„Warum nicht?“
‚Was soll‘s‘, dachte er: ‚ich kann ebenso gut beenden, was ich angefangen habe.‘
„Ehrlich gesagt, mir ist der Stab unheimlich.“
„Dir? Seit wann bist Du denn abergläubisch?“
„Du hast keine Vorstellung davon was der Zirkel getan haben muss, um diese Strafe zu verdienen. Ich fürchte, etwas ist noch in dem Stab gefangen.“
Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken.
„Bist Du sicher?“
„Ja.“
„Wie das?“
„Es ist der Stab selbst. Hast Du gesehen, woraus er ist?“
„Nein, warum? Sind es Knochen?“
„Nicht direkt. Es ist eine Dryade.“
Kmarr starrt sie an: „Du meinst er ist lebendig?“
„Ich weiß es nicht genau.“
Sie dachte einen Augenblick darüber nach: „Nein, ich glaube nicht. Ich denke, es ist der Körper eines Baumgeistes. Eben einer Dryade.“
„Willst Du damit sagen, Du trägst eine Leiche mit Dir herum?“
Er musste einmal mehr feststellen, dass es noch immer Dinge gab, die ihn überraschen konnten.
„So wie Du das sagst, klingt das besonders abscheulich. Vor allem, weil Du vermutlich damit Recht hast und auch wieder nicht.“
Sie hob frustriert die Arme: „Es ist kompliziert.“
„Warum? Sind Baumgeister denn nicht lebendig?“
Er hatte schon von ihnen gehört, allerdings waren sie sehr verstohlen und nur selten bekam sie jemand zu Gesicht. Zumeist waren es Fallensteller oder Holzfäller, die sich ihren Zorn zuzogen.
„Und wieso ist sie so klein? Ich dachte immer, Dryaden wären groß wie ich und schlank wie Du.“
Anaya nickte: „Stimmt auch. Dryaden sind das lebendige Kernholz sehr alter Bäume. – Das ist zumindest das, was die Alian über sie wissen. Es heißt, ein Druide oder Arkanist großer Macht könne sie aus dem Baum locken oder erwecken.“
„Dann sind es magische Kreaturen? Das wusste ich gar nicht.“
„Mit solchem Wissen gehen wir vorsichtig um. Wäre es nicht ohnehin in der Bibliothek von Llûn zu finden, hätte ich es Dir nicht erzählt.“
„Was ist nun mit dem Stab? Für eine Dryade ist er doch viel zu klein.“
„Irgendwie schon. Dennoch hat er ihre Form. So als hätte sie jemand ganz fest zusammengedrückt, bis sie klein und dünn geworden ist.“
Wieder schüttelte sie sich.
„Was kann der Stab denn nun? Ist er nicht eigentlich nur ein Symbol der Macht, die der mächtigste Druide eines Zirkels hält.“
Anaya sah ihn lange an, bevor sie antworte. Kmarr hatte das Gefühl, einen Test bestanden zu haben: „Ich will die Frage so beantworten, dass ich Dir hinterher nicht töten muss.“
Sie sagte das ruhig und freundlich und trotzdem spürte Kmarr plötzlich eine Bedrohung. Sie meinte jedes Wort genauso, wie sie es sagte.
„Und das, wo Du Dir so viel Mühe gegeben hast, mein Leben zu retten“, witzelte er schwach.
„Eben.“, erwiderte sie ernst.
„Also, jeder Stab ist anders. Wie jedes Schwert von einem Schmied zum anderen unterschiedlich ist.“
„Du meinst, wie er es macht und für wen?“
„Unter anderem. Außerdem woraus, wie lang, eine Schneide oder zwei, Parier, Knauf, eben alles. Jetzt stell Dir Unterschiede zwischen Axt, Schwert, Speer, Keule und auch Pflug, Rechen, Harke, Schaufel und Bogen vor.“
Er überlegte einige Herzschläge: „Alles Werkzeuge, nur jedes zu einem anderen Zweck?“
„Genau. Manche zum Bauen, andere zum Pflanzen und manche, um zu zerstören.“
„Verstehe. Und der da“, er deutete auf den Stab: „gehört zur letzten Gruppe.“
„Nein, das wäre einfach.“
Sie holte tief Luft: „Ich glaube, es ist ein Schöpfer.“
Er musste sie verständnislos angesehen haben, denn sie seufzte: „Manchmal glaube ich, mein Volk macht sich zu viel aus Geheimnissen.“
„War das nicht der Grund, warum Du gegangen bist?“
Sie streckte ihm die Zunge raus.
