Das Geheimnis des Gutsherrn
Christina Tempest
SAGA Egmont
Das Geheimnis des Gutsherrn
Originaltitel:
Godsejerens hemmelighed – en erotisk julefortælling
Übersetzt von
Mareike Zoege
Copyright © 2017, 2018 Christina Tempest und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726740844
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit SAGA Egmont und den Autoren gestat
Eines war sicher. Jedes Mal, wenn sich Cecilie gerade damit versöhnt hatte, in der Stadt zu wohnen, wurde sie daran erinnert, wie sehr sie die offene, freie Natur vermisste. Die Schönheit der frostweißen Landschaft, als die Nachmittagssonne hervorbrach und auf die bleichen Felder schien, gab ihrem Herz einen wehmütigen Stich. Aber nicht einmal das Wiedersehen mit Nordjyllands grandioser Natur konnte Cecilies Gedanken an ihre Diskussion mit Karen gänzlich verscheuchen. Seit sie ein paar Stunden vorher Kopenhagen verlassen hatte, hatten sie die Worte der Freundin nicht losgelassen. Zur Ablenkung hatte sie das Radio angeschaltet, aber auch die klassischen Weihnachtshits, die das kleine Auto auf der Reise in Dauerschleife beschallten, konnten die Gedanken nicht vertreiben. Wenn Cecilie noch mehrere Stunden nach einem solchen Gespräch sauer war, war das leider in der Regel ein sicheres Zeichen, dass ihre äußerst ehrliche Freundin recht hatte. Verdammt. Auf der Schnellstraße steckte Cecilie eine ganze Weile hinter zwei Lkws fest, die ihre Zeit damit totschlugen, sich gegenseitig zu überholen. Cecilie trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. War sie wirklich zu langweilig, wie Karen behauptete? So lang war ihre letzte Beziehung nun wirklich nicht her. Sie schaltete den Blinker ein, fuhr von der Schnellstraße ab und zählte mit den Fingern nach, während ein Traktor vor ihr langsam die eisige Fahrbahn entlang schlidderte. Ja, okay, es war zweieinhalb Jahre her. Zweieinhalb Jahre? So lang kam es ihr gar nicht vor, was bestimmt auch daran lag, dass sie den Job bei der Ægidius-Stiftung bekommen hatte. Das Geld anderer Menschen an verschiedene umweltfördernde Projekte zu verteilen war ungefähr der beste Zeitvertreib, den Cecilie sich vorstellen konnte. Aber sie musste vielleicht nicht unbedingt all ihre Zeit dafür verwenden.
Bevor sie zu einem Schluss kommen konnte, ob Karen vielleicht recht damit hatte, dass es Zeit war, sich wieder in die Dating-Welt zu begeben, bog der Traktor auf einen Schotterweg ab und sie hatte freie Sicht. Es verschlug Cecilie fast den Atem, so schön war die Landschaft im Sonnenuntergang. Nordjyllands windgeplagten Weiten waren wirklich ein vergessener Juwel. Aber sie bezweifelte, dass es der richtige Ort war, um Karens Rat zu befolgen, sich einen Mann zu suchen. Nachdem Cecilie im Gasthof eingecheckt hatte, der einzigen Übernachtungsmöglichkeit in der winzigen Stadt, gab es keinen Zweifel mehr: Sie musste auf jeden Fall zurück nach Kopenhagen, um irgendeine Hoffnung haben zu können, einen Mann kennen zu lernen. Astrup war eine der kleinsten Städte, in der sie je gewesen war.
Sie stellte ihren Koffer in ihrem Zimmer ab, das immerhin herrlich warm war und eine fantastische Aussicht hatte. Sie freute sich schon jetzt darauf, morgen die Sonne durch das große Fenster scheinen zu sehen, und war dankbar, dass ihr Meeting auf dem örtlichen Gut spät genug beginnen würde, um im Gasthof bleiben zu können, bis die Sonne aufgegangen war. Ein Sonnenaufgang war ein Genuss, der in Kopenhagens eng stehenden Häusern äußerst wenigen vergönnt war, und auch wenn sie ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im zentralen Altbauviertel Vesterbro vergötterte, packte sie manchmal die Sehnsucht nach dem Licht und der Weite, die an ihre Kindheit auf dem Land erinnerten. Sie ging hinunter und schaute sich in dem menschenleeren Foyer um.
