»Au!«
Oh Mann, das tat verflixt weh. Der Ritter und der Knappe waren noch da, und der Sattel schwebte immer noch hinter ihnen. Außerdem schauten sie Marmel so verdutzt an, als ob sie nicht alle Tassen im Schrank hätte. Sie hatten wohl ihren epileptischen Anfall gesehen. Sie selbst fand den Ritter und den Knappen viel verrückter als ihr Gezappel. Vielleicht sollte sie sich nochmal kneifen? Marmel entschied sich dagegen. Der Ort war seltsam wie ein Traum, doch er schien Wirklichkeit zu sein. Die Wolldecken kratzen, und der Boden war ungemütlich hart. So etwas träumt man doch nicht. Sie erinnerte sich an ein Gefühl der Schwerelosigkeit, bevor sie auf dem Felsvorsprung gelandet war. Vielleicht war sie auf einem fremden Planeten. Dann wäre sie die Erste, die ihn entdeckte. Der Gedanke war aufregend und großartig. Er gab ihr den Mut einer Entdeckerin. Sie wollte alles über diesen Ort herausfinden.
»Danke, ich habe gut geschlafen. Ich heiße Marmel Klebowski und wie heißt du? Und wer ist der dicke Ritter?«, antwortete sie dem Knappen.
Armins Grinsen schrumpfte, und Zweistiefel grinste umso breiter. Nicht einmal er nannte Armin vom Schwalbenacker „dicker Ritter“, das traute er sich nicht.
»Mein Name ist Zweistiefel und der Dicke, ich meine, der alte Mann ist Armin vom Schwalbenacker.«
»Freut mich euch kennenzulernen«, lächelte Marmel. »Ich glaube, ich habe mich irgendwie verlaufen. Wo bin ich hier?«
Zweistiefels Brust schwoll an, ihm gefiel Marmels Neugier. Er fühlte sich einmal wichtig.
»Verlaufen, also so etwas. Du hast dich wohl in eine Sternschnuppe verirrt. Du bist auf Jagomus im Drachengebirge. Der vollständige Name unserer Welt lautet „Kleisternebenagerumpeluff“. Das Wort beschreibt, wie das erste Geräusch unserer Welt klang. Es klang so, wie ein Topf Kleister, der auf einen Hamster fällt. Eines Tages nannten wir den Hamster Jago und zum Kleister sagten wir Mus.„Kleisternebenagerumpeluff“ ist ein langer Name und niemand kann ihn richtig aussprechen. Deshalb mochte keiner über den Planeten reden, es führte ständig zu Missverständen und Heiserkeit. Dann kürzten wir den Namen ab und sagten Jagomus. Damit sind alle glücklich. Jagomus klingt schön, nicht wahr? Darf ich fragen, aus welchem Land du stammst und welchen Titel du trägst?«
Ritter Armin vom Schwalbenacker räusperte sich.
»Ich störe ungern die nette Plauderei. Später würde ich gerne mehr von Ihr erfahren, Marmel Klebowski. Es gilt viele Fragen zu beantworten. Doch Sie ist wohl krank, Mädchen. Wir sollten eiligst zum Schamanen gehen und ihn um Rat fragen.«
Von wem spricht der Ritter? Verwirrt schaute Marmel um sich, sie sah kein zweites Mädchen oder vielleicht ein Kleid ohne Mädchen. Wie der Sattel ohne Pferd.
»Herr Schwalbenacker, von wem redest du?«
»Ich rede von Ihr!«
Würdevoll gestikulierte der Ritter mit der Hand. Durch die Geste wurde seine Antwort nicht klarer, und Marmel runzelte die Stirn.
»Ich sehe keine Ihr.«
Der Ritter grunzte:
»Nun, das ist natürlich. Sie würde Sie wohl im Spiegel sehen.«
Marmels Runzeln auf der Stirn vertieften sich, jetzt stand auch ihr Mund offen. Es gab ein Mädchen im Spiegel und sie sollte das Mädchen kennen? So ein ausgemachter Quatsch.
Zweistiefel grinste heimlich. Wie lustig sind Marmels Fragen an Armin. Schadenfroh beobachtete er, wie der Ritter an ihnen verzweifelte. Nach einiger Zeit wurde ihm langweilig, der Spaß dauerte lange genug, und in Zweistiefel keimte ein bisschen Mitleid auf. Er lugte hinter Armin vom Schwalbenacker hervor und sprach träge:
»Der alte Mann redet von dir. Er spricht alle in der dritten Person an.« Verschwörerisch beugte er sich zu Marmel herunter. »Ich glaube der Alte sieht manchmal doppelt.«
»Oh, achso.« Nach dieser Auskunft verstand Marmel nicht viel mehr und wunderte sich sehr. »Herr vom Schwalbenacker, ich erzähle später gern etwas von mir. Mich haben schon viele Ärzte untersucht. Aber wenn du möchtest, gehe ich mit dir zum Schamanen.«
Marmel war nicht überrascht. Insgeheim hatte sie geglaubt, dass ihre Eltern bald auf die Idee kommen würden, sie zu einem Schamanen zu bringen. Den Sattel betrachtete sie misstrauischer.
