Da ihm Warten nicht sinnvoll und zudem langweilig erschien, beschloss er stattdessen einige von den Grasmännchen zu fangen, die immerhin versucht hatten, ihn zu verletzen.
Beinahe lautlos verschwand er im Schilf, ohne sich nochmal umzusehen.
Hätte er es getan, hätte er bemerkt, wie sich Jiang schwach zu regen begann. Sie fühlte sich entsetzlich. Ihre Muskeln brannten wie nach einem langen Tag voller harter Feldarbeit.
Ihre Haut hatte überall kleine rote Punkte wie Mückenstiche, die schmerzten, als hätte jemand sie mit Nadeln gefoltert, wie sie feststellte, als sie endlich mühsam ihre Augen aufgezwungen hatte. Ihre Eingeweide quälten sie mit Krämpfen, während sie sich zugleich leer anfühlten.
Blut verklebte ihre Augen und Ohren, doch das schlimmste war der Geruch.
Obwohl sie nicht über Shadarrs Nase verfügte, so war das, was sie da riechen konnte, dennoch unerträglich widerlich.
Zu allem Überfluss war ihr auch noch kalt. So kalt, dass sie ohne Feuer sterben würde. Das einzig Gute war, dass das Fieber und die Träume verschwunden und ihr Kopf wieder frei waren.
Wie ein altersschwacher Greis wälzte sie sich auf die Stelle zu, an der Shadarr ihren Rucksack fallengelassen hatte. Ihre Hände zu gichtigen Klauen gekrümmt, zog sie sich Fingerbreite um Fingerbreite voran.
Die Schnallen ihres Rucksacks waren zum Glück so geformt, dass sie sich mit einer Hand öffnen ließen. Trotzdem brauchte sie mehrere Versuche, bei denen ihr zwei Fingernägel abbrachen, als wären sie aus trockenem Reisig. Hätte sie Kraft zum Fluchen gehabt, sogar Drakkan wäre beeindruckt gewesen.
So mühte sie sich einfach weiter, bis sie schließlich eine Phiole mit Höllenfeuer befreit hatte. Satt es sorgfältig auszupacken, zog sie den Korken mit den Zähnen heraus. Sie begrüßte den sauren Geschmack, weil er um vieles besser war als der von Erbrochenem.
Sie schüttete das Pulver auf eine Handvoll Kohle, die sie ungeschickt auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Ein kleiner Funke hätte genügt, um es zu entzünden, doch so elend, wie sie sich fühlte, konnte sie die nötige Konzentration einfach nicht aufbringen. Daher musste sie es auf herkömmliche Weise versuchen. – Mit Feuerstein und Stahl.
Sie benötigte mehr Anläufe, als sie Finger und Zehen hatte, mehrfach fiel ihr sogar der Feuerstein aus den zitternden Fingern.
Als sie schließlich Glück hatte, und der ersehnte Funke gelang, seufzte sie erleichtert auf.
Das Pulver fing fauchend Feuer.
Eine gleißende Stichflamme schoss daraus hervor.
Jiang wusste, dass das Feuer heiß genug wurde, um sogar Stahl zu schmelzen. Das Schilf darunter löste sich deshalb einfach auf, ohne die Umgebung in Brand zu setzen.
Der Boden wurde trocken, rissig und begann schließlich zu qualmen. Jiang quälte sich unterdessen aus dem verdreckten Kimono, ihrem Seidengewand, das sie kurzerhand ins Feuer warf.
Mit dem eisigen Rest Wasser aus ihrem Wasserschlauch und einem abgerissenen Ärmel säuberte sie sich so gut es ging, bevor sie sich zitternd in eines ihrer älteren Gewänder und eine Felldecke hüllte, die sie ebenfalls in Kaltarra erworben hatte. Anschließend sank sie völlig erschöpft mit brennenden Muskeln, Krämpfen und wie von tausend Nadelstichen schmerzender Haut neben dem Feuer zusammen. Von den kleinen Schilfwesen, die aus allen Richtungen auf sie zu schlichen, bemerkte sie nichts.
1 - 16 Der Schöpferstab -
Die Suppe war hervorragend, schlicht, doch kräftig gewürzt – und vor allem heiß.
Das Fleisch darin verfehlte seine Wirkung ebenfalls nicht. Während sie aßen, beobachtete Kmarr Anayas nachdenkliches Gesicht. Er konnte sich gut vorstellen, was ihr durch den Kopf ging. Helfen wollte er ihr allerdings nicht. Er bedauerte Drakkan dagegen jetzt schon, wenn er wirklich zwischen Anaya und Jiang geriet.
