Klaus Hoffmann - Reicker
Das Geheimnis des Walen
Roman aus der Zeit der Gegenreformation
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Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus Hoffmann - Reicker Das Geheimnis des Walen Roman aus der Zeit der Gegenreformation Dieses ebook wurde erstellt bei
Das Schachspiel von Leitmeritz
Auf der Böhmischen Glasstraße
Die Nacht der Heiligen Wapurga
Festung Stolpen
Die ehrenwerte Schmiedezunft
Teufelsbündner in der Stadt
Der Schatz des Valtenberges
Impressum neobooks
Das Schachspiel von Leitmeritz
Das Schachspiel von Leitmeritz
Nach einem reichlich kalten, trüben März zeigte sich vor Ostern blanker Himmel über Leitmeritz. Die Nebel in der Elbaue waren schon früh der Sonne gewichen. Weit öffnete sich das fruchtbare Tal bis zu jener Stelle, wo die Eger ihre Wasser in die Elbe ergießt und den Garten Böhmens hervorbringt. Sogar die schmutzigen Gassen der Außenbezirke mit ihren eng an eng geklebten Gäßchen erschienen an diesem Morgen etwas freundlicher.
Vor den Schloßstufen standen viele Bürger, einen schmalen Gang in der Mitte freilassend. Dumpfes Murmeln und Summen lief durch die Gruppen. Man wollte Vladislaw von Lobkowitz sehen, der seit kurzem wieder in den Häusern des Kollegiatskapitels wohnte. Für ihn war es schon sehr gewagt, hierher in die Hochburg des Lutherismus zu ziehen, denn im deutschsprachigen Grenzland des Sudetengebirges galt die Macht des Papstes seit einem halben Menschenalter nicht mehr.
Wollten die Katholiken wieder ihr Haupt erheben?
Viele waren nur herbeigeeilt, um den Mann in Augenschein zu nehmen, der gleich Daniel furchtlos in die Löwengrube stieg. Auch August I., Kurfürst von Sachsen, interessierte sich für diese Vorgänge. Er hatte einen verschwiegenen Mann an den Hohen Rat von Leitmeritz gesandt, das Bemühen der Katholischen zu erforschen.
Wie würde der Bischof auftreten? Sollte es sogar Krieg geben? Die Papisten waren wieder im Vormarsch. So raunte und rätselte es durch die Ansammlung.
Langsam wurde die Menge ungeduldig. Sie drängelte und schob sich vorlaut in den von Stadtknechten freigehaltenen Raum. Irgendein Witzbold machte seinen Spaß und rief: „ Seht, er kommt! Welche Pracht!“ Alle reckten die Köpfe und erblickten nur den Stadttrunkenbold, der gerade aus der Schänke geworfen wurde. Lauthals schimpfte er über das sich wellenartig fortsetzende Gelächter.
Stille trat ein. „In viam pacis“, klang es noch aus dem St.-Stephansdom, das Ende der heiligen Messe anzeigend. Wenige Gläubige traten aus der großen dreischiffigen Hallenkirche ans Licht. Sie warteten, bis sich der Bischof und sein Hofstaat erhoben hatten und der bischöflichen Residenz zustrebten.
Schweren Schrittes stieg der beleibte Herr Wladislaw die Stufen empor, versehen mit allen Zeichen seiner hohen Würde: das edelsteinbesetzte Bischofskreuz leuchtete auf den kunstvoll bestickten, blütenweißen Ornat, Bischofsring , Bischofsmütze und Hirtenstab zogen auch die Blicke der hartgesottensten Protestanten auf sich. Da schritt sichtbare Macht.
Warum sollte sich das starke Leitmeritz zu seinen Obstgärten, Elbkähnen und Patrizierhäusern nicht auch einen richtigen Bischof leisten können? Entblößten Hauptes verneigten sich alle. Tief hatte jeder die Achtung vor den Hohen dieser Welt eingepflanzt bekommen. Wer wußte in diesem Augenblick noch, daß diese Kleriker nur faule Freßlinge und müßigen Mastsäue waren, welchen die armen Leute dem Teufel zuführten. So hatte so jedenfalls Doktor Martin Luther gesagt.
Schnell verflog dieser erste Eindruck. In den Gesichtern stand Enttäuschung. Der fünfzigjährige Bischof aus dem Geschlecht der Popel – Lobkowitze schien in Gedanken versunken. Er sah nicht einmal die bittend am Wegesrand knienden Bettler und Alten, die trotz Wittenberger Bekenntnisses auf seinen Segen hofften. Sorgen quälten den hohen Herrn. Selbst die Predigt war ihm entglitten. Unverwandt hatte er auf das berühmte Altarbild des Leitmeritzer Meisters mit Jesus und dem Hohenpriester Kaiphas gestarrt, als hätte es ihm auf bohrende Fragen eine Antwort geben können.
