Erleichtert atmeten die Fahrgäste auf.
Dann ging es rasend schnell. Der Bus fuhr mit großer Geschwindigkeit durch enge Kurven. Wie von Zauberhand offenbarte sich vor ihnen plötzlich das Meer.
Ein lautes „Oh.“ zollte ihm den nötigen Respekt.
Schon bald blieb der Bus vor dem ersten Hotel stehen. Einige Familien stiegen aus. Die Fahrt ging weiter. Anke, Kullmann, Martha und Lisa hatten das Pech, dass sie bis zum Schluss in dem ungemütlichen Bus ausharren mussten, zusammen mit den Berlinern, zwei jungen Frauen, die sich an den Händen hielten, und zwei ältere Herren, deren Frauen häufig verstohlene Blicke auf Lisa warfen.
Der Bus hielt an einer einsamen Stelle an, die außer einem Sandplatz und einigen Sitzbänken nichts zu bieten hatte. Dort wurden sie gebeten, auszusteigen.
Verwundert schaute sich Anke um und entdeckte zwei Kleinbusse mit der Aufschrift „Hotel Villa Angelo D’oro“. So hieß ihr Hotel.
Der Rest der Fahrt ging schneller und komfortabler. Die Kleinbusse fuhren ins Zentrum der Stadt Rovinj, schlängelten sich durch enge Gassen, dass Anke schon befürchtete, darin steckenzubleiben, hupten die Touristen auf die Seite, die stur ihren Weg fortsetzen wollten, bis sie am Ziel ankamen.
Zwischen grauen, farblosen und verwahrlosten Häuserfronten, deren Klappläden entweder verschlossen waren oder schief an den Angeln hingen, stach ein Barock-Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit seiner weinroten Front, den grünen Fensterläden und den in goldener Farbe aufgemalten Löwenköpfen, die mit Lorbeerzweigen und auslaufenden geschwungenen Linien miteinander verbunden waren, als besonderes Schmuckstück hervor. Der Anblick inmitten der engen Gassen brachte die Gäste ins Staunen. Der erste, der etwas anmerkte, war die Berlinerin: „Hoffentlich iss dett nischt alles nur Fassade.“
Der Fahrer des Kleinbusses verstand sie nicht, konnte also nichts darauf erwidern.
Sie stiegen aus.
Sengende Hitze schlug ihnen entgegen.
Neugierig traten sie durch den Eingang, über dem fünf Sterne prangten. Das erste, was sie spürten, war eine gut funktionierende Klimaanlage. Der Temperaturunterschied war beachtlich.
Die Innenausstattung hielt, was die Fassade versprach. Alles war im Barockstil gehalten. Sessel mit geblümtem Chintzstoff mit geschwungenen Lehnen aus dunklem Holz, runde Tische auf kunstvoll gewundenen Streben, bunt gewebte Teppiche auf dem Boden und Ölgemälde an den Wänden. Im gegenüberliegenden Treppenaufgang waren die Decken mit Fresken verziert.
Anke, Kullmann und Martha gerieten so sehr ins Staunen, dass sie vom Hotelangestellten an der Rezeption an ihre Anmeldung erinnert werden mussten. Während ihre Namen bei der Anmeldung überprüft wurden, trafen die Koffer ein. Darunter befand sich ein Schrankkoffer, der so groß war, dass alle ins Staunen gerieten. Noch größer wurde die Überraschung, als sie sahen, zu wem er gehörte: zu der kleinsten erwachsenen Frau unter ihnen, der Berlinerin, deren Körpergröße dieses überdimensionale Gepäckstück kaum überragte.
„Wad glotzt ihr so dämlich?“, fauchte sie mit dunkler, kratziger Stimme. „Ded Ding haben mein Manni und ikke für all unser Gelumps. Ikke gloob, ik spinne.“
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, verteilte der Hotelangestellte die Zimmerschlüssel, ging den Touristen voraus, um ihnen den Weg zu zeigen.
„Wenn die Zimmer auch so schön sind, kann der Urlaub nur noch gelingen“, schwärmte Kullmann.
„Ikke wees nich“, ergriff nun der männliche Part des Berliner Ehepaars das Wort. „Wad hab ik von dem Schnörkel an den Decken. Ikke will hier Spaß haben und wad ordentliches zu fressen. Nisch war, Adele?“
„Für dad, wad wir für den Schuppen hier berappt ham, muss es schon wad zu fressen jeben. Sonst werden die mir mal kennen lernen“, fügte besagte Adele an.
„Sie wissen noch gar nicht, ob das Essen hier gut ist. Aber beschweren können Sie sich schon mal im Voraus“, stellte Kullmann fest.
