.
Doch wieder deutete Pit Richtung Tür. »Isch hab wohl gestern Abend vergesse, das Tor abzuschließe.«
Herrgott, musste man ihm denn heute jeden Wurm aus der Nase ziehen?
»Pitti, du sprichst in Rätseln. Im Hof – das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Besser, du informierst den Horst Stein.«
Ich schwankte, ob ich wirklich zuerst den Gerichtsmediziner anrufen sollte oder doch die Polizei, als ich vor dem Toten stand.
Er lehnte sitzend mit dem Rücken an der Häuserwand. Unter halb offenen Lidern hervor sah er durch mich hindurch. Er hatte braune Augen. Braun mit einem Schuss goldenen Gelbs wie Safran.
Melda
Die Frau gegenüber blickte sie traurig an. Melda streckte die Hand nach ihr aus, doch die traf nur auf die Kälte des Flurspiegels. Luzifers dritter Versuch hatte schließlich gefruchtet, sie hatten miteinander telefoniert und ein Date vereinbart – unter Jorgas‘ finsteren Blicken. Luzifer behauptete, er sei immer noch verrückt nach ihr, sie aber konnte diese Liebe nicht fühlen und sehnte sich nach einem anderen. Eine Weile hatte sie überlegt, einen Spaziergang zu machen, hinauszugehen aus ihren vier Wänden, und sie hatte sich den feinen Seidenschal mit den Bommeln umgelegt, weil sie sich im Schatten so leicht verkühlte. Aber ihren Gedanken nachhängen, das konnte sie ebenso gut im Beisein Jorgas‘ und der Katze. Sie mochte sowieso keine Menschen, mit Ausnahme einiger Apostelbrüder und -schwestern. Die Momente, die sie mit der Außenwelt verbanden, ließen sich an einer Hand abzählen: Da waren die Gruppentreffen, alle paar Wochen ein Kinobesuch, und samstags der Einkauf bei Edeka.
Die freie Ecke der Couch, auf die Melda seitlich blickte, lud sie zu einem Schläfchen ein, gleich nach dem Essen. Ob sauber oder nicht, dies war ihr Zuhause, ihre Trutzburg, und in drei Jahren, dachte Melda, ging die Zeilsheimer Mansarde komplett in ihren Besitz über, sobald die letzte Rate fällig wurde. Die letzte Rate würde sie aber nicht begleichen können, wenn Luzifer finanziell nicht bald einsprang. Sie mussten reden. Immerhin schuldete er ihr noch eine größere Summe. Als Krankenschwester und spätere Hebammen-Schülerin war Meldas Gehalt nicht gerade üppig ausgefallen, doch auch die Ersparnisse aus der Zeit der Telefonsex-Stunden wurden langsam knapp. Luzifer zuliebe hatte sie die Hebammen-Schule abgebrochen. Er fand es damals eine gute Idee, wenn sein Mädchen den Kameraden ein Zeichen setzte, und sich mit vollem Einsatz der Gruppe widmete.
Im Spiegel suchte ihr Blick Jorgas‘, und sie erschrak. In jüngster Zeit häuften sich die Momente: Der Spiegel zeigte einen apathischen Buben, der, ohne zu blinzeln, vor sich hin starrte, und von Melda kaum Notiz nahm, so, als sei er gar kein menschliches Wesen. Fehlten ihm die Spielkameraden? Seine Reserviertheit ärgerte sie. Er war doch ihr Freund, ihr Seelenpartner, ihr Ersatz für Maria. Nie im Leben hätte Maria ihr solch eine kalte Schulter gezeigt.
Mit einem Handgriff löste sie den Seidenschal und fühlte die wachen Katzenaugen von der Couch her auf die tanzenden Bommeln gerichtet. Sie ging in die Hocke, um eine lang vermisste Haarspange vom Boden neben dem Schuhschrank aufzuklauben, an dessen Seitenwand noch die Tüte vom gestrigen Einkauf lehnte. Im Begriff aufzustehen, mit der Haarspange und der Tüte und der Tafel Schokolade in Händen, spürte sie eine weiche Pfote an ihrem Hals.
»Schleich dich, Katze, hörst du wohl?« Der preiswerte Laib Bauernbrot vom Vortag, zwei Äpfel und ein Döschen herzhaftes Ragout in Sauce kullerten aus der Plastiktüte. Für die teure Alpenmilchschokolade hatte das Geld nicht gereicht.
Die weiche Pfote spitzte die Krallen, und aus dem Spiel mit den tanzenden Zipfeln des Schals wurde Ernst. Ein scharfer Schmerz riss an Meldas Wange. Ehe sie das Katzenvieh am Schwanz packen konnte, war es ins Bad geflüchtet, und es tat gut daran. Luzifer hatte Melda gelehrt: Hasse deine Feinde von ganzem Herzen. Wenn jemand dir auf die Wange schlägt, schlage ihn auf die andere.
Aus dem Spiegel starrte ihr eine vertrocknete alte Jungfer entgegen, dabei war sie erst Mitte dreißig. Im Hintergrund rührte sich Jorgas, reckte die Glieder, wandte sein Gesicht voller Spott Melda zu.
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