„Eine glänzende Idee.“
Er nickte in Richtung der Mineralwasserflasche, die sie auf dem Tisch abstellte.
„Aber ich meine fast, dass die Gelegenheit etwas festlichere Getränkte fordert.“
Er zog fragend die Augenbrauen hoch und Cecilie nickte schnell.
„Gerne.“
Falls der Kellner überrascht war, als Cecilies neuer Tischherr nach ihm rief, um Wein zu bestellen, verbarg er dies geschickt.
„Weiß oder rot?“, fragte der schicke Fremde.
„Weiß?“, sagte Cecilie und schaute dann auf seinen Teller mit Wild.
„Oh, das passt vielleicht nicht dazu…?“
„Das passt ausgezeichnet“, sagte er und lächelte beruhigend.
„Den besten Sancerre für die Dame und ein großes Fassbier für mich, bitte.“
Der Kellner nickte und eilte in die Küche. Es folgte ein unbequemes Schweigen.
„Wie heißen Sie?“, fragte Cecilie und bereute es sofort. Hier wollte sie die Abenteuerlustige darstellen und dann stellte sie die aller naheliegendste und langweiligste Frage der Welt.
„Vergessen Sie es!“, unterbrach sie ihn, als er gerade antworten wollte. Er schaute sie leicht verwundert an.
„Kein Name?“
Sie lächelte und schüttelte über sich selbst den Kopf.
„Entschuldigung. Ich dachte nur… Vielleicht ist das hier so eine Begegnung, bei der man einfach die Person sein kann, die man sein will?“
So. Jetzt lagen die Karten auf dem Tisch. Sie hätte kaum deutlicher sagen können, dass das hier nur für heute Abend bestimmt war. Zum Glück kam der Kellner mit den Getränken zurück und unterbrach das Gespräch, bevor Cecilies fremdes Date antworten konnte. Dankbar nahm sie einen Schluck von dem Wein. Er nippte an seinem Bier, nickte anerkennend und nahm den Gesprächsfaden wieder auf.
„Würden Sie gern jemand anderes sein?“
„Manchmal.“
Sie widerstand dem Impuls, den Blick zu senken.
„Wollen Sie das nie?“
Statt einer Antwort hielt er sein Glas hoch und sie stießen an. Nach ein paar Schlucken in einem Schweigen, das Cecilie schwer deuten konnte, sagte er endlich etwas.
„Wer soll ich dann heute Abend sein?“, fragte er und schaute nachdenklich in die Gegend. „Sie sind offensichtlich eine Frau, die weiß, was sie will, und die keine Angst hat, dem zu folgen.“
Er machte eine ausschweifende Handbewegung, um auf die Situation hinzuweisen, die ja das Ergebnis ihrer Initiative war.
„Da kann etwas dran sein.“ Cecilie wollte, dass er weitermachte. Sie wollte seiner ruhigen, tiefen Stimme zuhören, die von der Frau erzählte, die sie gern sein wollte.
„Eine Frau aus der Großstadt“, sagte er. „Eine Frau, die gefährlich sein kann für einen armen Mann vom Land, wie mich.“
„Vielleicht“, sagte Cecilie und drehte das Weinglas zwischen den Händen.
„Aber Sie scheinen ein Mann zu sein, der wagt, Chancen zu ergreifen.“
Als er nicht antwortete, setzte sie fort: „Wer wollen Sie sein?“
„Helfen Sie mir.“
Die Antwort kam schnell.
„Hmmm. Sie sind so einer, der nicht zögert, einer Frau Wein zu bestellen“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. „Also sind Sie selbstsicher.“
„Ja, vielleicht“, antwortete er. „Machen Sie weiter.“
„Sie sind höflich, aber man merkt, dass Sie daran gewöhnt sind, Ihren Willen durchzusetzen.“
Cecilie hatte natürlich schnell registriert, dass er keinen Ring trug, aber das würde sie lieber nicht kommentieren. Sie überlegte, zu sagen, dass er ein mittelgroßes Unternehmen führte, in einem Haus mit Aussicht aufs Meer wohnte und gerne jagen ging. Oh mein Gott, sogar ihre Phantasien waren langweilig. Stattdessen öffnete sie den Mund und sagte:
„Ich glaube, Sie sind Naturfotograf. Sie haben Bilder an einigen der gefährlichsten Orte der Welt gemacht, sind mit Haien geschwommen, auf eine Bergspitze geklettert, um die letzten wilden Adler zu fotografieren, haben tagelang reglos im Schnee gelegen, um das perfekte Bild von dem extrem scheuen Polarfuchs zu schießen. Sie sind kompromisslos, lieben die Natur und tun einfach alles für das perfekte Foto.“
Er riss überrascht die Augen auf und versuchte das Grinsen zu unterdrücken, das sich auf seinen Lippen ausbreiten wollte.
