Seit Jahren unterhalten gewisse Kreise des weltweiten militärisch-industriellen Komplexes Kontakte zu einer außerirdischen Intelligenz. Seit Jahren starten Raumschiffe von der Erde in Richtung Mars, und seit Jahren landen marsianische Schiffe auf der Erde. Die Start- und Landeplätze werden natürlich geheimgehalten. Zeugen werden zum Schweigen gebracht oder verschwinden auf rätselhafte Weise.
Was steckt hinter dem Schweigen? Militärische Interessen? Die Tatsache, dass ein solches Top-secret-Projekt Unsummen von Geld verschlingt, die irgendwie an den Parlamenten vorbeigeschleust werden?Wer finanziert das Vorhaben und mit welchem Ziel?
Dass es Starts oder Landungen überhaupt gibt, wird von allen offiziellen Stellen als Ufoquatsch abgetan, als hanebüchener Unsinn, und alle, die nachfragen, für geisteskrank erklärt. Man verweist darauf, dass die bemannte Raumfahrt seit Jahren eingestellt wurde, bis auf die üblichen Mond- und Erdumkreisungen, die exklusive Reiseverantstalter inzwischen in ihr Programm aufgenommen haben. Das EXTIREC (Extraterrestrical Intelligence Research Center, www.extirec.com) bestreitet dies jedoch nachdrücklich. Zudem ist es erst einen knappen Monat her, dass sich im schottischen Hochland etwa hundert Kilometer westlich von Inverness ein mysteriöser Absturz ereignete. Es gab Zeugen, doch die wurden eingeschüchtert. Alle Spuren wurden über Nacht beseitigt. Jetzt brauchte man nur noch zu dementieren und alles hatte nie stattgefunden.
Von Zabern, einer der letzten großen Aufklärer unserer Zeit, hat sich daran gewagt, einige dieser Geheimnisse zu lüften und ein Buch darüber zu veröffentlichen. Dies bezahlte er mit seinem Leben. Sein Tod ist tragisch, doch allemal Beweis genug dafür, dass er nicht im Trüben herumfischte oder sich mit banalen Ufo-Fantasien abgab, die man heutzutage dutzendweise in Illustrierten ...
„Das darf ja wohl nicht wahr sein.“ Andersen las nicht weiter. „Solch haarsträubender Blödsinn ist mir seit Jahren nicht untergekommen.“ Angewidert warf er die Blätter auf den Schreibtisch.
Grunwald nickte. „Ich habe den Artikel ausgedruckt wegen des Namens, der darunter steht.“
Andersen griff noch einmal nach dem zweiten Blatt. „R. Kerkhoff“, las er.
„Das ist der Mann, der auf von Zaberns Anrufbeantworter gesprochen hat.“
„Ich frage mich, wozu der ein Interview mit von Zabern machen wollte, wo er doch sowieso schon alles weiß.“ Andersen grinste. „Am besten rufe ich Frau Holm an und frage sie, was sie von der Möglichkeit hält, dass Marsmenschen ihren Mann ermordeten.“
Das Telefon klingelte. Andersen nahm ab.
„Frau Holm für Sie“, teilte ihm die Zentrale mit.
Andersen warf seinem Kollegen einen Blick zu. „Wenn man vom Teufel spricht ... - Was kann ich für Sie tun, Frau Holm?“
„Es wurde eingebrochen.“
„Das wissen wir bereits.“
„Sie verstehen mich nicht. Ich meine, dass diese Nacht eingebrochen wurde.“
„Noch einmal?“
„Ja. Jemand hat sich Zugang durch die Seitentür der Garage verschafft und ist so ins Haus gelangt.“
„Hat er etwas gestohlen?“
„Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben, Herr Kommissar. Derjenige, der Benno ermordete, wollte nichts stehlen. Er hat nach etwas gesucht.“
***
Hauptkommissar Andersen gehörte nicht zu den Menschen, die sich oft in etwas verrannten. So wie andere gab er nicht gern Fehler zu oder nahm eine Meinung zurück, wenn sie sich als falsch erwies. Doch es schien ihm leichter zu gelingen als den meisten. Manche beneideten ihn um diese Eigenart, anderen galt er deshalb als windiger Typ. Für Andersen selbst stand fest, dass die Fähigkeit, Fehler zu machen und sie einzugestehen, einen nicht unerheblichen Anteil an seinem beruflichen Fortkommen hatte. Gerade wenn man über Talent und einen guten Instinkt verfügte, durfte man nicht in die Attitüde des Superbullen verfallen, dessen untrügliche Spürnase immer richtig lag. Wer eine Sackgasse betrat und den Rückweg aus Ehrengründen ausschloss, war ein Dummkopf. Viele Kollegen würden das niemals begreifen.
