„Was sagt Dir Dein Herz? Und was Dein Verstand?“
Jetzt war es an ihr, eine lange Pause zu machen.
Kmarr konnte es hinter ihrer Stirn arbeiten sehen. Fast wäre er wieder eingeschlafen, so lange brauchte sie für eine Antwort. Die Unterhaltung hatte ihn erschöpft.
„Ich…ich…ach verdammt, ich weiß es nicht!“
„Da hast Du Deine Antwort.“
„Danke. Nur hilft mir das nicht.“
„Natürlich nicht. Ich will die Antwort auch nicht für Dich finden. Das ist Deine oder eure Sache. Aber am Ende weißt Du schon, was passieren wird.“
„Ja“, antwortete sie so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte.
Er beneidete sie nicht. Drakkan war ein freier Geist, der sich nicht binden lassen würde.
Auch nicht von Anaya oder Jiang. Vielleicht von beiden zusammen, doch er würde sich hüten, diesen Gedanken laut auszusprechen. Ein Harem war bei den Leoniden normal, daher fand er nichts bei der Vorstellung, mehrere Frauen zu haben.
Drakkan natürlich auch nicht. Nur ob es ausgerechnet diese beiden sein mussten, darüber war er sich nicht so ganz im Klaren.
Jetzt stand jedoch vor allem die Frage ihres Überlebens im Raum. Und dazu war die Suppe genau richtig, deren Duft so verführerisch in seine Nase stieg.
Mit Ausnahme von Drakkan, dessen Kochkünste sogar ein Schwein verschmähte, konnten alle ein schmackhaftes Mahl aus den einfachsten Zutaten herstellen.
Anaya rührte gedankenverloren im Topf herum. Sie war wütend auf sich selbst und gleichzeitig ratlos. Bis Jiang sie gefragt hatte, ob es ihr etwas ausmachen würde, Drakkan zu teilen, hatte sie nie Probleme damit gehabt.
Jetzt empfand sie eine gewisse Eifersucht. Ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefiel. Sie genoss ihre Freiheit und hatte auch nicht vor, sie für den großen Kerl aufzugeben.
Und Jiang? Sie war eine gute und treue Freundin, die lange Jahre zugesehen und vermutlich auch zugehört hatte, was sie mit Drakkan trieb. Ein wenig Toleranz von ihr, war das Mindeste, was sie ihrer Freundin schuldig war.
„Was ist eigentlich mit unseren Nachbarn? Meinst Du, wir werden sie irgendwie los?“, unterbrach Kmarr ihre Gedankengänge.
Dankbar für die Ablenkung überlegte sie nicht lange: „Solange sie Blut riechen, werden sie bestimmt nicht verschwinden. Deshalb werden wir unseren Geruch hier zurücklassen. Sobald Deine Wunden nicht mehr bluten, brechen wir auf. Sonst kommt am Ende noch der Hexer mit seiner Flut zurück, wenn er merkt, dass wir nicht so leicht umzubringen sind.“
„Danke, einmal hat mir gereicht.“
„Mir auch. Das ist ein Gegner, dem wir nicht gewachsen sind.“
„Wohl war. Also was ist jetzt mit der Suppe? Willst Du sie noch länger rühren oder füllst Du meine Schale?“
1 - 15 Schilf -
Bislang hatte Shadarr sich immer für unglaublich aufmerksam gehalten. Seinen Sinnen entging nichts. Er war schnell, zugleich aber stark und leise. Hier im hohen Schilfgras in Narfahel musste er erkennen, dass es andere gab, die darin ebenso gut waren, sich verborgen zu halten.
Seine Angreifer fielen ihm erst auf, als die winzigen Blasrohrpfeile von seiner harten Haut abprallten, ohne ihn zu verletzen.
Die Wesen waren schlank, kaum dicker als ein kleines Bündel Schilf, hatten längliche Köpfe wie ein Rohrkolben und ebenso dunkel. Sonst waren sie von der Farbe trockenen Grases. Sie hatten vier Arme, die wohl nicht kräftiger wirkten, als ein einzelner Halm und in zarten Blütentrieben endeten, mit denen sie die Schilfblasrohre hielten.
Ihre Münder waren schmale, senkrechte Schlitze, wie bei den Blutbäumen. Ihre Augen, von denen sie vier besaßen, waren dunkle Löcher. Fast jeder hielt ein oder zwei Dolche in den freien Händen, die von Form und Material an lange Blätter erinnerten, offensichtlich aber härter und schärfer waren.
Zu hören war nur das Rascheln von Schilf im Wind, in dem das trockene Husten der Blasrohre kaum auszumachen war.
