Die schwarz uniformierte Policía Local übernahm vorzugsweise Ordnungsfunktionen. Sie regelte den Verkehr, bat Verkehrssünder zur Kasse, trat bei Einbrüchen und Diebstählen in Aktion. Auch bei Streit, Körperverletzung und Nötigung schritt die Policía Local ein. War aber ein Messer im Spiel, war die grün gekleidete Guardia Civil zuständig. Die durften, im Gegensatz zur Policía Local , bei Delikten wie Raub oder Vergewaltigung die Täter beziehungsweise Verdächtigen verhaften. Wurde das Opfer allerdings bedroht, verfolgt und fürchtet um sein Leben, war die blau gekleidete Policía Nacional für die Aufklärung zuständig. Da lag es auf der Hand, dass alle drei Polizeisektionen ständig überprüfen mussten, ob ein Fall in ihre oder in eine andere Kompetenz fiel. Wenn sich die Policía Local nicht sicher war, rief sie die Guardia Civil, die rief bei Gewaltverbrechen die Policía Nacional ... Deshalb hatte man sie heute Morgen geweckt.
Rund um den Tatort wimmelte es von Neugierigen. Mercédès musste schmunzeln, als sie die vielen Menschen wahrnahm, die sich ihre Nasen an den riesigen Glasscheiben platt drückten, hinter denen das Hallenbad erkennbar war, um etwas von der Sensation mitzubekommen, die sich hier buchstäblich vor ihrer Nase abspielte.
Ein junger, schwarz uniformierter Polizist der Policía Local stand vor der Glasfassade und wies sie ein, nachdem sie ihren Ausweis gezeigt und sich knapp vorgestellt hatte. »Wissen wir schon, wer das Opfer ist?«, erkundigte sie sich. Miquel hatte am Telefon nur angemerkt, sie hätten eine weibliche, schwimmende Leiche.
» Senyora Sabrina Schneider. Seit Ende Oktober Gast in der Anlage. Sie bewohnt Apartment 920. Laut Resortleiter wollte sie ihr neuestes Buch fertigstellen.«
»Eine Schriftstellerin? Interessant. Welche Art von Literatur?«, fragte Mercédès neugierig.
»Erotische«, antwortete der junge Polizist leicht errötend.
»Olala«, konnte sich die Comissària ein Lächeln nicht verkneifen. »Wer hat sie gefunden?«
Der Kollege deutete auf das ältere Ehepaar, das, in seine abgewetzten Bademäntel gewickelt, in einer Ecke des Hallenbades stand und dem geschäftigen Treiben fassungslos zusah. Wobei, fassungslos war eher er. Sie schien die Situation zu genießen. Bevor Mercédès ins Gebäude verschwand, bat sie den Kollegen, die Schaulustigen zurückzudrängen, denn auch eine Tote hatte Privatsphäre verdient.
»Das habe ich versucht, Comissària. Aber die wollen einfach nicht hören! Die Herbstmonate sind immer sehr, sehr ruhig. Anfang November schließen viele Läden und Cafés, es werden kaum noch Aktivitäten angeboten. Nur hin und wieder ein bisschen Klatsch und Tratsch. Und jetzt ist endlich etwas los. Da wollen sie nichts versäumen. Außerdem soll die Tote die letzte Woche die Hauptperson des allgemeinen Interesses gewesen sein«, zwinkerte er ihr zu.
»Versuchen Sie´s trotzdem noch mal, ja?«
Er nickte Gott ergeben.
Die Kommissarin näherte sich dem Paar, das die Tote gefunden hatte. Die Dame wirkte leicht gehässig, machte sich mit bissigen Bemerkungen über die Tote her.
»Buenos días«, grüßte Mercédès freundlich, »ich bin Comissària Mercédès Mayerhuber und leite die Ermittlungen. Wer sind Sie?« Wie immer, wenn Sie sich mit ihrem ausgefallenen Namen vorstellte, wanderten zuerst einmal erstaunte Augen in ihre Richtung. Wie hatte sie das satt!
»De ausgschamte Person, die häd no gar ned so fria im Pool sei derfa. De sperrn jo east um achte auf«, keifte die Frau gleich los.
»Bisd stad, Mutti, die Frau Kommissarin interessiad des ned.« Mit einem entschuldigenden Blick auf seine Frau drehte er sich der Kommissarin zu. »Rosmarie und Josef Fichtelhuber aus Rosenheim. Mia überwintern do. Wia jeds Joar.«
Auch eines dieser deutschen Paare, die es sich leisten konnten, den Winter im wärmeren Mallorca zu verbringen und den Einheimischen die Preise ruinierten, dachte Mercédès leicht verbittert, ließ es sich aber nicht anmerken.
