Kerim bestellte das Getränk für beide, und als sie miteinander anstießen, sagte er leise: „Ich wünsche mir, nein uns beiden, dass unsere Begegnung von Dauer ist, denn ich habe mich in dich verliebt. Als ich gestern Abend beim Bericht deines Freundes über sein Hobby deine Blicke sah, wusste ich, dass du nicht glücklich bist. Jetzt höre ich mit großer Freude, dass du so gut wie frei bist. Und da ich nach einer schmerzhaften Trennung ungebunden bin, möchte ich mit dir neu anfangen, wenn du auch dazu bereit bist.“ „Ich wünsche mir auch, dass wir weiter zueinander finden, aber ich möchte erst die eine Tür richtig schließen, bevor ich eine andere öffne. Wie ich nach dem Gespräch mit Arnim die restlichen Tage in unserer Suite verbringe, weiß ich noch nicht, aber jetzt bist du mir viel wichtiger.“ Nach diesen Worten küsste sie Kerim, bevor sie sagte: „Erzähl mir ein bisschen von deiner schmerzhaften Trennung.“
Nach einem großen Schluck Raki räusperte Kerim sich, um den Kloß im Hals los zu werden, bevor er zu sprechen begann: „Vor drei Jahren habe ich Ayşe kennen gelernt, sie studierte Medienwissenschaft in Antalya, wohnte aber bei ihren Eltern hier in Side. Zwischen uns entstand eine tiefe Liebe, wenn sie auch für den letzten Schritt noch nicht bereit war. Ich wusste von ihren streng religiösen Eltern und respektierte ihre Zurückhaltung, weil ich sie als Menschen achtete und liebte. Vor vier Monaten kam sie, die stets sportlich gekleidet war, plötzlich in langem Rock und mit dichtem Kopftuch zu mir. Noch bevor ich fragen konnte, welch Sinneswandel sie zu dieser Kleidung veranlasste, erklärte sie, ihr Vater habe ihre Heirat mit einem Verwandten arrangiert, um die Freundschaft mit mir zu beenden, ich sei viel zu weltlich eingestellt. Die Hochzeit finde schon in zwei Wochen statt. Auf meine verzweifelte Frage, ob sie denn mit dieser Regelung glücklich sei, antwortete sie, als muslimische Tochter müsse sie ihren Eltern dankbar und gehorsam sein. Dabei schossen ihr Tränen in die Augen, die sie sich von mir nicht abwischen ließ. Als ich verzweifelt vorschlug, mit mir zu fliehen und irgendwo, vielleicht in Istanbul zu heiraten, schüttelte sie nur stumm den Kopf, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand.
Ich hatte Ort und Termin der Hochzeit heraus bekommen und beobachtete die Feier im Hintergrund. Entsetzt sah ich, dass der Bräutigam ein viel älterer glatzköpfiger Politiker war, den ich schon auf einem Plakat der AKP gesehen hatte. Er ist Bezirksvorsitzender der Partei und außerdem ein reicher Geschäftsmann. Bis dahin hatte ich mich überhaupt nicht für Politik interessiert, aber jetzt schloss ich mich vor Wut der Republikanischen Volkspartei an, in der meine Schwester schon lange ist. Du siehst, auch ich musste eine Liebe aufgeben.“ Mit dem Rest Raki spülte er seine Trauer hinunter.
Erschüttert legte Johanna den Arm um ihn. „Das ist ja viel schlimmer als bei mir“, sagte sie leise, „da will ich versuchen, dir viel Liebe wiederzugeben, die dir schon so lange fehlt. Doch wie stellen wir das an? Ich bin noch bis Donnerstag mit Arnim in der Suite gebucht. Zwar kann ich im Nebenzimmer schlafen, aber trotzdem leben wir irgendwie zusammen. Und mit dir kann ich mich nicht im Hotel treffen, weil du sonst Schwierigkeiten bekommst. Wie es dann in Deutschland mit Arnim und mit uns beiden weitergehen kann, daran denke ich jetzt noch nicht.“ „Ja, für die nächste Woche müssen wir Lösungen finden, nachdem wir uns unsere Liebe gestanden haben“, sagte Kerim nachdenklich. „Wann denkst du denn, kannst du mit deinem Freund reinen Tisch machen?“ „Spätestens morgen früh, da müsste er ausgeschlafen sein.“ „Und meinst du, dass ihr die Tage bis zur Abreise problemlos in derselben Suite leben könnt?“ „Ich hoffe es und muss es versuchen“, antwortete Johanna.
„Wenn es gar nicht geht, sehe ich zwei Möglichkeiten“, fuhr Kerim fort. „Ich kann dir für wenig Geld ein Zimmer im Hotel verschaffen, oder du kannst bei mir hier um die Ecke wohnen. Dann bist du allerdings den Tag über alleine.“ Johanna überlegte kurz, dann überwand sie sich: „Du hast mir vorhin angeboten, in deiner Wohnung miteinander zu sprechen. So schön ich diese Teestube hier finde, möchte ich die Wohnung jetzt doch gerne sehen, damit ich den Vorschlag beurteilen kann. Hast du noch so viel Zeit?“ Ein freudiges Lächeln lief über Kerims Gesicht, als er zahlte und „dann komm!“, sagte.