Einen Geruch hatten sie ebenso wenig.
Alles, was Shadarr roch, waren die Pflanzen und der schlammige Untergrund. Er überlegte kurz, ob es sich lohnte, ein paar von ihnen zu erlegen, doch dazu hätte er Jiang ablegen müssen.
Es war nicht so, dass er Angst verspürte, doch auch er konnte bei all seiner Stärke und Schnelligkeit nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein. Also schwenkte er sein mächtiges Haupt nur einmal hin und her, dann preschte er geradewegs auf die größte Gruppe zu. Die kleinen Viecher verschwanden raschelnd im Schilfmeer, ohne Spuren zu hinterlassen.
Obwohl er versuchte, einige unter seinen Klauen zu zermalmen, war er sich fast sicher, dass er nur ein paar Halme geknickt hatte.
Hierher musste er unbedingt zurückkehren. Die Jagd versprach, interessant zu werden.
Jetzt war Eile wichtiger. Besonders, weil er fühlte, wie Jiang sich regte. Irgendwie hatte sie ein kleines Fläschchen von ihrem Gürtel gelöst, und schluckte gerade die beißend riechende Flüssigkeit daraus hinunter.
Der Bambuswald war endlos. Seltsamerweise waren die Stämme kleiner als sie und stachelig. Kleine Dämonen mit langen Nasen spuckten sie an, während sie an ihnen vorbei glitt, ohne einen Schritt zu tun. Sie schwebte auf einer stacheligen Sänfte vorbei.
Blicke aus tausend Augen begleiteten sie, sich stachen wie Nadeln nach ihr, gleichzeitig brannten sie wie Feuer unter der Haut. Was als leichtes Kribbeln begonnen hatte, wurde unerträglich, als die Krämpfe einsetzten.
Dunkel erinnerte Sie sich an eine grünhäutige Dämonin mit Hörnern und Hufen, die etwas über einen Trank gesagt hatte, der alle Schmerzen fraß. – Wenn man ihn überlebte.
Kaum einen Lidschlag, nachdem der letzte Tropfen ihre Kehle passiert hatte, setzten die Krämpfe ein. Es war als würden alle Muskeln gleichzeitig angespannt. Sie biss sich beinahe die Zunge ab, während sich ihr Rücken durchbog, als wolle ihr Rückgrat brechen.
Ihr war so, als versuche jemand ihr den Magen durch die Nase zu ziehen. Ihr Körper zitterte und schüttelte sich. Ihre Haut begann zu bluten, ihre Augen, ihre Nase, sogar ihre Oren und ihre Brustwarzen. Das Blut, welches austrat, war ölig und schwarz.
Shadarr schmeckte Aas und andere Dinge, die sich noch weniger zum Essen eignete.
Er spuckte Jiang kurzerhand aus.
Sie landete steif wie ein Brett im Schilf, den Rücken angespannt wie ein Bogen, Arme und Beine weit gespreizt. Sogar die Finger und Zehen.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Haut zitterte in Wellen, Schaum hatte sich vor Mund und Nase gebildet.
Die Bläschen blubberten mit der Atmung. Nicht nur der Geschmack war widerlich, auch der Gestank war kaum auszuhalten.
Shadarr wurde zwei Schritte zurückgetrieben.
Er blickte sich um, sicher dass die kleinen Kreaturen noch in der Nähe waren, doch obwohl er sich gründlich umblickte, konnte er keine mehr entdecken.
So, wie sie aufgetaucht waren, so waren sie auch wieder verschwunden. Er war sich sicher, dass er sie nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
Unterdessen hatten Jiangs Krämpfe und das Zittern aufgehört, dafür erbrach sie sich nun, während sich ihr Körper gleichzeitig auch auf andere Weise entleerte.
Sie schaffte es irgendwie, sich auf die Seite zu rollen, um nicht in ihren Exkrementen liegen zu bleiben.
Interessiert beobachtete Shadarr, wie um sie herum das Schilf verwelkte. Alles an Jiang war also giftig. Schlecht zu fressen.
Er hielt sich auf der Windabgewandten Seite, denn der Geruch, den sie verströmte, war sogar für Ihn fürchterlich abstoßend.
Eine Mischung aus süßlicher Fäule, Blut, saurer Milch und Tod.
Immerhin schien es so, als hätte sie bis hierhin überlebt, doch es war noch ein weiter Weg aus dem Schilf. Es war eisig kalt und der Untergrund nicht besonders trocken.
Was das Gift nicht vermocht hatte, konnte der einbrechende Winter noch erreichen.
Читать дальше