Weit in die Ferne gingen die Gedanken des Hirten – nach Wien. Von dort kam ein Übel auf ihn zu, von dem durfte niemand etwas ahnen noch wissen. Monsignore Querini, päpstlicherer Legat für die Gegenreformation, sollte ausgerechnet heute eintreffen. Der Bischof meinte auf einmal den Geruch verbrannten Menschenfleisches in der Nase zu haben und dazu fromme Gesänge eifernder Mönche.
Wie – das alles wieder?
Vladislaw von Lobkowitz fühlte sich ratlos. Wer würde Jesus sein. Wer Kaiphas? Vielleicht mußte er ausgerechnet gegen die Menschen zu seinen Füßen in den Kampf ziehen – oder Krieg gegen Sachsen? Immer erregter stieg er die Stufen hinauf. Schon seit Tagen fand er keinen richtigen Schlaf, da half auch kein Rotwein Ludmilla aus seinen Weinbergen vor der Tür. Gutes jedenfalls kam weder aus Rom noch aus Wien. Seit Jahren lebten die letzten Schafe seiner einstmals großen Herde friedlich neben den Lutherischen. Alle zahlten Steuern und Grundrente, leisteten Frondienste beim Bau von Schlössern, Burgen. Und nun? Etwa Ketzerhinrichtungen? Hatte er nicht genug Mut bewiesen, hierher unter seine ehemaligen Untertanen zu gehen, die ihn einst vertrieben hatte, Aber denen in Rom reichte das nicht. Sie wollten den Bruderkampf wie Kain gegen Abel.
Das einst schöne Gesicht des Bischofs hatte unmäßige Fettpolster und ein ausgeprägtes Doppelkinn angesetzt, nur die kleinen sehr beweglichen Augen mit den Lachfältchen in den Winkeln verrieten, daß er eigentlich recht lebhaft und weltoffen war. Er war einer jener sinnenfrohen Humanisten, die in allen Ländern Gleichgesinnte fanden. Leider war die Renaissance tot, bezwungen durch Luther. Dessen protestantische Jünger schulmeisterten nun an einem kümmerlichen grauen Menschenbild ohne Witz und Humor. In den katholischen Gebieten dagegen tanzten sie, fraßen, soffen und hurten sich um das letzte bißchen Würde – ihn, Vladislaw, eingeschlossen – oder erstarrten in Askese. Wo ist hier oben, wo unten? Was machte noch Sinn? Gottes Wort war schon lange zertreten in einem unmäßigen Parteiengezänk.
Konnte man denn in dieser desolaten Welt das lebensoffene Reich Papst Leos wieder aufrichten? War Legat Querini dazu bestellt? Kaum! Ein Ehrgeizling wie alle. Er strebte sicher nach der frömmelnden Friedhofsruhe Pauls IV., jenes Papstes, der sich morgens zur Frühstückszeit einige Ketzer unter sein Fenster in den Engelsburg hängen ließ.
Bischof Vladislaw schüttelte sich. Wer konnte hier noch raten? Er drehte sich halb um und suchte die Schar seiner Begleiter ab, bis sein Blick plötzlich auf einen breitschultrigen Mönch fiel: Joseph Paßler, Jesuit und Vorsteher des kürzlich nach dem Vorbild des Prager Clementinums eingerichteten Colleges für die Söhne der Adligen und Patrizier, um sie auf den Staatsdienst vorzubereiten. Nachlässig hatte der Pater die Hände gefaltet. Er sah streitlustig und herausfordernd auf seinen Bischof.
Bereits in der Tür befahl Vladislaw:“ Bruder Joseph, ich habe mit dir zu reden! Folge mir!“ Entschlossen schritt er voraus, während die Prälaten ihren Gemächern zustrebten. Wenn einer etwas über Querinis Absichten weiß, dann dessen Ordensbruder von der Kompanie Jesu, überlegte der Bischof und betrat die inneren Räume.
Paßler sah große Kredenztische mit silbernen und zinnernen Kannen, sowie edle Becher, nicht wenige mit Gold und edlen Steinen verziert. Im folgenden Raum hohe gotische Stühle, darauf seidene Kissen und farbige Wolldecken. Der Raum war mit Teppichen aus Smyrna ausgelegt. An den Wänden hingen keine Heiligen sondern Gobelins aus Flandern. Gegenüber standen eisenbeschlagene Truhen, in den Ecken schwere vergoldete Leuchter mit großen dicken Kerzen.
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