In diesem Moment betrat eine Gruppe von Bauarbeitern lärmend und johlend den Imbiss und Erwin eilte hinter seine Verkaufstheke zurück. Jetzt begann das Mittagsgeschäft und mein Freund hatte alle Hände voll zu tun.
In einem unbeobachteten Moment entsorgten der alte Mann und ich unsere Essen in seltener Eintracht im Mülleimer.
Geduldig stellte ich mich an der Schlange der Bauarbeiter an, die jetzt einen Flachmann herumgehen ließen. Zwischendurch leerten sie in für mich ungewohnter Geschwindigkeit die ein- oder andere Bierflasche, die Erwin geschwind wieder gegen volle auswechselte.
Endlich begaben sich die Männer mit ihren Frittenschälchen zu einem der Tische, um dort lautstark weiter zu palavern.
Erwin sah ihnen grinsend hinterher. „Ja, so sind sie, unsere Mönchengladbacher Werkschaffenden.“ Dann wurde er ernst: „Und, Jonathan? Hat dir das Smile-Menü geschmeckt?“
„Hervorragend Erwin“, log ich. „Du glaubst gar nicht, wie schnell das Essen weg war.“ Angesichts des raschen Verschwindens im Mülleimer musste ich nicht einmal lügen.
„Macht dann siebenundzwanzig Euro achtzig“, verkündete mein Freund. „Mit der Cola zusammen.“
„Äh, Erwin, die Cola hattest du ganz vergessen. Ich habe keine bekommen!“
„Dafür denke ich ja jetzt daran. Sei nicht so kleinlich, Jonathan. Schließlich habe ich für die Smile-Kreation den ganzen Vormittag in der Küche gestanden.“
„Ich brauche aber noch etwas Spezielles“, orderte ich. „Kannst du mir zwei rohe Bratwürste kleinschneiden und in ein Schälchen tun?“
Curry- Erwin sah mich irritiert an. „Zwei rohe Bratwürste? Willst du die dir etwa zu Hause braten?“
Ich lachte. „Nein, mein Freund. Die sind für Bingo.“
„Bingo? Meinst du den Kö... Hund?“
„Genau. Der Malinois. Er muss doch schließlich auch etwas zu fressen bekommen.“
Erwin nickte verstehend. „Ja, so ein Hund ist teuer. Du weißt doch hoffentlich, dass ich rohe Bratwürste nicht zum Normalpreis abgeben kann?“
„Nicht zum Normalpreis?“ Ich freute mich. Mein guter Freund Erwin würde mir die Würstchen günstiger lassen. „Gerne, Erwin. Du bist ein wirklicher Freund.“
Erwin schüttelte den Kopf. „Eine rohe Bratwurst ist nicht gebraten, deswe...“
„Das ist mir klar, Erwin“, unterbrach ich ihn und lachte.
„Deswegen kosten sie das Doppelte von einer normalen Bratwurst“, ließ der Imbissbesitzer sich nicht aus der Ruhe bringen und schob eine Schale mit kleingeschnittenen Würstchen über die Theke.
Zähneknirschend bezahlte ich die Wurst, wurde aber nachher dadurch belohnt, dass Bingo sie mit einigermaßen Genuss fraß.
Ein wenig zu forsch bog ich auf den Parkplatz vor Bernds Krav Maga Studio und hätte fast einen dort parkenden Wagen tranchiert. Doch dank meiner schnellen Reaktion schlitterte ich nur Millimeter an dem Wagen vorbei. Mit quietschenden Reifen kam ich genau auf einem freien Platz zum Stehen. Profifahrer bleibt halt Profifahrer.
Während der Fahrt hier zum Studio hatte ich mir Gedanken gemacht, wie ich Bernd die Sache mit dem Schnulzensänger erklären könnte, ohne ein allzu schlechtes Licht auf mich selbst fallen zu lassen. Leider fiel mir nichts Passendes dazu ein und so nahm ich mir vor, einfach zu improvisieren.
Jennifer, unser Mädchen für alles, stand hinter der Empfangstheke und sah mir mit gerunzelter Stirn entgegen. Ihre langen blonden Haare fielen lose auf die Schultern und im Licht der Sonne kam sie mir vor wie ein Engel.
Bingo stürmte auch sofort auf sie zu und verschwand hinter der Theke. Für einem Moment beugte Jenny sich herunter und ich hörte den Malinois wohlig grunzen. Dann richtete die Blonde sich wieder auf und fixierte mich mit ihrem Blick.
„Hallo Jonathan. Sag mal, was sollte das denn für eine Aktion werden?“
Ich fühlte mich sofort ertappt. Hatte sich die Angelegenheit mit Puddu denn schon herumgesprochen? „Tja, das ging irgend...“, versuchte ich eine lahme Erklärung, doch Jenny unterbrach mich.
