Er hätte lieber ein Bier getrunken, was ja auch entschieden besser zu dem deftigen Gericht gepasst hätte, aber er schwieg und trank ihr zu. Der Wein war schwer und hinterließ ein seltsam pelziges Gefühl auf seiner Zunge, aber da er kein Kenner war, sagte er nichts darüber.
Regina füllte seinen Teller mit zwei knusprig - braunen Frikadellen und einem kleinen Berg Püree, auf den sie wie eine Mütze geschmälzte Zwiebeln packte. Dazu reichte sie ihm einen bereits zusammengestellten Salatteller.
„Ich hoffe, er schmeckt dir, ich habe das gute Olivenöl aus Kreta und den teuren Balsamicoessig für das Dressing benutzt. Du weißt ja, Öl und Essig sind das A und O für jeden guten Salat.“
„Das stimmt, da hast du wirklich recht“, stimmte er eilfertig zu, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. „Es schmeckt einfach wunderbar, vor allen Dingen die Frikadellen sind dir hervorragend gelungen.“
„Ja, das finde ich auch“, stimmte Regina ihm kauend zu. „Das muss an den Zwiebeln liegen, die haben einen sehr kräftigen Eigengeschmack.“ Wieder erhob sie ihr Glas und animierte ihn zum Trinken. Als er es leergetrunken hatte, überlegte er, ob er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holen konnte, aber Regina kam ihm zuvor und schenkte Wein nach.
Nach einer halben Stunde schwirrte sein Kopf und der Gürtel drückte unangenehm in der Magengegend. Er hatte eindeutig zu viel gegessen, und dazu dieser schwere Rotwein, das war er nicht gewohnt. Regina saß ihm lächelnd gegenüber und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen. „Was ist? Geht es dir nicht gut? Hat es dir nicht geschmeckt?“
„Oh doch, natürlich hat es mir geschmeckt, darum habe ich vermutlich auch zu viel gegessen und der Wein ist mir zu Kopf gestiegen, glaube ich. Du weißt ja, ich trinke nur selten Alkohol.“
„Ja, aber wenn, dann weißt du nicht mehr, was gut für dich ist“, antwortete sie und selbst sein beschwipster Verstand registrierte den bitteren Unterton.
Jetzt wurde ihm noch heißer und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Regina“, bat er, „bitte lass uns doch jetzt nicht wieder mit dieser alten Geschichte anfangen. Ich weiß, ich habe einen schlimmen Fehler gemacht, und ich würde alles darum geben, ihn ungeschehen machen zu können. Kann ich aber nicht, also …“
„Also hast du als Zugabe auch noch meinen Hund vergiftet!“
Irgendwie fanden ihre Worte keinen Zugang zu seinem Gehirn. Er hörte sie, aber er verstand sie nicht. Was hatte denn jetzt der Hund mit seinem Seitensprung zu tun?
„Wie meinst du das? Wieso? Ich meine, ich habe doch nicht …“
„Doch hast du, da bin ich mir ganz sicher. Du hast es nicht ertragen, dass ich wieder glücklich war, dass ich Micky geliebt habe. Du musst alles zerstören, so wie du unsere Liebe zerstört hast, musstest du auch meine Liebe zu diesem unschuldigen Wesen zerstören.“
Sie hatte sich in Rage geredet, hektische rote Flecken breiteten sich über ihr Gesicht und den Hals aus und die Haare lösten sich aus der Spange.
„Ich verstehe dich nicht, Regina, wirklich. Ja gut, vielleicht habe ich nicht genug aufgepasst, vielleicht hätte ich es verhindern können, aber du kannst doch nicht sagen, ich hätte deinen Hund…“
„Und ob ich das sagen kann! Ich habe dich beobachtet, wenn du joggen gegangen bist. Ich habe genau gesehen, dass du Dinge fallenlassen hast, aber ich habe zu spät begriffen, was das war. Du bist dieser Dreckskerl, der Hunde vergiftet, der auch meinen Micky umgebracht hat.“
„Regina! Du weißt nicht mehr, was du sagst. Ich würde doch nie im Leben einem Hund etwas zu Leide tun. Du weißt, ich bin ein Tierfreund, ich füttere sogar die Krähen und die Enten, obwohl das verboten ist. Es war nur Brot, was ich geworfen habe, Brot, sonst nichts. Du hast mir einfach immer zu viel eingepackt und ich wollte es nicht wegschmeißen, also habe ich es an die Tieren verfüttert.“
Mittlerweile war ihm sterbensübel, sein Kopf dröhnte und der Schweiß lief ihm über das Gesicht.
