»Ich schicke dir eine SMS«, kam es zurück. Käthe musste sich darauf konzentrieren, ihren Koffer über das Eis zum Wagen zu schaffen, ohne zu stürzen. zum Abschied winkte sie ihr einmal zu und fuhr davon.
Zurück blieb ein einsames Haus.
Niemals hätte Trixi es für möglich gehalten, dass ihr Käthe einmal so wichtig werden könnte. Allein stand sie in dem erleuchteten Wohnzimmer und spürte eine lähmende Traurigkeit aufkommen. Rasch besann sie sich, begann aufzuräumen und zu putzen. Arbeit lenkte sie ab.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Tätigkeit.
Wollte Käthe ihr nicht eine SMS schicken?
Sie hob ab und erlebte eine unangenehme Überraschung. Es war Roland Berkes.
»Ich möchte dich an einem der Weihnachtsfeiertage zum Essen einladen.«
Trixi war fassungslos. Woher wusste er, dass sie wieder allein war? Als sie nicht reagierte, sprach er seine Einladung noch mal aus. Trixi glaubte zu träumen. Kaum hatte Käthe das Haus verlassen, ging alles von vorn los. Wie oft hatte sie versucht, ihm klarzumachen, dass sie nicht mit ihm ausgehen wollte? Wie viele Beleidigungen hatte sie ihm an den Kopf geworfen? Wie oft hatte sie ihm ihren Standpunkt klargemacht? Das alles hatte nichts genützt.
»Was ist mit dir, Trixi?«, fragte er. »Warum sagst du nichts?«
»Weil ich dir nichts zu sagen habe.«
»Aber ich lade dich doch nur zum Essen ein.« Rolands Tonfall und seine Stimme klangen so niedergeschmettert, dass Trixi plötzlich Zweifel bekam, ob er wirklich hinter diesen grausamen Taten steckte.
Was war nur los mit ihrnm? Beeinflusste das bevorstehende Fest der Sentimentalitäten ihre Entschlossenheit?
»Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?«, gab sie zurück. »Du richtest mir Weihnachtsschmuck ein, ohne mich vorher zu fragen, du …« weiter kam sie nicht mehr, da warf Roland ein: »Ich wollte dir nur eine Freude machen.«
»Eine Freude, indem du mir einen geschmückten …«
»Was ist daran so verwerflich, einen Menschen, den man von Herzen gern hat, einzuladen? Ich weiß, dass du allein bist über die Feiertage. Ich habe nur eine kranke Mutter als Gesellschaft. Da könnten wir uns die Zeit gemeinsam schöner machen.«
Sie konnte seine Nachstellungen nicht mehr ertragen. Einerseits hielt er ihr vor, dass er bestens über ihr Leben Bescheid wusste, andererseits mimte er den Verliebten. Also beschloss sie, ihn anzulügen, damit er endlich Ruhe gab: »Nein. Pflege du deine Mutter – ich habe einen Gast.«
Aber anstatt Roland Berkes zu überraschen, überraschte er sie: »Du hast keinen Gast. Wen denn? Es gibt niemanden in deinem Leben.«
Erschrocken legte Trixi auf. Weggewischt waren die Zweifel, ob er wirklich hinter den grausamen Ereignissen steckte, die in und um ihr Haus herum geschahen. Nun hatte sie Gewissheit.
Wieder klingelte das Telefon. In der Annahme, dass es dieses Mal nur Käthe sein konnte, hob sie ab. Stattdessen hörte sie schon wieder die verhasste Stimme: »Nimmst du meine Einladung zum Essen an?«
»Du bist krank im Kopf! Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?«
»Du hast geschwindelt. Das ist keine Antwort, sondern nur ein Ausweichmanöver.«
Da hatte Trixi wieder die Bestätigung dafür, dass sein Verhalten abnormal war. Aber sie war allein, Käthe war nicht da, um es bezeugen zu können. Roland wusste genau, was er tat.
»Dann sage ich es deutlicher: Nein und nochmals nein.«
Mit enttäuschter Stimme wünschte Roland ihr ein frohes Weihnachtsfest und legte auf.
Fast im gleichen Augenblick meldete sich ihr Handy. Sie SMS von Käthe. Wäre sie nur eine Minute früher eingetroffen, hätte sich Trixi diese unerwünschten Telefonate sparen können.
Nun erst konnte Tixi abschalten. Sie zündete die Kerzen ihres Adventskranzes an, ließ leise Weihnachtsmusik laufen und streckte sich auf dem Sofa aus.
Die Stille, die in dem leeren Haus herrschte, seit Käthe fort war, empfand sie mit einem Mal als ungewohnt. Um ihre Einsamkeit besser ertragen zu können, flüchtete sie in die Erinnerungen der letzten Wochen.