„Du weißt aber wohl, dass der Parkplatz keine Rennstrecke ist, oder Jonathan?“
Ich atmete auf. Offensichtlich meinte Jennifer den Beinahe-Unfall auf dem Parkplatz. „Ach, das meinst du, ich dachte, du spielst auf... Ja, ich bin ein wenig zu forsch in die Kurve gegangen. Aber es ist ja nichts passiert.“
Jennifer sah mich prüfend an. „Was dachtest du, worauf ich anspiele?“
„Nichts. Ist Bernd in seinem Büro?“
„Lenk nicht ab, Jonathan Lärpers“, wies Jenny mich mit erhobenem Zeigefinger zurecht. „Was meintest du nun wirklich? Raus mit der Sprache!“
So, wie die Blonde mich jetzt mit ihrem bohrenden Blick ansah, blieb mir nur noch die Option, bei der Wahrheit zu bleiben. Ich hob beschwichtigend die Hände. „Es ist wegen der Observation dieses Schnulzensängers Adriano Puddu. Es hat sich herausgestellt, dass der Mann doch kein Verhältnis mit einer anderen Frau hat.“ Ich lachte und sah Jenny verschmitzt an. „Und auch nicht mit einem anderen Mann. Haha.“
„Ja, haha“, gab Jenny von sich. „Du hast es mal wieder verbockt, stimmt’s Jonathan? Wird sich der Kunde beschweren?“
„Also, Puddu ist ja eigentlich nicht unser Kunde ...“, gab ich lahm von mir, nickte dann aber mit gesenktem Blick.
„Na, dann lass dir mal eine Entschuldigung für Bernd einfallen“, meinte sie achselzuckend und verschwand wieder hinter der Theke. Ich konnte mir vorstellen, wie sie gerade Bingo den Bauch kraulte, der garantiert auf dem Rücken lag und ihre Zärtlichkeiten genoss. „Sei froh, dass Bernd momentan nicht erreichbar ist. Da war nämlich vorhin wirklich ein Anruf für ihn, doch der Mann wollte mir nicht sagen, worum es ging. Der hat nicht einmal seinen Namen genannt, aber er war ziemlich wütend.“
„Ja, das war vermutlich Puddu“, erklärte ich. „Bernd ist nicht erreichbar?“ Das gab mir noch eine gewisse Frist, in der ich mir entsprechende Ausreden ausdenken konnte.
Jenny tauchte wieder aus der Versenkung auf. „Bernd ist mit einem neuen Kunden hier im Studio, beziehungsweise drüben in der Detektei unterwegs. Scheint eine ziemlich große Sache zu sein, vielleicht ein neuer Auftraggeber.“
„Hoffentlich keine Observierungsaufträge.“ Ich hob meine flache Hand über den Kopf. „Die stehen mir nämlich inzwischen bis hier. Hat sich denn Oberstaatsanwalt Eberson nicht gemeldet? Ein Auftrag von ihm wäre jetzt genau nach meinem Geschmack.“
Jennifer lachte. „Jonathan, Jonathan. Wir können uns das nicht aussuchen, wie du vielleicht weißt. Immerhin müssen wir alle unsere Brötchen verdienen. Ich denke aber, dass Bernd uns zu gegebener Zeit informieren wird.“
„Ja, bestimmt“, knurrte ich. „Vielleicht können dann ja Christine oder Birgit diese Beschattungen übernehmen. Ich gehe jetzt mal in mein Büro ...“
„Tu das, Jonathan. Aber schlaf nicht wieder hinter deinem Schreibtisch ein. Denk daran, dass Bernd mit dem Kunden im Haus unterwegs ist. Außerdem hat er für fünfzehn Uhr ein Treffen im Planungsraum angesetzt.“
„Ich schlafe nie an meinem Schreibtisch“, erklärte ich indigniert. „Meistens denke ich über meine Aufträge nach ...“
„Was du regelmäßig mit einem Schnarchen kundtust, ich weiß“, lachte die Blonde und beugte sich erneut zu Bingo herab.
„Liebe Jennifer Enssel, du tust mir unrecht ... Worum geht es denn bei dem Meeting? Hat Bernd da schon etwas verlauten lassen?“
Jennys Stimme klang hinter dem Tresen hervor: „Es geht um die kommenden Feiertage und eine Feuerwehrübung danach. Fünfzehn Uhr, Jonathan. Sei bitte pünktlich!“
Ich wandte mich zum Ausgang. Die verbleibende Zeit bis zum Meeting würde ich damit verbringen, über den vergangenen Auftrag nachzudenken. Ich sollte dabei vielleicht meine Bürotür abschließen, um nicht von Bernd und seinem neuen Kunden überrascht zu werden ... „Komm, Bingo, wir gehen ins Büro.“ Ich hielt die Eingangstür auf und wartete darauf, dass der Malinois an mir vorbeistürmen würde, doch der Hund regte sich nicht. „Bingo, komm schon, wir wollen gehen.“
Читать дальше