„Was mache ich dann hier?“
Er sah sich in dem verlassenen Restaurant um. Cecilie zögerte nicht.
„Sie sind seit zehn Jahren nicht in Dänemark gewesen. Jetzt sind Sie zurück, um die dänischen Wölfe zu fotografieren. Bisher hat man nur verpixelte Bilder gesehen, die genauso gut einen sibirischen Husky darstellen könnten. Die Leute sind panisch, völlig ohne Grund, und jetzt ist es Ihre Aufgabe, zu zeigen, was für ein fantastisches Tier der Wolf ist, und wie glücklich wir uns schätzen können, den Wolf wieder in der dänischen Natur zu haben.“
„Und weiter?“, fragte der Mann und sah Cecilie fasziniert an.
Es war ihr, als ob sie auf seinem bewundernden Blick schweben könnte. Warum hatte sie das hier nicht schon viel früher ausprobiert?
„Eine ganze Menge Frauen haben versucht, Sie zu zähmen, aber Sie fühlen sich mit einem solchen Alltag nicht wohl. In der Natur geht es Ihnen am besten, allein mit Ihrer Kamera und Ihrer Mission. Nur ab und zu verspüren Sie ein Bedürfnis nach dem Körper einer Frau und dann begeben Sie sich in die Stadt, wo eine glückliche Frau die Nacht ihres Lebens mit Ihnen verbringt, solang sie damit einverstanden ist, dass Sie am nächsten Morgen verschwunden sind.“
Bei diesen Worten hustete der Mann und verschluckte sich an seinem Bier.
„No pressure!“, lachte er.
Auch Cecilie grinste selbstzufrieden.
„Jetzt sind Sie dran“, sagte sie auffordernd und lehnte sich im Stuhl zurück, als ob sie sich auf eine lange Ausführung freute.
„Hmm.“
Der Mann betrachtete sie von oben bis unten, als ob er Inspiration suchte.
„Sie arbeiten mit Windkraft. Morgen wird eine ganze Reihe Ingenieure aus allen möglichen Ländern Vorschläge für die zukünftige Entwicklung eines der weltweit führenden Produzenten erneuerbarer Energie präsentieren, aber Sie wissen jetzt schon, dass Sie ausgewählt werden. Der Konzern glaubt, in Ihnen eine kompetente Führungskraft zu bekommen, aber er bekommt so viel mehr. Wenn es etwas gibt, das Sie haben wollen, dann bekommen Sie es. Egal, was der Arbeitgeber denkt, zu suchen, er weiß es eigentlich nicht, bevor er Sie getroffen hat. Die anderen Kandidaten haben nicht mal eine Chance, aber das wissen sie noch nicht. Sie wohnen alle zusammen im selben Hotel und sitzen da und zittern vor Angst, aber Sie haben sich dem entzogen, um vor dem entscheidenden Tag allein zu sein. Jetzt wollen Sie die Zeit so angenehm wie möglich verbringen. Und vielleicht ist es dem ein oder anderen glücklichen Mann erlaubt, heute Abend Ihre Gedanken zu zerstreuen.“
Cecilie nickte anerkennend und hob ihr Glas. Nachdem sie sich zugeprostet hatten, tauchte der Kellner auf und begann, die Teller abzuräumen. Hatte sie wirklich schon aufgegessen? Der Teller war leer, also musste sie es getan haben. Sie hatte es nicht einmal bemerkt.
„Möchten Sie einen Nachtisch?“
Cecilie und ihr Tischherr schauten sich an.
„Nein danke“, sagten sie im Chor.
Als Cecilie im oberen Stockwerk das Zimmer aufschloss, zitterten ihre Hände vor Spannung. Es hatte keinen Zweifel daran gegeben, dass sie gemeinsam in ihr Zimmer gehen würden, sie waren einfach wortlos aufgestanden und nach oben gegangen. Jetzt war sie nervös, ob sich die Magie bis ins Bett halten würde, das auf der anderen Seite der Tür wartete. In Filmen küssten sich die Paare immer so stürmisch, dass sie kaum durch die Tür kamen, und drückten einander hart gegen die Wand, bevor sie die Kleider von sich schmissen. Man sah nie richtig, wie sie es schafften, sich auf elegante Weise herunter zu beugen und die Hose über die Füße zu ziehen, oder wie sie widerspenstige BHs aufknöpften. Cecilie stieß die Tür auf und konnte ihren Tischherren dicht hinter sich spüren. Über sich selbst verärgert trat sie zur Seite, um ihn herein zu lassen. Warum konnte sie sich dem Begehren nicht einfach hingeben, warum musste sie unbedingt lauter Probleme vorhersehen? Sie begann wieder zu bereuen, dass sie überhaupt zu seinem Tisch herübergegangen war. Warum hatte sie geglaubt, dass sie das hier durchführen konnte?
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