In dem Moment, als ich den Motor meines Kias startete, trat der Sänger zusammen mit der alten Frau aus dem Haus. Die zwei gingen ohne zu zögern zu seinem Wagen. Immer noch den Gedanken an den Enkeltrick im Kopf, verwarf ich meine Fluchtpläne. Was hatte Puddu mit der Frau vor? Als die beiden davonfuhren, folgte ich ihnen in einigem Abstand.
Die Fahrt dauerte nicht lange und führte schnurstracks zur nächstgelegenen Filiale der Stadtsparkasse Mönchengladbach.
Meine Detektivspürnase lag also richtig: Puddu wandte hier den Enkeltrick an und würde die gute Frau jetzt um ihre Ersparnisse erleichtern!
In Gedanken klopfte ich mir auf die Schulter.
Den Kia parkte ich an einer Stelle, von der ich Puddus Wagen ständig im Blick hatte. Von wegen angesehener Schnulzensänger! Ich hatte in Wirklichkeit einen reinrassigen Ganoven vor mir, dem ich hier und jetzt das Handwerk legen würde. Ich zog mein Handy hervor und tippte die Notrufnummer der Polizei ein. Doch Sekunden später unterbrach ich das Gespräch wieder, denn jetzt verließ Puddu mit der Frau die Sparkassenfiliale. Der alte Gauner lachte und hielt die Oma fest am Arm. Ich hatte regelrecht den Eindruck, als würde er sie mit sich schleifen.
Was folgte nun? Wollte Adriano Puddu sein Opfer beseitigen, damit keine Spuren zurückblieben? Würde sein nächster Weg ihn und die Frau zu einem Fluss, See oder vielleicht alten Steinbruch führen, wo er sie endgültig zum Schweigen bringen dürfte?
Schon setzte sich der Seat in Bewegung und um ein Haar wäre mir Puddu sogar entkommen. Mit quietschenden Reifen schoss ich auf die Straße zurück und hinter dem Trickbetrüger her. Jetzt war es an mir, der alten Frau das Leben zu retten.
Bingo knurrte unwillig, als er durch mein Fahrmanöver in seinem Schönheitsschlaf gestört wurde. „Es wird Zeit aufzuwachen, mein Freund“, informierte ich den Malinois. „Auf uns kommt jede Menge Arbeit zu!“ Im Rückspiegel sah ich, wie Bingo herzhaft gähnte und anschließend desinteressiert aus dem Fenster sah. Ich überholte einen Linienbus ziemlich gewagt und scherte Millimeter vor ihm wieder ein. Keine Sekunde zu früh, denn wütend hupend rauschte ein Wagen in der Gegenrichtung an mir vorbei. Jetzt hupte auch der Busfahrer wie wild und machte unanständige Zeichen am Steuer, die ich aber ignorierte. Ich hielt Puddu fest im Blick und musste die Geschwindigkeit plötzlich verringern, als der Seat auf den Parkplatz eines Diskounters einbog. Hinter mir quietschten die Reifen des Busses über den Asphalt und das Hupen steigerte sich zu einem wilden Stakkato.
Dank der Handbremse brachte ich eine fast neunzig Grad Wende zustande und jagte rumpelnd ebenfalls auf den Parkplatz des Discounters. Millimeter vor einem Unterstand mit Einkaufswagen kam ich schließlich zum Stehen. Eine Frau sprang entsetzt zur Seite und stürmte dann laut fluchend in den Markt. Ich setzte meinen Wagen schnell zurück und verschwand in einer Parklücke zwischen zwei SUV, so dass Puddu mich nicht entdecken konnte. Zusätzlich rutschte ich hinter dem Lenkrad ein wenig nach unten.
Als Privatdetektiv und Personenschützer kannte ich schließlich alle Tricks, um unerkannt und unentdeckt zu bleiben.
In diesem Moment wurde ein Brief durch den Fensterschlitz auf meiner Seite geworfen. Ein junger Mann entfernte sich grinsend. Wieder einmal spielte ich mit dem Gedanken, dieses postgelbe, scheußliche Auto, in das irgendwelche Spaßvögel andauernd Briefe warfen, zu verkaufen und mir etwas Anständiges zu gönnen. Doch leider waren meine Versuche mit einem passenden Sportwagen gescheitert und bei dem Autohändler hatte ich Hausverbot, seitdem ich mit dem Porsche durch die Glasfront des Gebäudes gerauscht war.
Aus meiner - zugegebenermaßen genial - getarnten Position beobachtete ich, wie Puddu die alte Frau in das Geschäft führte. Was hatte der Mann jetzt vor? Musste die Oma vielleicht ihr letztes bisschen Bargeld opfern, damit der Dicke sich mit Lebensmitteln versorgen konnte? Es gab nur eine Art und Weise das herauszufinden: Ich musste mich persönlich in das Geschäft begeben und die zwei beobachten. „Du wartest hier, Bingo“, wies ich den Hund an und verschloss das Auto sorgfältig.