»Keine Sorge, er ist ein braver Sattel«, brummte der Ritter.
Er wickelte ihr fürsorglich eine Wolldecke um die Schultern und setzte Marmel auf den Sattel. Sie linste nach unten, wo sie die Hufe sehen sollte und fragte verwundert:
»Warum hängt der Sattel in der Luft?» Marmel schnüffelte. »Und wieso riecht es hier nach Eierbrot?«
»Ach, mmh. Nun, ja. Wir sollten aufbrechen. Ein langer Weg liegt vor uns«, blubberte der Ritter, er klaubte das goldene Schwert auf und ging mit langen Schritten voraus.
Armin redete ungern über das fehlende Pferd und den Geruch nach Eierbrot. Das Gespräch lief zwangsläufig auf den Grund seiner leeren Geldbörse hinaus. Er war kein gefragter Held. Seit Jahren erschlug er Ungeheuer, aber Ruhm und Reichtum blieben aus. Wenn er doch wenigstens Ruhm ernten würde. Schön wäre es, wenn ein Liedermacher die Heldentaten des Armin vom Schwalbenacker besingen würde.
Wie immer schleppte der Knappe den goldenen Schild, der auf einer Reise eine lästige Last war. In der anderen Hand hielt er die Zügel, die am Sattel fest gebunden waren und keuchte dem Ritter hinterher. Zweistiefel hustete atemlos neben Marmel:
»Der Sattel hängt in der Luft, weil der alte Mann kein Gold für ein Pferd hatte. Seine Rüstung besteht aus Koboldknacker, deshalb riecht sie nach Brot. Koboldknacker ist wohl das härteste Brot im ganzen Universum. Es ist das einzige Brot, das Koboldzähne zerknackt. Und der goldene Überzug ist Dracheneidotter. Der alte Mann wird nicht gerne auf seine Ausrüstung angesprochen. Denn das ist eine Arme-Ritter-Rüstung.«
Diese Leute kleiden sich furchtbar seltsam, staunte Marmel. Sie zog müde die Wolldecke enger um ihre Schultern, klammerte sich an den Sattel und nahm die Umgebung der fremden Welt in sich auf. Ein frischer Wind wehte ihr um die Nase. Er trug den Geruch eisiger Bergspitzen, klammer Felswände und winziger Blumenbüschel mit sich. Das Grüppchen verließ den Felsvorsprung, es wanderte den schmalen Felsweg entlang und gesellte sich zu den winzigen Punkten am Fuße des Drachenberges.
Ein ungewohntes Geräusch weckte Marmel auf. Zwischen Sattels rhythmisches Stampfen, Zweistiefels Ächzen und Armins Schnaufen mischte sich ein lautes Rauschen. Marmel hob verschlafen den Kopf. Sie saß auf Sattel und scheinbar umgab sie nur Luft. Die Luft fühlte sich an wie zwei Flügel, die Marmel umhüllten. Dieses Gefühl erstaunte sie nicht. Auf der langen Reise war sie nur wegen der festen Luft nicht aus dem Sattel gefallen. Das neue Geräusch war bemerkenswerter. Ein großer Wasserfall verursachte es. Das Wasser sprudelte aus einem Loch in einer dicken Steinmauer. Die Mauer war Teil einer Burgruine vor ihnen. Das verfallene Gemäuer stand auf einem grasbewachsenen Hügel, hier und dort ragte schroffer Fels aus dem grünen Teppich, wie eine Insel lag der Hügel inmitten eines dichten Waldes.
»Sind wir wieder falsch abgebogen?«, gähnte Marmel.
Vor ihr kraxelte Zweistiefel auf einem gewundenen Trampelpfad den Hügel empor, der Sattel schwebte lahm wie ein sturer Esel hinterher. Zweistiefel zerrte an den Zügeln und griff hektisch nach dem Schild, der ihm fast entglitt. Er grunzte etwas unter dem goldenen Schild, aber Marmel konnte nicht erraten, was ihr Zweistiefel sagen wollte.
Der Ritter schnaufte und pfiff bei jedem Atemzug, doch er redete deutlicher als sein Knappe.
»Hoho, Sie ist kaum wach und scherzt schon. Wie wäre es möglich nun falsch abzubiegen? Wir sind angekommen, beim Heim des Schamanen!« Armin vom Schwalbenacker deutete schwungvoll auf die Mauerreste, sein Bauch wackelte unter der Rüstung. »Nun beeile Er sich, Zweistiefel. Er sollte nicht rasten, so kurz vor dem Ziel!«
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