Ernsthaft besorgt war er nicht. Tödlich würde die Auseinandersetzung wohl nicht enden. Die ein oder andere Tracht Prügel für den sturen Kaltländer fand Kmarr dagegen durchaus angebracht. Wenn er nur einen Hauch weniger stur und uneinsichtig wäre, würden sich die meisten Schwierigkeiten von ganz alleine lösten. – Falls sie überhaupt entstehen würden.
„Denk nicht für mich. Mach Dir lieber Gedanken über Phyria und ihre Geschichte.“
„Glaubst Du ihr nicht? Hältst Du sie für eine Lügnerin?“
„Nicht direkt. Sie hat uns aber wichtige Teile verschwiegen.“
„Natürlich.“
Kmarr hielt Anaya die Schale hin, für eine zweite Portion: „An ihrer Stelle hättest Du noch weniger gesagt.“
„Vermutlich“, erwiderte sie und reichte ihm die gefüllte Schale zurück: „Trotzdem sollten wir versuchen, mehr herauszufinden. Da gibt es bestimmt Möglichkeiten, die ein oder andere Münze zu verdienen. Zwischen die Fronten möchte ich dabei nur ungern geraten.“
„Da besteht wohl keine Gefahr. Moraks Truppen werden uns wohl kaum anheuern. Und nach dem Massaker, das ich gesehen habe, bin ich geneigt, sie auf der Stelle zu erschlagen, anstatt ihr Gold zu nehmen.“
Schaudernd erinnerte er sich an den Leichenberg, den er erst vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Die Toten waren grausam verstümmelt und wie Vieh geschlachtet worden, bevor Teile von ihnen gefressen worden waren.
Anaya winkte ab: „Ich habe nicht vor für jemanden zu arbeiten der versucht, mich umzubringen. Ich dachte auch eher an reiche Kaufleute, Händler, Geldwechsler und Adlige, die ihr Hab und Gut vor einer anrückenden Armee in Sicherheit bringen wollen.“
„Klingt nach einem brauchbaren Vorschlag. Aber was ist mit diesen Siegeln? Willst Du wirklich riskieren, eine Armee Dämonen zurück in die Welt zu entlassen?“
„Wenn es sie wirklich gibt: natürlich nicht. Aber was, wenn die Geschichte gar nicht stimmt? Es ist hunderte von Wintern her, seit sie verbannt worden sein sollen. Woher wissen wir, dass es wirklich eine Armee gibt? Vielleicht ist alles nur ein Märchen. Eine alte Geschichte, um Kinder zu erschrecken. Bei allem, was wir wirklich wissen ist es sogar möglich, dass dieser obskuren Orden in Wahrheit nach der Herrschaft über die Welt strebt, und dazu nur noch die sieben Siegel benötigt.“
„Hältst Du das wirklich für möglich?“
„Nicht direkt. Aber vielleicht wissen sie selbst nicht mehr, was die Siegel eigentlich genau bewirken. Es ist lange her.“
Kmarr neigte vorsichtig sein mächtiges Haupt: „Vielleicht bringt Attravals Kompass Klarheit. Irgendwie glaube ich nicht, das Droin den verloren hat.“
Anaya wirkte nicht überzeugt: „Meinst Du wirklich, der reicht so weit zurück?“
„Keine Ahnung. Einen Versuch ist es wert. Blind umher zu stolpern ist sonst auch nicht unsere Art.“
Kmarr hatte inzwischen die Schale erneut geleert und schielte nach einer weiteren Portion.
Lächelnd erfüllte Anaya ihm seinen unausgesprochenen Wunsch.
Dankbar fuhr er zwischen den Löffeln fort: „Ich bin auch froh, wenn wir wieder zu Hause sind, auch wenn ich mich manchmal wie ein Lastesel fühle.“
Die Naurimkinder des Klans ritten gerne auf seinem Rücken. Ein Gefallen, den er ihnen oft und gerne tat.
„Knurr einfach mehr.“
„Bist Du verrückt? Dann werden es nur noch mehr. Ich hoffe, ich kann die Zeit nutzen, ein paar Sachen aus dem Buch zu konstruieren und den Bolzenwerfer der Mechanikusgilde vorzulegen.“
„Deine Belohnung scheint Dir wirklich zu gefallen.“
Kmarr nickte: „Und wie. Das Buch ist unbezahlbar. Was ist denn mit Deinem? Was hast Du damit gemacht?“
Anaya deutete auf die Hülle, in der sie ihren Bogen aufbewahrte: „Nichts.“
Dem aufmerksamen Kmarr entging nicht, wie unbehaglich sie sich zu fühlen schien. Er wunderte sich, gleichzeitig seufzte er merklich auf. Heute war einer der Tage, wo er großes Talent darin bewies, die falschen Fragen zu stellen.
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