Mit einem Einkaufswagen bewaffnet, betrat ich schließlich den Discounter.
Zunächst konnte ich den Schnulzensänger und die alte Frau nirgends entdecken und, um nicht aufzufallen, füllte ich einige Sachen in den Wagen, die mir gerade in die Hände fielen. Dann endlich sah ich die Frau, wie sie mit ratlosem Gesicht vor einem Regal mit Nudeln stand. Puddu trat an ihre Seite und hielt eine Packung Spaghetti hoch. Die Frau nickte ergeben und der Gangster legte die Nudeln in den Einkaufswagen. Der Mann verhielt sich äußerst professionell und außer mir schien niemandem aufzufallen, was hier ablief. Ich näherte mich dem Pärchen und zückte unauffällig mein Handy für ein paar Beweisfotos.
„Darf ich denn bitte einmal vorbei?“, raunzte mich eine junge Frau an und quetschte sich mit ihrem Wagen an mir vorbei. „Was gibt es denn hier eigentlich zu fotografieren?“ Das sagte sie dermaßen laut, dass Puddu nun auf mich aufmerksam wurde und bevor ich in einem der Gänge verschwinden konnte, krallte er sich in meinen Wagen.
„Sie schon wieder?“, fuhr er mich an. „Sind sie nicht der, der auf unserem Balkon gestanden und fotografiert hat? Was soll das eigentlich, spionieren Sie mir hinterher? Wenn sie ein Foto von mir wollen, dann sollten sie mich einfach darum bitten. Ich bin ja schließlich ein berühmter Sänger ...“
Jetzt mischte sich die junge Frau wieder ein, die Puddu von oben bis unten ansah. „Sie sind ein berühmter Sänger? Ja, ich erkenne sie.“ Die Frau grinste und hob den Zeigefinger. „Sie haben sich ihren Bart abrasiert, sind sie inkoptikot hier?“
Puddu stöhnte. „Inkognito. Nein, bin ich nicht. Und einen Bart habe ich nie gehabt.“
Die junge Frau ließ nicht locker. „Sie sind dieser Pavarotti, stimmt’s?“
Wieder stöhnte der Schnulzensänger. „Nein, auch der bin ich nicht. Außerdem ist Luciano Pavarotti seit Zweitausendsieben tot.“
„Sind sie sicher?“ Die Frau sah den Sänger zweifelnd an. „Sind sie wirklich nicht Pavarotti?“
Ich versuchte Puddu den Wagen zu entreißen, doch er hielt ihn eisern fest.
„Mein Name ist Adriano Puddu, besser bekannt als Adrio Pu. Außerdem singe ich keine Opern, sondern Schlager.“
Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist doch alles dasselbe. Aber von einem Pu habe ich noch nie etwas gehört ...“ Sie blickte den Sänger von oben bis unten an und meinte dann: „Aber ich kenne Pu den Bär!“
„Den Bären“, korrigierte ich automatisch, was dummerweise alle wieder auf mich aufmerksam machte.
„Den Bären?“, echote die Frau.
„Ja, es heißt korrekt: Ich kenne Pu den Bären.“
„Ach, sie kennen den auch? Aber Pu den Bär kennt ja schließlich jeder.“ Mit dieser Erklärung drehte die Frau sich um und schob ihren Wagen weiter.
„Also, was soll das?“, beharrte Puddu. „Warum spionieren sie mir nach? Sind sie Stalker?“
Jetzt war es an mir, empört zu reagieren. „Ich bin Privatdetektiv und kein Stalker! Und ich beobachte sie schon eine ganze Weile. Erst versuchten sie es mit dem Enkeltrick und jetzt zwingen sie die arme alte Frau, hier für sie einzukaufen.“
Inzwischen hatte sich eine Gruppe von Menschen um uns herum gebildet und auch die junge Frau war zurückgekehrt. Ein Mann im weißen Kittel trat aus der Gruppe vor. „Diese Frau wird von dem Mann dort“, er zeigte auf Puddu, „gegen ihren Willen hier zum Einkaufen gezwungen? Ich bin der Geschäftsführer und habe mir gleich gedacht, dass etwas nicht stimmt. Die Polizei ist schon auf dem Weg hierhin. In unserem Geschäft dulden wir keine Enkel oder Stalker.“
„Enkelbetrüger“, stellte ich klar und zeigte auf Puddu. „Dieser Mann will die alte Dame um ihr Erspartes bringen. Er hat sie schon gezwungen, mit ihm in eine Sparkassenfiliale zu gehen!“
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