So wie es aussah, hatte er den Mordfall von Zabern falsch beurteilt. Hatte noch gestern alles nach einem Raubmord ausgesehen, so war diese Theorie heute nicht mehr viel wert. Es kam nicht vor, dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im selben Haus eingebrochen wurde, schon gar nicht, wenn das erste Mal mit einem Mord geendet hatte. Das Fehlen der Schmuckschatulle hatte Andersen voreilig überzeugt, denn er hatte nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der Täter keinen Einbruch vorgetäuscht, sondern tatsächlich einen begangen hatte, um von dem abzulenken, was sich hinter dem Mord verbarg. Vielleicht hätte er dann auch Frank Grunwalds Bemerkung über das Chaos auf dem Schreibtisch nicht mit einer flapsigen Bemerkung abgetan.
Dieses Mal fuhr er allein zum Tatort. Unterwegs rief er Lingen an und erfuhr, dass dessen Suche nach der mysteriösen Datei, die der Monitor angezeigt hatte, leider vergeblich gewesen war. Das Dokument befand sich auf keiner der CDs, die am Tatort gefunden worden waren.
Zwei Kollegen der Spurensicherung, die er in von Zaberns Haus antraf, informierten ihn über den Stand der Dinge: Der neuerliche Einbruch hatte zwischen neun und zehn Uhr stattgefunden, während Nelli einen Arztbesuch machte. Da die Beamten verschiedene Abdrücke gefunden hatten - einen von einem Stiefel und einen von einem Schuh - gingen sie von zwei Tätern aus. Diese waren durch die Garage gekommen und dann ins Wohnzimmer eingedrungen, das erst Stunden zuvor von der Kripo versiegelt worden war.
Gut die Hälfte der Bücher war dieses Mal aus den Regalen gerissen worden und lag über den Boden verstreut.
„Also haben sie gestern nicht gefunden, was sie suchten“, meinte der Hauptkommissar.
Nachdem die Kollegen sich verabschiedet hatten, wandte er sich an Nelli Holm, die auf der Couch saß und die Arme um ihre Knie geschlungen hatte.
Sie sah erschöpft aus.
„Haben Sie irgendeine Idee, was diese Leute gesucht haben könnten?“
Nelli starrte vor sich hin und schüttelte den Kopf.
„Diese Männer haben nicht nur einen Menschen getötet“, erläuterte Andersen, „sondern sind außerdem ein hohes Risiko eingegangen, indem sie ein zweites Mal in das Haus eindrangen. Was auch immer sie suchten, es muss für sie von enormem Wert sein.“
„Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als gestern, Herr Kommissar.“
„Woran arbeitete Dr. von Zabern gerade?“
Nelli sah auf. „Zur Zeit saß er soviel ich weiß an einer kritischen Würdigung des Kyotoprotokolls. Außerdem sammelte er Material für eine Autobiografie.“
„Sagt Ihnen die Bezeichnung Rubikon etwas?“
„Nein, nichts.“
„Gestern zeigte der Monitor seines Computers eine Datei an, die sich nicht auf der Festplatte befand, sondern wahrscheinlich auf einem USB-Stick. Der war allerdings nicht auffindbar.“
„Das wundert mich nicht.“
„Warum nicht?“
„Benno hätte niemals einen Stick im Rechner stecken lassen, wenn er eine Pause machte. Er bildete sich ein, dass er dann zu heiß werden könnte. Ich habe ihm oft genug gesagt, dass das Unsinn ist, aber er war nicht davon abzubringen.“
„Sie meinen also, er könnte den Stick herausgenommen haben, bevor er zum Joggen das Haus verließ?“
Nelli nickte.
„Wo könnte er ihn aufbewahrt haben?“
„Er legte seine Datenträger gewöhnlich auf den Schreibtisch, soviel ich weiß.“
Andersen schüttelte den Kopf. „Dort haben wir alles überprüft. Außerdem haben die Täter dort mit Sicherheit auch zuerst gesucht.“
Frau Holm wies mit dem Arm auf die oberen Bücherregale, die noch unangetastet waren. „Er hatte die Angewohnheit, Briefe oder Geldscheine in Bücher zu stecken und sie dort zu vergessen“, sagte sie. „Wenn er sie dann Monate später zufällig wiederentdeckte, war er selbst überrascht. Da zeigt sich mal wieder, dass Lesen eine spannende Sache ist, sagte er.“
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