Nach wenigen Minuten hatten sie das Mietshaus erreicht, Kerim schloss die Tür auf und sagte: „Herzlich willkommen in meinem Reich.“ Erstaunt sah Johanna sich in der geräumigen Wohnung um. Das Wohnzimmer war mit einem Sofa und zwei Sesseln an einem Couchtisch, einer Schrankwand, einem Fernseher und schönen Teppichen gemütlich eingerichtet. Über dem Sofa hing ein bezaubernder Hereke. Im Schlafzimmer fand sich ein Doppelbett mit Nachttischen, Kleiderschrank und ebenfalls Teppichen, nur das kleine Arbeitszimmer mit Schreibtisch und Laptop sah etwas spartanisch aus. Die Küche war winzig und enthielt einen Herd, einen Kühl-Gefrierschrank, eine Spüle und ein paar Hängeschränke, im ebenso winzigen Bad gab es Toilette, Waschbecken und Dusche. Die ganze Wohnung sah sauber und aufgeräumt aus.
„Du hast eine tolle Wohnung, sie gefällt mir“, sagte Johanna anerkennend, „und wenn ich mit Arnim nicht klar komme, würde ich gerne auf das zweite Angebot zurückkommen.“ „Kannst du dir vorstellen, dass mir das auch die liebste Lösung ist?“, erwiderte Kerim lachend und küsste sie. Johanna fühlte sich jetzt so stark mit diesem Mann verbunden, dass sie ihn umarmte, sich eng an ihn schmiegte und seine Küsse leidenschaftlich erwiderte. „Du duftest wunderbar nach Orangen, Kardamom und Jasmin“, schwärmte er. „Das ist nur mein Parfum, das ich dir zu Ehren genommen habe“, lachte Johanna, da knöpfte Kerim vorsichtig den obersten Knopf ihrer Bluse auf, unter der sie wegen der Wärme keinen BH trug, und schaute sie fragend an. Als sie lächelnd nickte, öffnete er auch die anderen Knöpfe und küsste zärtlich ihre Brustspitzen. Johanna fand das schön und schmiegte sich bald wieder an ihn, um seinen Körper zu fühlen. Als sie seine Erregung bemerkte, hätte sie ihn auch gern liebevoll berührt, doch noch hielt ihre natürliche Scheu sie zurück.
Stattdessen fragte sie: „Du sagst, dass du nie mit Ayşe geschlafen hast, was habt ihr denn sonst getan? Und hattest du vor ihr schon Kontakte mit Frauen?“ Die Antwort fiel Kerim schwer, doch dann überwand er sich: „Die zweite Frage zuerst: In Heidelberg hatte ich ein paar lose Freundschaften, nur mit der letzten war ich ein Jahr bis zu meiner Abreise zusammen. Die deutschen Studentinnen sind viel lockerer als die Türkinnen.“ „Ich weiß, wovon du sprichst“, warf Johanna lachend ein, doch Kerim fuhr fort: „Hier ließ mir die Einarbeitung im Hotel zuerst kaum Zeit, bis ich vor drei Jahren Ayşe kennen lernte, sie war sehr zurückhaltend. Erst allmählich sind wir uns auch körperlich näher gekommen, aber bis zum letzten Schritt wäre es noch ein langer Weg gewesen.“ „Und nach der Trennung?“, forschte Johanna weiter. „Ich war so traurig, ja verletzt, dass ich keine Frau mehr ansehen konnte. Erst dein Blick gestern Abend – ich kann kaum glauben, dass es noch keine 24 Stunden her ist – hat mich aufgeweckt. Hab‘ Dank für deine Liebe.“
„Du gibst mir doch genauso viel“, erwiderte Johanna und küsste Kerim noch einmal. „Aber jetzt müssen wir überlegen, wie es praktisch weiter geht. Diese Nacht werde ich noch einmal im Hotel sein, denn morgen früh will ich unbedingt Arnim das Notwendige sagen. Natürlich werde ich nicht mit ihm schlafen, sondern im Nebenzimmer. Am Tag möchte ich vom Hotel aus viel schwimmen, und nach dem Abendessen komme ich hierher, wenn du mir zeigst, wie es mit dem Dolmuş geht. Ob ich an den nächsten Tagen ins Hotel komme, hängt von Arnim ab. Wenn er Terror macht, bleibe ich hier, obwohl ich gerne jeden Tag schwimmen möchte. Und jetzt sollten wir wohl am besten zurück fahren, denn es gibt bald Abendbrot.“ „Kannst du dir vorstellen, dass ich jetzt am liebsten mit dir hier bliebe?“, meinte Kerim, „aber du hast Recht, auch mein Schreibtisch liegt voll. Ich zeige dir die Dolmuşhaltestelle, aber besser wäre es, wenn ich dich mitnehme und 100 Meter vor dem Hotel absetze, damit man uns nicht zusammen sieht. Wie wir uns morgen Abend finden, müssen wir sehen. Entweder rufe ich dein Handy an oder du mich im Büro. Hab‘ herzlichen Dank für den schönen Nachmittag.“
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