„Wad jeht dir det an?“, entgegnete sie.
„Für Sie immer noch SIE.“
„Ach nee. Wad sind wir heute wieder etepetete.“
„Nur korrekt“, korrigierte Kullmann. „Das Hotel war nicht billig. Da kann man schon ein Publikum mit Manieren erwarten.“
Die anderen deutschen Gäste stimmten Kullmann lautstark zu.
„Ikke hab alles bezahlt. Also kann ikke hier machen, wad ikke will. Iss det klar?“
„Nicht so hastig, Frau ?“ Damit wollte Kullmann erfahren, mit wem er das unfruchtbare Gespräch führte.
„Adele Deubler, un det iss mei Kleener, der Manni.“
„Manfred Deubler“, stellte sich der kräftige Mann vor.
„Frau Deubler. Wir gehen davon aus, dass hier alle bezahlt haben“, beendete Kullmann seinen Satz.
Adele Deubler verstummte endlich. Stattdessen zündete sich die kleine Frau eine Zigarette an und paffte eine dicke Rauchschwade in die Luft.
Die kleine Gruppe von zwölf Touristen steuerte die Treppe mit schmiedeeisernem Geländer an. Zwei ältere Ehepaare bildeten den Abschluss. Sie waren so sehr in ihre Bewunderung für das Ambiente vertieft, dass sie den Anschluss verpasst hatten.
Kullmann schloss sich ihnen an, gemeinsam besprachen sie die mit Kunstmalereien gestalteten Wände und Decken, als seien sie vom Fach, was Anke ein Lächeln entlockte.
„Ist das Ihr Enkelkind?“, fragte eine der beiden Damen nachdem sie im zweiten Stock angekommen waren, wo ihnen ihre Zimmer gezeigt wurden. Dabei schaute sie auf Lisa.
Zunächst überlegte Kullmann, was er darauf antworten sollte, da kam ihm Anke zu Hilfe. „Ja. Wir machen einfach einmal einen Drei-Generationen-Urlaub. Mal sehen, wie das funktioniert.“
„Wie schön“, jubelten die beiden Damen gleichzeitig los und steuerten zielstrebig auf das kleine Mädchen zu.
Lisa reagierte gereizt auf die fremden Frauen. Sie war müde. Lustlos hing sie in Ankes Arm und begann lautstark zu quengeln.
„Wad een Jetue um so eene Jöre“, schimpfte Adele Deubler lautstark. „So wad kann nur den Urlaub verderben.“
„Sie lieben Kinder wohl nicht?“, stellte eine der alten Damen entrüstet fest.
„Nee, det tu ikke mir nischt an.“
„Aber Sie waren doch auch mal ein Kind. Haben Sie das schon vergessen?“
„Det iss wohl det dümmste, wad ikke jehört habe, nisch war mei Kleener“, richtete Adele Deubler sich an ihren Mann. Der nickte zustimmend.
„Was für ein ungehobeltes Volk.“
„Bild dir bloß nischt ein, Alte. Wer hier dumm ist, det iss wohl klar. Schau dir nur im Spiegel an.“
Kullmann schob sich zwischen die beiden streitenden Damen, um das unangenehme Gespräch zu beenden.
„Genug der Freundlichkeiten. Schauen wir uns die Zimmer an.“
„Nach dem ersten Eindruck bin ich sicher, dass unsere Zimmer wundervoll sein werden“, schwärmte die alte Dame dankbar dafür, dass Kullmann das Streitgespräch beenden konnte.
„Und nachdem Lisa geschlafen hat, wird sie sich von ihrer besten Seite zeigen“, versprach Anke.
„Entschuldigen Sie unser aufdringliches Benehmen, aber wir hatten leider nicht das Vergnügen, eigene Kinder zu bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass wir so ein reizendes Kind in unserer Mitte haben. Ich heiße Gertrud Ossom, das ist mein Mann Arthur.“
Arthur begrüßte Anke mit einem festen Händedruck, dass Anke befürchtete, er würde ihre Hand zerquetschen.
Die Freundin Agnes Gebauer trat schnell hervor, um sich und ihren Mann Hugo ebenfalls vorzustellen. Nach dem ausgiebigen Händeschütteln fühlte sich Anke erleichtert, als sie endlich Kullmann und Martha ins Zimmer folgen konnte. Es war groß, hell und – wie das Foyer auch - mit antiken Möbeln ausgestattet. Durch eine Seitentür ging es weiter. Dort befand sich Ankes Refugium für die kommenden sieben Tage. Was Anke am besten gefiel war die Verbindungstür. So konnten sie immer miteinander kommunizieren und gleichzeitig jeder seinen eigenen Raum für sich genießen.
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