Alexander Gauland - Die Deutschen und ihre Geschichte

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Seine Geschichte wird man nicht los, sie sitzt einem in den Knochen und in der Seele. Das betrifft unsere Biografien als Einzelne wie den kollektiven Werdegang des Volkes, dem wir angehören. Beides greift weit in die Vergangenheit aus und prägt unser Denken, Verhalten und Handeln im Heute. Zwar können wir dieses lebenslange Wirkungsgefüge bestreiten, versuchen uns «neu zu erfinden», doch lässt sich die einmal beschriebene Tafel nicht blankwischen. Wir leben in und mit der Geschichte, der persönlichen wie der gemeinschaftlichen. Je besser wir letztere vergegenwärtigen, mit all ihrem Licht und Schatten, desto mehr wohnen wir uns inne, ja desto vollständiger werden wir. Alexander Gauland nimmt uns in seinem Buch mit auf eine Wanderung durch eintausend Jahre deutscher «Evolution». Aus den germanischen Wäldern des Tacitus führt er uns zu Karl dem Großen, zu Luther, den Kaisern des Mittelalters, von Friedrich II. zu Bismarck, zu Hitler, zum Mauerfall. An jeder Weggabelung erkennen wir, wie sehr wir Anteil haben an dieser Geschichte. Und dass diese uns erst zu denen macht, die wir sind.

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Ik gihorta dat seggen Ich hörte das sagen Erste Seite des - фото 1

Ik gihorta dat seggen … (Ich hörte das sagen…)

Erste Seite des Hildebrandsliedes , eines der frühesten Textzeugnisse deutscher Sprache (9. Jahrhundert). Es erzählt eine Episode aus dem Sagenkreis um Dietrich von Bern, eine Zweikampf-Situation zwischen Hildebrand und seinem Sohn Hadubrand. Da der Schluß verloren ist, weiß man nicht, ob das Lied tragisch oder glücklich endet.

Alexander Gauland

DIE DEUTSCHEN UND

IHRE GESCHICHTE

Die Deutschen und ihre Geschichte - изображение 2

INHALT

Gibt es den deutschen Sonderweg?

Mittelalterliche Kaiserherrlichkeit als römisches Erbe – Ottonen und Staufer

Der antirömische Protest 1 – Luther gegen Karl V.

Der antirömische Protest 2 – Friedrich gegen das Reich

Der antirömische Protest 3 – Preußen gegen Österreich

Blut und Eisen

Das Hohenzollernreich

Republikanischer Versuch

Nihilistische Versuchung

Geteiltes Land

Endlich am Ziel

Nachwort

Literatur

Gibt es den deutschen Sonderweg?

Der Gegensatz könnte nicht größer sein. In Potsdam bemüht sich eine Bürgerinitiative, die traditionsreiche Garnisonkirche Friedrich Wilhelms I. wieder zu errichten und begegnet dabei großen Vorbehalten. Zu Beginn wollten weder Stadt noch Kirche das Bauwerk zurück, in dem Hindenburg und Hitler am 21. 3. 1933 den Tag von Potsdam zelebrierten. Als der publizistische und gesellschaftliche Druck von jenseits der Stadtgrenzen wuchs, sollte es wenigstens ein Versöhnungszentrum sein, um Fluch und Schuld von der Kirche zu nehmen, in der sich einst der preußische König Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. von Russland eine kurzlebige Treue geschworen hatten und wenig später Napoleon am Grabe Friedrichs des Großen zu seinen Offizieren gesagt haben soll: Wenn der noch lebte, stünden wir nicht hier.

Was also in Deutschland sofort zu ideologischen Verspannungen führt, das Erbe Preußens und seine angebliche Verantwortung für den Aufstieg Hitlers, kommt in der 900-Seiten-Biographie dieses Staates von dem englischen Historiker Christopher Clark nicht einmal in einem Nebensatz vor. Weder der Zusammenhang von Preußentum und Nationalsozialismus noch der lange Weg nach Westen, den wir vorgeblich zurückgelegt haben sollen, ist Clark eine Befassung wert. Daraus folgt, dass andere die deutsche Geschichte nicht auf den größten anzunehmenden Unfall zulaufen sehen und nicht alles, was uns heute aus der Vergangenheit nicht mehr zusagt, deshalb gleich in den Schatten von Auschwitz rücken.

Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zur Entwicklung in England und Frankreich. Wie könnte es auch anders sein. Doch das heißt eben nicht, dass das eine der Normalfall und das andere ein Sonderweg ist. Prägender als der Schatten Hitlers ist eine andere Tatsache, die der Historiker Heinrich August Winkler gleich an den Anfang seines Buches Der lange Weg nach Westen stellt: »Im Anfang war das Reich: Was die deutsche Geschichte von der Geschichte der großen westeuropäischen Nationen unterscheidet, hat hier seinen Ursprung.« Die Abspaltungen vom und die Spaltungen im Reich sind das, was die große Geschichtserzählung ausmacht, weshalb Luther und Friedrich der Große eine weit größere Verantwortung für das scheinbare Misslingen der nationalen Erzählung trifft als den unglücklichen Wilhelm II. oder den fatalen Ludendorff.

