Rainer Bucher - ... wenn nichts bleibt, wie es war

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Über Jahrhunderte war die katholische Kirche souveräne Herrin ihrer selbst. Sie beherrschte die Interpretation des Kosmos, die Ordnung der Gesellschaft und – bis vor kurzem – den Körper der Menschen. Mit all dem ist es vorbei, auch bei den eigenen Mitgliedern. Sie wurde von der Machtposition vertrieben und auf den religiösen Markt geworfen. Diese radikale Kontextveränderung lässt nichts in ihr, wie es war, ob sie es will oder nicht. Alles wird prekär, also unsicher und abhängig von anderen: vom Partizipationsverhalten der eigenen Mitglieder etwa, von der politischen Unterstützung oder den religiösen Bedürfnissen der Gesellschaft. Wie auf dem Markt bestehen, ohne ihm zu verfallen? Wie die eigene Aufgabe unter diesen Bedingungen erfüllen? Welcher Umbau ist notwendig? Diesen Fragen stellt sich Rainer Bucher mit analytischer Schärfe und zukunftsweisenden Vorschlägen.

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Rainer Bucher

… wenn nichts bleibt, wie es war

Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche

RAINER BUCHER

… wenn nichts bleibt, wie es war

Zur prekären Zukunft

der katholischen Kirche

 wenn nichts bleibt wie es war - изображение 1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2012 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.deUmschlag: wunderlichundweigand.de (Foto: © owik2/photocase.com) Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-03475-7 (Print) 978-3-429-04629-3 (PDF) 978-3-429-06038-1 (ePub)

Inhalt

Einleitung

Verflüssigungen

I. Die Unvorstellbarkeit der Zukunft
II. Die Vertreibung von der Macht
III. Das Scheitern der Gemeindeutopie

Orientierungen

IV. Pastoral: Risiko, Erinnerung und Ereignis
V. Volk Gottes: Berufung und Hingabe
VI. Die Zeichen der Zeit: die Gegenwart als Aufgabe
VII. Gott: Geheimnis und Umkehr

Kontraste

VIII. Priester und Laien
IX. »Hauptamtliche« und »Ehrenamtliche«
X. Die drinnen und die draußen
XI. Männer und Frauen

Kehren

XII. Von der Sozialformorientierung zur pastoralen Aufgabenorientierung
XIII. Von der Gemeindezentrierung zum Netzwerkkonzept
XIV. Vertrauen auf die prophetische Kraft des Konzils

Anmerkungen

Einleitung

1.

Die Skepsis des Papstes gegenüber der konkreten Verfasstheit der deutschen katholischen Kirche war bei seinem Deutschlandbesuch im Herbst 2011 mit Händen zu greifen. Und dennoch spricht vieles dafür, dass jene staatskirchenrechtlichen Regelungen noch eine gute Weile halten werden, die es der deutschen und auch der österreichischen katholischen Kirche erlauben, ein weltkirchlich fast einmalig gut ausgebautes, flächendeckendes und sehr professionelles System kirchlicher Präsenz zu etablieren und zu finanzieren. Der Rettungsschirm staatlicher Protektion hält noch und er wird aller Voraussicht nach auch noch einige Zeit halten, trotz offenkundig schwindender Anteile der christlichen Kirchen am religiösen Markt.

Unter spätmodernen Marktbedingungen wird Religion keine Privatsache, sondern bleibt eine öffentliche Angelegenheit. Die christlichen Kirchen besetzen weiterhin den öffentlichen Raum mit ihren Zeichen und Symbolen, wenn sie ihn auch nicht mehr beherrschen und die Interpretation ihrer eigenen Zeichen nicht mehr steuern können. Gleichzeitig beginnen aufsteigende Immigrantenreligionen ihre Existenz in der Öffentlichkeit durch demonstrativ hochreligiöse Privatpersonen zu markieren und religiöse Bauten außerhalb der Hinterhöfe zu errichten.

Es spricht vorerst wenig dafür, dass es sich die staatlichen Autoritäten politisch erlauben können, das Christentum und seine Kirchen rechtlich massiv zu deprivilegieren. Wohl ist mit der Aufnahme neuer Religionsgemeinschaften in den Kreis der Bevorzugten zu rechnen, schließlich unterstützen auch die christlichen Kirchen aus guten theologischen Gründen die rechtliche und institutionelle Gleichstellung etwa des Islam; es sind eher rechtspopulistische Politiker, die den Kirchen vorwerfen, interreligiös zu nachgiebig zu sein. Weder in Deutschland noch in Österreich droht aber der staatliche Schutzschirm über den christlichen Kirchen einzuklappen.

