Jakob Maul
Die deutschen Auswanderer
im 18./19. Jahrhundert
Auf der Suche nach neuem Land
in Russland, Südosteuropa,
Nord- und Südamerika
„Die Ersten fanden den Tod,
die Zweiten hatten die Not,
und die Dritten erst das Brot.“
(Redensart im 18. Jahrhundert
über das Schicksal der deutschen Kolonisten)
Impressum
Autor: Prof. Dr. Jakob Maul ist in Kasachstan geboren, wohin man
seine Eltern während des Zweiten Weltkriegs aus einer früheren
deutschen Kolonie im Wolgagebiet verschleppt hatte. Seit 1993
lebt er in Deutschland.
Übersetzung aus dem Russischen: Markus Maneljuk
Korrektorat: Marianne Jahnke
Titelbild: Abdruck des Gemäldes „Abschied der Auswanderer“
von Antonie Volkmar (1827-1867), 1860 / (Inv.-Nr.: 1991/3264).
© Deutsches Historisches Museum, Berlin / A. Psille.
Autor hatte sich bemüht, zu allen Abbildungen
und Textquellen den korrekten Quellennachweis anzugeben.
Es wäre nicht seine Absicht, bestehende Rechte zu verletzen.
Falls dies trotz intensiver Recherche der Fall sein sollte, wenden
Sie sich bei Anspruch auf Urheberschaft bitte an den Autor. Alle verwendeten Quellen finden Sie im Literatur- und
Abbildungsverzeichnis.
Alle Rechte vorbehalten!
Inhalt
Kapitel 1.Migrationsprozesse in Europa und Deutschland im 18. Jahrhundert
1.1. Entstehung von Migrationstraditionen
1.2. Populationskonzept und Kolonisationspolitik Preußens
1.3. Wesentliche Strömungen der Migration ins Ausland
Kapitel 2.Massenemigration nach Südosteuropa
2.1. Transsilvaniendeutsche
2.2. Donauschwaben
2.3. Besonderheiten und Bedingungen der
Massenemigration nach Südosteuropa
Kapitel 3.Deutsche Kolonisten in Russland
3.1. Geschichte der Beziehungen
3.2. Kolonisationsprojekte zurzeit von
3.3. Zarin Elisabeth
3.4. Aggressives Anwerben und wachsende Proteste
3.5. Bewertung der Zusammensetzung der ersten
Kolonisten
Kapitel 4. Wesentliche Ursachen und Motive für die
Massenemigration
4.1. Politische Ursachen
4.2. Ökonomische Ursachen
4.3. Religiöse Ursachen
4.4. Persönliche Ursachen
4.5. Globale Ursachen der Massenemigration
im 18. Jahrhundert
Kapitel 5.Wege der deutschen Kolonisten in die Fremde
5.1. In die Länder Ost- und Südosteuropas
5.2. Die Ankunft in Russland und der Weg an
die Wolga
5.3. In eine neue Zukunft jenseits des Ozeans
Kapitel 6.Schwieriger Anfang in Russland
6.1. Schwierigkeiten beim Aufbau einer Existenz
an der Wolga
6.2. Pugatschew-Aufstand und Nomadenüberfälle
6.3. Eingeständnis von Problemen
6.4. Besonderheiten der Entstehung und Probleme
der Kolonien zur Zeit Alexanders I
Kapitel 7.Flucht und Rückkehr der Kolonisten
Kapitel 8.Die blühenden Jahre der deutschen Kolonien
in Russland
8.1. An der Wolga
8.2. In Südrussland
8.3. Im Kaukasus und bei Sankt Petersburg
Kapitel 9. Wachsende Probleme in Russland
9.1. Bevölkerungswachstum und Landmangel
9.2. Umsiedlung nach Sibirien und Mittelasien
Kapitel 10.Der Anfang vom Ende. Schrittweise Zerstörung
10.1. Antideutsche Hysterie
10.2. Emigration aus dem russischen Imperium
und der UdSSR
10.3. Die Jahre des landesweiten Terrors,
der Repressionen und Deportationen
Kapitel 11. Entstehung und Entwicklung der deutschen
Kolonien in den Ländern Südosteuropas
11.1. Schwierige Jahre auf dem Weg zum Wohlstand
11.2. Politik der „Magyarisierung“ und Emigration
aus Ungarn
11.3. Zerfall von Österreich-Ungarn und Vertrag von Trianon
Kapitel 12.Untergang und Vernichtung der deutschen
Ethnie in Zentral- und Südosteuropa
12.1. Heim ins Reich
12.2. Verfolgung und Repressionen während des
Zweiten Weltkriegs
12.3. Маssenweise Zwangsvertreibungen
Kapitel 13.Exodus. Der lange Weg nach Hause
13.1. Massenexodus der ethnischen Deutschen nach Deutschland
13.2. Besonderheiten der Emigration aus den
Ländern Zentral- und Südosteuropas.