Plötzlich hörte sie ein scharrendes Geräusch. Ihr blieb das Herz stehen. War jemand im Haus? Eine Weile lauschte sie, hörte aber nichts mehr. Vielleicht hatte sie sich auch nur getäuscht. Sie wollte sich gerade wieder entspannen, als es von oben krachte. Nun war sie sich ganz sicher, dass ein Einbrecher im Haus war.
Ihr Handy lag direkt neben ihr. Sofort griff sie danach und rief bei der Polizei an. Polizeihauptmeister Hollmann hob ab. Als sie seine Stimme hörte, war sie erleichtert.
»Bitte kommen Sie schnell, es ist jemand im Haus!«
»Wir sind in wenigen Minuten da.«
Es dauerte wirklich nicht lange, da hielt ein Polizeiauto vor der hölzernen Brücke. Zwei Polizeibeamte stiegen aus und kamen auf das Haus zu.
Hollmann war nicht dabei.
›So ein Mist‹, dachte Trixi. ›Wich er ihr aus? Warum kam er nicht selbst?‹
Enttäuscht führte sie die beiden Beamten die Treppe hinauf in den ersten Stock.
Prüfend gingen sie durch jedes Zimmer.
Einer der Beamten blieb stehen und grinste. Trixi folgte seinem Blick. Sie traute ihren Augen nicht. Vor ihnen stand die Schaufensterpuppe ihrer Mutter – in veränderter Form. Auf die Vorderseite des Holzkopfes war ein Gesicht aufgemalt worden, ein Frauengesicht mit knallrotem Kussmund, langen Wimpern über großen Augen mit Schlafzimmerblick. Auf den Brüsten, die nur aus zwei Rundungen bestanden, waren Brustwarzen aufgemalt und zwischen den Beinen ein schwarzes Gekräusel, was wohl die Schamhaare darstellen sollte.
»Die Puppe ist angemalt worden. Es war also wirklich jemand hier.«
»Oh ja! Und zwar einer von der ganz heimtückischen Sorte«, erkannte einer der Polizeibeamten schmunzelnd. »Wir werden eine Fahndung nach einem Erotikkünstler herausgeben.«
Während er seine Kamera hervorzog und Fotos von der bemalten Puppe schoss, bemühte er sich ernst zu bleiben. Doch als der andere laut loslachte, konnte er sich nicht mehr beherrschen.
»Wir haben es hier mit einem gefährlichen Gegner zu tun.«
»Oh ja! Die Kunstmafia. Sie zwingt Puppen ihre Reize zu zeigen.«
Immer neue Scherze fielen den beiden ein.
»Heißt das, dass Sie nichts tun werden?« Trixis Stimme klang verzweifelt.
»Natürlich nehmen wir Ihre Anzeige auf. Ich habe die Fotos nicht für mein Sammelalbum gemacht, sondern für die Beweisaufnahme.«
Dann verabschiedeten sie sich, nicht ohne ihr seltsame Blicke zuzuwerfen.
Das hatte sie nun davon. Sie wurde ausgelacht.
Je länger sie über alles nachdachte, umso mehr begann Trixi, an sich selbst zu zweifeln. Was geschah mit ihr? In der Zeit, als Käthe bei ihr gewohnt hatte, war nichts passiert, nicht das leiseste Geräusch, nicht die geringste Andeutung, dass dieser Kerl ein makabres Spiel mit ihr trieb. Er beobachtete jeden ihrer Schritte, ein Gedanke, der sie frösteln ließ. Nur so erfuhr er, wann sie allein war und wann er zuschlagen konnte. Damit gelang es ihm, sie wie eine Idiotin dastehen zu lassen. Nun hatten die Polizisten der Polizeidienststelle Saarbrücken-Land auch noch einen Grund, sie auszulachen. Der Plan ihres Verfolgers war genial – sein Erfolg eindeutig.
Entmutigt betrat sie ihr Schlafzimmer. Sie eilte zum Fenster, um den Rollladen herunterzulassen. Im gleichen Augenblick leuchtete ein kleines Licht auf, als zünde sich dort jemand eine Zigarette an. Durch das kurze Aufleuchten sah sie die Silhouette eines Menschen, der am Berghang saß – auf der Höhe des Schlafzimmerfensters. Sie konnte kein Gesicht erkennen, nur, dass die Gestalt sich nicht bewegte.
Mit einem Ruck ließ sie den Fensterschutz herunter und rannte hinaus in den Flur. Dort griff sie nach ihrer Daunenjacke und verließ im Laufschritt das Haus. Zu ihrem großen Glück fiel ihr wieder der nette, alte Herr ein, der ihr seine Hilfe angeboten hatte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Sie brauchte seine Hilfe.
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