Die deutsche Geschichte ist 1933 mit der Machtübernahme Hitlers entgleist, nachdem sie zuvor aus dem Gleichgewicht geraten war. Doch dieses Entgleisen ist nicht die Folge der vorangegangenen Gleichgewichtsstörung. Bismarck hatte das historische Spannungsverhältnis zwischen Europa und dem von ihm wieder begründeten Reich in ein prekäres Gleichgewicht gezwungen, das seinen Abschied von der Macht nicht überlebte. Doch das heißt eben nicht, dass eine Figur wie Hitler und seine Taten zwangsläufig waren oder irgendjemandem zugerechnet werden können, auch wenn das Porträt Friedrichs des Großen im Bunker und das Bismarcks in der neuen Reichskanzlei hing. Wie hat das der Historiker Golo Mann so unnachahmlich ausgedrückt: »Die Geschichtsschreiber tun Hitler viel zu viel Ehre an, die uns glauben machen wollen, es habe Deutschland seit hundert Jahren nichts anderes getrieben, als sich auf das unvermeidliche Ende, den Nationalsozialismus vorzubereiten.« Zu dieser Sichtweise möchte diese kleine deutsche Geschichte einen Beitrag leisten. Dass sie so falsch nicht sein kann, bestätigt ausgerechnet die große Preußenerzählung eines englischen Historikers.

Mittelalterliche Kaiserherrlichkeit als römisches Erbe – Ottonen und Staufer

Nicht in den germanischen Urwäldern hat die deutsche Geschichte ihren Ursprung, sondern in Rom – so beginnt Hagen Schulze seine Kleine deutsche Geschichte . Für die Geschichte mag das zutreffen, für die Deutschen nicht. Noch 1920, als die Wälder längst gelichtet waren, empfindet der englische Schriftsteller Logan Pearsall Smith das Anderssein der Deutschen: »Die bekannte Welt nannte ich die Landkarte, die ich zu meinem Spaß für das Kinderschulzimmer skizzierte. Sie umfasste Frankreich, England, Italien, Griechenland und alle Küsten des Mittelmeers; aber den Rest nannte ich unbekannt und ich zeichnete im Osten die zweifelhaften Reiche von Ninos und Semiramis hinein und versetzte Deutschland in den Herkynischen Wald zurück; und ich malte Bilder von den mutmaßlichen Bewohnern dieser unerforschten Regionen.«

Es waren noch nicht die Deutschen, es waren die Germanen, die in den Wäldern östlich des Rheins hausten. Sie waren unsere Vorfahren und doch auch wieder nicht. Mit dem Begriff deutsch oder Deutschland hätten sie nichts anzufangen gewusst. Es waren Sueben, Markomannen, Langobarden, Cherusker. Sie lebten in Familien- und Stammesverbänden, einen Staat kannten sie nicht. Rom war das andere, das sie nicht waren, und von dort haben wir auch unser Bild. Es stammt von dem römischen Historiker Tacitus, der eine kleine Schrift über Germanien veröffentlichte, die aber wohl mehr innenpolitischen Zwecken als der historischen Wahrheit diente. Zwar rügt Tacitus die Leidenschaft der Germanen für den Krieg, ihre Streithändel beim Trunk, ihre Neigung zu Spiel und Gelagen, aber er lässt auch ihren Tugenden Gerechtigkeit widerfahren, der strengen Ehrbarkeit und Heiligkeit des Hauses, der Keuschheit, ihrer Gastfreundschaft, der Strenge, mit der sie unnatürliche Laster, Feigheit und Verrat ahnden. Tacitus vergleicht die Germanen zu ihrem Vorteil mit den römischen Zuständen: kein Geld, keine Testamente, keine lüsternen Schauspiele und keine Korruption.

Dass solche Menschen im Jahre 9 n. Chr. die römische Expansion nach Osten im Teutoburger Wald stoppten, haben nur wenige Römer bedauert. Zu groß war das Reich schon und zu fremd die germanische Welt zwischen Rhein und Elbe. Als das Römische Reich – oder besser gesagt das Weströmische Reich – 400 Jahre später zusammenbrach, übernahmen germanische Stämme die Last der Regierung und der Reichsverteidigung. Es waren die West- und Ostgoten, die sich für das alte Reich und das neue Christentum opferten und zusammen mit den Römern die Vandalen und Hunnen, die großen Zerstörer aus der Völkerwanderung, abwehren. Rom bleibt der Dreh- und Angelpunkt aller germanischen Staatsbildungsversuche auf italienischem Boden, womit schließlich nach dem Zwischenspiel Theoderichs des Großen und einigen chaotischen Jahrhunderten die Franken Erfolg hatten.

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