„Ein Schöpfer tut eben genau das.“
„Wasser schöpfen?“
„Leben erschaffen.“
„Was? Getreide? Gurken?“
Sie verdrehte die Augen: „Auch das wäre möglich. Was ich meinte ist: neues Leben.“
„Wie ein Gott“, fügte sie nach einer langen Pause hinzu.
1 - 17 Flussüberquerung -
Das Seil zog den Kompass unbarmherzig weiter auf die braunen Fluten zu. Phyria klammerte sich eisern fest, um nicht herunter gerissen zu werden.
Irgendwo dort drin, am anderen Ende ertrank gerade Droin und sie konnte nichts tun. Wasser war nicht ihr Element.
Ein Baumstamm trieb auf sie zu, der drohte, den Kompass zu rammen.
Ihr Schicksal schien gewiss, da durchbrach plötzlich ein Arm mit einem Dolch die Wasseroberfläche. Die Klinge senkte sich und verschwand im weichen Uferschlamm samt der Faust, die sie hielt. Ihr folgte einen Lidschlag später Droins anderer Arm mit der Kriegshacke.
Wie ein Dämon der Unterwelt erhob er sich langsam aus den Fluten. Wasser rann in Sturzbächen über seinen muskelbepackten Körper. Er schüttelte prustend den Kopf, so dass Tropfen in alle Richtungen geschleudert wurden.
Den Baumstamm vergessend konnte Phyria nur staunend zuschauen, wie Droin sich eine Handbreit nach der anderen am Ufer emporzog.
Schlamm spritzte jedes Mal auf, wenn er eine der Waffen neu versenkte, um sich wieder ein Stück weiter nach oben zu ziehen. Wo seine langen schwarzen Haare einen Blick auf seinen Körper frei gaben, entdeckte Phyria Narben und Tätowierungen.
Noch immer bewundernd bemerkte sie, wie er die Stiefel ebenfalls in den Schlamm rammte, als er sich gänzlich aus den Fluten befreite.
Das Tau zog er dabei nach und nach hinter sich her.
Keinen Augenblick zu früh, wie sie plötzlich entdeckte.
Der Baumstamm, der sich bis gerade noch träge auf sie zu bewegt hatte, war unterdessen beinahe zu einem Geschoss geworden, von den Wassermassen ergriffen, sauste er auf sie und den Kompass zu.
Doch Droin hatte die Kante der Uferböschung bereits erreicht.
Wie ein Fischer seinen Fang, zog er sie an der Leine Hand über Hand zu sich heran.
Nur ein paar besonders ausladende Äste streiften das Artefakt, als der Stamm krachend an ihr vorbei gespült wurde. Es zeigte sich, dass er nur ein Vorbote einer viel größeren Flutwelle war, die den Fluss noch weiter anschwellen ließ. Während sie erleichtert am Ufer vom Kompass glitt, verschwanden die Reste der einstigen Brücke bis auf einen einzelnen, abgebrochenen Felsen in den Wassermassen.
„Das war knapp“, kommentierte Droin nüchtern. Er war bereits wieder dabei, sich in seine zum Glück trockene Kleidung zu anzuziehen.
„Was macht Dein Bein?“, fragte er dabei.
Als hätte die Wunde nur darauf gewartet, schoss ein brennender Schmerz hindurch, der sie einknicken ließ. Nur dank des Artefakts blieb sie keuchend stehen.
„Dachte ich mir.“
Droin unterbrach seine Tätigkeit. Statt sich weiter anzuziehen, wühlte er in seinem Gepäck, bis er eine Kräuterpackung von Anaya gefunden hatte.
„Wir müssen aufhören, uns zu verletzen“, meinte er, während er sie rasch, aber sorgfältig verband.
„Du wirst eine Krücke brauchen. So kannst Du nicht weiterlaufen.“
„Müssen wir denn weiter?“
Sie schwankte unsicher hin und her.
Droin, der schon wieder damit fortfuhr, die Rüstung anzulegen, nickte: „Das komische Biest wird einen anderen Weg über den Fluss finden.“
„Woher willst Du das wissen?“
„Ich kann es sehen. Es steht da drüben und starrt uns hinterher. Ein Glück, dass es nicht schwimmen kann.“
Phyria schüttelte den Kopf: „Wie kannst Du sicher sein?“
„Es ist dort drüben, wir sind hier. Wenn es keine Angst vor dem Wasser hätte, könntest Du diese Frage jetzt wohl nicht mehr stellen.“
„Auch wieder wahr.“
Sie seufzte: „Jetzt hast Du mir schon wieder das Leben gerettet. So werde ich ewig in Deiner Schuld stehen.“
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