Operation „Heimlicher Kanal“
13.3. Auswanderung aus den Ländern der
ehemaligen UdSSR
Kapitel 14.Der Kreis der Geschichte schließt sich
14.1. Dynamik der deutschen Bevölkerung des Aufenthalts in den europäischen Emigrationsstaaten
14.2. Dynamik der deutschen Bevölkerung und
Bewertung des Aufenthalts im zaristischen
Russland und in den Ländern der früheren
UdSSR
14.3. Bewertung der durch den Exodus der
ethnischen Deutschen verursachten
ökonomischen und sozialen Verluste
14.4. Heutige Situation der Bürger deutscher
Abstammung in den Emigrationsländern
Epilog
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Personenverzeichnis
Einführung
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte begonnen. In Europa war eben erst der Siebenjährige Krieg zu Ende gegangen, in dem der preußische König Friedrich II. in einer Allianz mit England gegen Frankreich, Österreich, Schweden und Russland verloren hatte. Nur der plötzliche Tod von Zarin Elisabeth, in dessen Folge der Friedrich wohlgesonnene Petr III. den Thron bestiegen hatte, rettete Preußen vor einer endgültigen Niederlage. Petr III. ordnete den Rückzug der bereits in Berlin stationierten Truppen an und bereitete dem sinnlosen Krieg damit ein Ende. Nach der Weigerung Österreichs, die von ihm besetzten Gebiete zurückzugeben, drängten die Russen in der nun entstandenen Allianz mit den preußischen Streitkräften die Österreicher aus Schlesien und Sachsen zurück und zwangen sie, einen Friedensvertrag mit Preußen zu unterzeichnen.
Zu jener Zeit war Deutschland noch kein einheitlicher Staat. Mehrere hundert unabhängige Fürstentümer nahmen zwar ein zusammenhängendes Gebiet in Zentraleuropa ein, waren jedoch nur schwach miteinander verbunden und gehörten zum „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“. Der soeben zu Ende gegangene Siebenjährige Krieg und der Dreißigjährige Krieg, der zuvor in Europa gewütet hatte, führten zu einer abrupten Verarmung des Volkes, zur Erschöpfung seiner Lebenskraft und dazu, dass sich bei weiten Teilen der Bevölkerung ein Gefühl der Ausweg- und Perspektivlosigkeit eingestellt hatte.
Mit Beginn des 18. Jahrhunderts bildete sich in Europa zunehmend ein stabiles Migrationssystem mit festen Migrationstraditionen bei der Bevölkerung heraus. Diese verlegte ihren Wohnsitz sowohl innerhalb der eigenen Länder als auch in jenseits der jeweiligen Staatsgrenzen gelegene Gebiete und legte auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben große Entfernungen zurück. An der Entstehung dieser europäischen Migrationssysteme waren die Bürger der voneinander getrennten deutschen Staaten und Fürstentümer besonders aktiv beteiligt. In großer Zahl zogen sie aus den überbevölkerten Gebieten in weniger dicht besiedelte Regionen um. Somit war die deutsche Bevölkerung gegen Mitte des 18. Jahrhunderts bereits in wesentlichem Maße auf die Emigration in weit entfernte und unbekannte Länder vorbereitet. Im Zusammenspiel mit einer Reihe weiterer Faktoren, die im vorliegenden Buch detailliert behandelt werden, war eine solche Mobilität der Bewohner der deutschen Ländereien die Hauptursache für deren Massenemigration, die hinsichtlich ihrer Größenordnung und ihrer Strömungen einzigartig war. Die hauptsächliche Strömung bewegte sich dabei nach Osten und Südosten und stand im Vergleich zur nordamerikanischen Strömung an erster Stelle. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass sich damals etwa 400.000 bis 500.000 deutsche Kolonisten auf den Weg nach Ost- und Südosteuropa machten und sich mehrheitlich im damaligen Ungarn und in Russland niederließen.
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