„Womit kann ich helfen?“, fragte die freundliche Empfangsdame, eine rundliche Frau um die Fünfzig, die nicht zu verbergen versuchte, dass sie dasaß und Kreuzworträtsel löste.
„Wo kann ich etwas essen gehen?“
„Wir öffnen um 18 Uhr.“
Die grauhaarige Frau lächelte sie warm an und schien sich nicht bewusst zu sein, wie putzig es war, dass sie nicht einmal gefragt hatte, an was für Essen Cecilie interessiert war.
„Sie können sich schon reinsetzen.“
Das bedeutete offensichtlich, dass es in dieser Stadt nur einen Ort gab, wo man etwas essen konnte, und Cecilie war bereits dort.
„Wenn Sie keine Pizza möchten?“, fragte die Empfangsdame hilfsbereit.
„Nein, nein, dänische Küche ist in Ordnung.“
Es wäre eine Untertreibung, zu sagen, dass das Restaurant Astrup Gasthof nicht so gut besucht war. Es war völlig leer.
„Eine Person?“
Cecilie nickte schicksalsergeben. Nach so vielen Jahren in ihrem Job hatte sie sich daran gewöhnt, allein ins Restaurant zu gehen, aber es war etwas anderes, allein in ein vollkommen leeres Restaurant zu gehen. Fast leer. Als sie gerade angefangen hatte, die Speisekarte zu lesen, sah Cecilie einen groß gewachsenen Mann, der genau nach ihr hereingekommen sein musste. Er setzte sich an einen Tisch in der Ecke und bestellte in einem gedämpften Murmeln, ohne überhaupt in die Karte zu gucken. Offensichtlich ein Stammkunde. Er war schick auf diese gesunde, naturverbundene Weise. Helles, wogendes Haar, markante Kieferknochen und charakteristische Nase. Er sah auf und Cecilie senkte schnell den Blick, aber für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Er nickte ihr kurz zu und schaute weg. Sie spürte die Röte die Wangen steigen, obwohl er unmöglich wissen konnte, dass sie gerade eine SMS an Karen geschickt hatte: Ok, du hast recht. Ich muss den Hintern hochkriegen und einen Mann finden. Während sie auf ihr Essen wartete, vibrierte ihr Handy. Sie drehte es um und las die Nachricht: Wenn du nicht innerhalb einer Woche jemanden getroffen hast, arrangiere ich dir ein Blind Date! Okay? Sie lächelte und antwortete direkt: Eine Woche?! So schnell findet man keinen Freund. Die Antwort kam, bevor sie das Handy auch nur aus der Hand legen konnte: Wer redet von fester Beziehung? Willkommen in den 2000ern, Cille. Es ist erlaubt, sich an den Leckerbissen zu bedienen… Am Ende der Nachricht hatte sie einen Zwinkersmiley hinzugefügt, der die Zunge rausstreckte, und einen unmissverständlichen Auberginen-Emoji. Cecilie kicherte und steckte das Handy in die Tasche, ohne zu antworten. Als sie aufsah, traf sie wieder den Blick des Mannes. Er bohrte sich in ihren, bevor sie wegsehen konnte, und das Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, war unmissverständlich. Als der Kellner genau in diesem Moment zwei Teller brachte und den einen auf ihrem und den anderen auf dem Tisch des fremden Mannes abstellte, fasste sie einen schnellen Beschluss. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, warf sie sich ihre Tasche über die Schulter, nahm Teller und Besteck in die eine und das Glas in die andere Hand und steuerte auf den Tisch des Fremden zu.
„Ja?“, sagte er und sah auf, als sie plötzlich vor ihm stand. Ihre spontane Initiative war ebenso kühn wie weit entfernt von ihrem gewöhnlichen Stil. Sie bereute es bereits, aber jetzt schien es kein Zurück mehr zu geben.
„Ich dachte nur…“
Die Energie hatte sie verlassen. Warum in aller Welt war sie zu einem wildfremden und sehr aparten Mann herübergegangen, der in Ruhe seine Mahlzeit im Restaurang Astrup Gasthof genießen wollte?
„…weil nur wir beide hier sind“, beendete sie lahm ihren Satz und wünschte, sich inklusive ihres Krabbensandwiches und ihres Mineralwassers in Luft aufzulösen. Einen Augenblick lang sah er ihr einfach nur gerade in die Augen, vielleicht suchte er nach einer Ausrede, um sie loszuwerden, vielleicht war er nur überrascht über ihre Kühnheit. Dann lächelte er warm.
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