»Kannten Sie Frau Schneider?«
»Kenna is zvui gsogt. Obwoi sie a Stammgast is. Gseng hom mia sie a boh moi. Oiwei mid andern Mannsbuidern«, keifte Frau Fichtelhuber los. »De war aa aus Rosenheim. Friaha. Bevoa sie noch Berlin ganga is. War oiwei so a ausgschammts Luada. Nia fahairad, aba oiwei oan, der um sie herumgschwanzelt is.«
Die Comissària hob leicht die Augenbraue. »Herumgschwanzelt?«, versuchte sie zu formulieren.
»Na, Männa hoid, de ihr nachglaffa san.«
»Aha. Sind ihr hier auch Männer nachgelaufen?«
»Na sicha. Auf 602 wohnt a ältera Mo mid seina krankn Frau, der hod si öfta mit ihr unterhoidn. Ma munkelt, dass do wos g´laufon is. Jo, und seid a pooa Tog is auf 115 so a junga Mo, der wos do allon wohnt. Der sull ogeblich ihr Liabhobr aus Berlin sei. Und da Resoatleita, da do drend so vaschdoanart städ, da Herr Hoffmann, soi aa a Aug auf ihr g´woafa hom.«
»Mutti, jetzt hear scho auf damit. Des san ois grod Vamutunga. Mia wissn gar nix«, wieder mit einem entschuldigenden Blick zur Kommissarin.
Diese lächelte leicht und meinte: »Danke vorerst, wenn wir noch Fragen haben, wo können wir Sie finden?«
»Mia wohna im Heisl 8, auf 815«, antwortete Herr Fichtelhuber, hakte seine Frau unter und zog die protestierende Rosie hinter sich her. Mercédès schaute den beiden nach, bevor sie sich an den Manager des Hotels wandte.
„Buenos días. Herr Hoffmann, wenn ich nicht irre?“, fragte Mercédès den immer noch wie versteinert dastehenden Geschäftsführer.
»Ja, der bin ich«, und wunderschöne, bernsteinfarbene Augen in einem markant geschnittenen Gesicht richteten sich auf die Kommissarin. Ein Blick, der Mercédès unter die Haut ging und ein eigenartiges Kribbeln in ihr hervorrief. Nicht nur, weil sie nicht mit einem dermaßen attraktiven Mann gerechnet hatte, sondern sie war überrascht über den Schmerz in seinen Augen. Und das Zucken seiner Augenlider verwirrte sie. War er nervös?, überlegte sie.
»Comissària Mayerhuber, ich leite diesen Fall. Kannten Sie die Tote näher?“
»Warum näher?«, fragte er aufgewühlt.
Oh oh, dachte Mercédès, der hat etwas zu verbergen.
»Wie man mir erzählt hat, war Frau Schneider Stammgast in dieser Ferienanlage. Da ist es naheliegend, dass Sie die Tote kannten.«
»Ähm, ja, natürlich. Sie kam seit einigen Jahren regelmäßig im Herbst zu uns, um sich zu entspannen. Wir haben hin und wieder geplaudert.«
Sie konnte seinen Gesichtszügen entnehmen, dass sie mehr als nur geplaudert hatten. Erneut sah sie Schmerz darin. Ja, sogar Erschütterung.
»Können Sie uns etwas zum Umstand ihres Todes sagen oder gibt es irgendwelche Besonderheiten, die Sie bemerkt haben?«
»Äh, nein, nicht das ich wüsste.«
»Warum sind Sie so nervös?«
»Ich … äh, bin nicht nervös.«
»Doch, das sind Sie.« Mercédès war überrascht, denn er schien eher der Typ eines selbstsicheren Managers zu sein. Was war mit ihm los?
»Ich … nein, ja …«
»Also, was jetzt?«, fragte sie hart.
»Sie sehen doch, was hier los ist. Die ersten Gäste beschweren sich bereits, dass sie nicht ins Hallenbad dürfen, obwohl normalerweise die wenigsten am Vormittag den Pool nutzen. Die anderen beklagen sich über den Lärm, den die Bauarbeiter vom Nachbarhotel veranstalten. Keiner hat uns informiert, dass dort Renovierungsarbeiten durchgeführt werden«, kam es genervt vom Manager. »Brauchen Sie mich noch? Ich habe alle Hände voll zu tun, um die Gäste zu beruhigen.«
War es nur das?, überlegte die Kommissarin und meinte: »Vorerst nicht. Wo kann ich Sie finden, wenn ich noch Fragen habe?«
»In meinem Büro an der Rezeption«, damit marschierte er in weit ausholenden Schritten davon, wie es großgewachsenen Männern eigen war. Mercédès schaute ihm fasziniert nach, fühlte Blicke auf sich gerichtet und drehte sich nach diesen um.
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