Es ist daher erst einmal damit zu rechnen, dass jene Charakteristika, welche für die deutsche und modifiziert auch österreichische Kirche 1typisch sind, noch einige Zeit gelten werden: ein starker und relativ eigenständiger Laienkatholizismus, ein hoher Professionalitätsgrad und eine gesellschaftlich tief verflochtene kirchliche Handlungsstruktur. Und dennoch ist das Gespür des Papstes schon richtig und die Zukunft der deutschen und österreichischen katholischen Kirche tatsächlich prekär, also gefährdet und in unsicherer Abhängigkeit.

Denn jene Sozialform der katholischen Kirche, wie sie sich nach dem Konzil von Trient (1545–1563) in Reaktion auf den beginnenden Reichweitenverlust kirchlicher Pastoralmacht gebildet hatte, zerfließt in den Kontexten einer spätmodernen Gesellschaft. In ihr wird Religion zunehmend nicht mehr nach den Mustern von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht organisiert, wie es für »Kirchen« typisch war, sondern, wie vieles andere auch, tendenziell marktförmig. Und das bedeutet: Wir erleben den Beginn einer »liquid church« (P. Ward).

2.

Die hier vorgelegten Analysen gehen davon aus, dass die Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten unter diesen Bedingungen nicht primär von der Verfügbarkeit diverser Ressourcen abhängt, 2auch nicht von ihrer konkreten Organisationsform vor Ort, sondern von der Gestaltung zentraler, für die katholische Kirche typischer Kontraste. Ihre herkömmliche, aus früheren Phasen der Kirchengeschichte stammende Formatierung wird zunehmend problematisch für die Plausibilisierung des Glaubens.

Vier solcher Kontraste scheinen mir signifikant und sind daher Thema dieses Buches: jener von Priestern und Laien, der katholisch herkömmlich in Über- und Unterordnungskategorien formatiert ist; jener von Hauptamtlichen und »Ehrenamtlichen«, der gewöhnlich auf der Achse Kompetenz – Unterstützung praxiswirksam wird; der Kontrast von gelegentlichen Kirchennutzern (früher: »Fernstehende«, heute: »Kasualienfromme«) oder gar Ausgetretenen zu regelmäßigen Kirchgängern, der klassisch als Kontrast zwischen »wir« und »jenen«, wenn nicht sogar »drinnen« und »draußen« gefasst wird; und der Kontrast von Männern und Frauen, der in der katholischen Kirche nach wie vor asymmetrisch angelegt ist. Die Hauptverantwortung für die Gestaltung dieser Kontraste liegt dabei natürlich bei den jeweils Gestaltungsmächtigeren, also den Priestern, den Hauptamtlichen, bei jenen, die im institutionellen »Innen« der Kirche sich engagieren, und bei den Männern.

Es wird alles darauf ankommen, ob diese Differenzen kreativ werden im Sinne des pastoralen kirchlichen Auftrags oder nicht. Dabei wird es nicht so wichtig sein, was sich die Beteiligten selber dabei denken, als vielmehr, welche Erfahrungen sie machen und welche Erfahrungen andere mit ihnen machen. Denn von der Wahrheit dieser Erfahrungen kann sich niemand mehr in der Kirche auf Dauer durch irgendwelche Schutzmechanismen abkoppeln. Sollten diese Kontraste weiterhin und gar zunehmend als destruktiv und dysfunktional wahrgenommen werden, sehe ich keine gute Zukunft für die katholische Kirche, weder institutionell noch pastoral. Die Entscheidung ist offen.

3.

Dieses Buch erscheint fünfzig Jahre nach Beginn des II. Vatikanischen Konzils. Es versteht sich als kleiner pastoraltheologischer Beitrag zu diesem Jubiläum. Denn das II. Vatikanum ist nicht nur ein normatives Glaubenszeugnis der Vergangenheit, sondern auch ein aktivierbares Programm für die kirchliche Praxis, so auch gerade in seinem eigenen Selbstverständnis. Ich gehe dabei davon aus, dass das II. Vatikanum das Programm für die kreative Überschreitung alter Codes und für einen weiterführenden Umgang mit den entscheidenden Kontrasten innerhalb der katholischen Kirche enthält. Auf dieser Basis werden einige Vorschläge für die Weiterentwicklung der konkreten Sozialformen der katholischen Kirche vorgelegt.

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