„Das höre ich mir nicht länger an, das geht jetzt wirklich zu weit, Regina. Ich habe einmal einen Fehler gemacht, das habe ich nie bestritten und dafür hast du mich seither an jedem einzelnen Tag bestraft, aber hier ist für mich Schluss.“
Er stand auf, stieß dabei seinen Stuhl um und verließ mit schnellen Schritten den Raum und die Wohnung. Ihm war sterbensübel und er wusste nicht, ob von zu viel Wein, zu viel Essen oder von dem, was Regina ihm unterstellt hatte. Er brauchte frische Luft, musste seinen Kopf wieder klarkriegen und überlegen, was er als nächstes tun sollte. So viel stand für ihn fest, das konnte er nicht hinnehmen, dafür musste Regina sich bei ihm entschuldigen, und zwar ernsthaft. Irgendwo gab es auch für ihn eine Grenze und die hatte seine Frau heute Abend überschritten.
Er lief Richtung Innenstadt, schaffte es taumelnd, den Herzogplatz zu überqueren und ließ sich schließlich erschöpft auf eine Bank fallen. Er hatte keinen Blick für die architektonische Schönheit der barocken Gebäude, sein Mund brannte wie Feuer, und seine Eingeweide krampften sich immer heftiger zusammen. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihm, den aufsteigenden Brechreiz zurückzudrängen. Ich bin krank , ich brauche einen Arzt, dachte er verwundert, doch dann kam ihm schlagartig die Erkenntnis. So ungeheuerlich, dass er sich kaum traute, weiter zu denken. „Sie will meinen Tod, sie hat mich vergiftet“, flüsterte er und suchte in den Taschen seiner Jacke verzweifelt nach dem Handy. Er fand es nicht und ihm fiel ein, dass er es neben seinem Bett abgelegt hatte, um Fußball zu gucken. Borussia hat gewonnen , war sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor und von der Bank fiel.
-3-
Wir waren kaum zehn Minuten unterwegs, als ich, etwa 30 Meter vor mir, einen Mann am Boden liegen sah. Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse, entdeckte aber sonst keine Menschenseele. Ignorieren ging nicht, da brauchte vielleicht jemand Hilfe, auch wenn ich überzeugt war, dass den wohl zu viel Alkohol ausgeknockt hatte. Also nahm ich beide Hunde kurz, die ebenfalls in die von mir angestrebte Richtung zogen und dann wurde mir leicht übel. Der Mann sah nicht aus, als würde er regelmäßig vor Parkbänken schlafen. Jeans, Hemd und Schuhe waren teure Markenbekleidung, seine Haare ordentlich geschnitten, nichts wies darauf hin, dass es sich um einen Obdachlosen handeln könnte. Er hatte sich erbrochen und Reste davon klebten in seinem Gesicht, auf dem offenen Mund krabbelten, trotzt der morgendlichen Frische, bereits Fliegen. Selbst ein Erstklässler hätte erkannt, dass niemand diesem Mann mehr helfen konnte, er war sicherlich seit Stunden tot.
„Was ist mit ihm?“, erklang in meinem Rücken eine sonore männliche Stimme und ich fuhr erschrocken herum.
„Mein Gott, wo kommen Sie denn so plötzlich her? Keine Ahnung, ich weiß nur, dass er tot ist. Ich wollte gerade die Polizei informieren“, antwortete ich, zückte mein iPhone, tippte die 110 und betrachtete unterdessen den Mann genauer. Er war älter als ich, größer als ich und hatte auch mehr Bauch als ich. Ansonsten wirkte er freundlich und nicht so, als würde er Menschen auf Parkbänken ums Leben bringen. Er wurde von zwei Hunden begleitet, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, einem Bordercollie und einer Französischen Bulldogge. Während ich mich noch fragte, wieso die Hunde so ruhig blieben, meldete sich an meinem Ohr ein Stimme: „Notruf der Polizei, was kann ich für Sie tun?“
„Menke hier, Detlev Menke, ich möchte mal wieder eine Leiche melden, einen toten Mann, der liegt hier vor einer Bank. Also, einer Parkbank genauer gesagt, davor steht ein Bücherschrank, dann ist hier noch ein Tütenspender für Kotbeutel und da vorne ein mobiles WC … Moment bitte … das weiß ich leider nicht.“ Ich drehte mich zu meinem neuen Bekannten um, der gerade mit seinem Smartphone die Leiche fotografierte und fragte: „Wo sind wir denn hier genau?“ Er warf mir einen verwunderten Blick zu, und antwortete: „Na, am Herzogplatz.“
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