Rainer Bucher - Christentum im Kapitalismus

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Der Sieg des kulturell hegemonialen Kapitalismus bedeutete einen ungeheuren individuellen wie gesellschaftlichen Freisetzungsprozess. Zugleich errichtete der Kapitalismus eine neue, noch subtilere Herrschaftsstruktur bis in das Innerste des Subjekts, als es die christlichen Kirchen je vermocht hatten.
Wie im Kapitalismus bestehen, ohne ihm zu verfallen? Rainer Bucher zeigt, dass gerade das Christentum Ressourcen hierfür bereithält. Gegen die «gewinnorientierte Verwaltung der Welt» hat das Christentum die paradoxalen Spannungen menschlicher Existenz freizulegen: zwischen Jetzt und Noch-nicht, Individuellem und Gesellschaftlichem, Freiheit und Gnadenbedürftigkeit. Das geht nur situativ, risikoreich und als offenes Freiheitsprojekt.
Diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen, vielfältig, leicht zugänglich, ohne Integrationspflicht, ist eine zentrale Aufgabe des Christentums heute, sie im eigenen Leben einzuweben aber Aufgabe jedes in seine Freiheit gesetzten Einzelnen.

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Rainer Bucher

Christentum im Kapitalismus

Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt

Rainer Bucher

Christentum

im Kapitalismus

Wider die gewinnorientierte

Verwaltung der Welt

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2019

© 2019 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen

Umschlagbild: fotolia.com, © Dirk Vonten

Satz: Crossmediabureau

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-05375-8

978-3-429-05028-3 (PDF)

978-3-429-06438-9 (ePub)

Vorsicht also, und sprich nicht leichtsinnig vom Feinde. Man klassifiziert sich durch seinen Feind. Man stuft sich ein durch das, was man als Feindschaft anerkennt. (…) Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt .

Carl Schmitt

Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des

Politischen, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1963, 87

Das Besondere an der in der Neuzeit verbreiteten Auffassung des Neuen besteht ja gerade in der Erwartung, es werde schließlich etwas endgültig Neues in Erscheinung treten, daß es nach ihm nichts noch Neueres mehr geben könne .

Boris Groys

Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie,

Carl Hanser Verlag München, 3. Aufl. 2004, 10

Es findet eine Inversion des Proletariats als Klasse statt. In deren Folge ist das Individuum nicht Teil des Proletariats, sondern das Proletariat Teil des Produktionsprozesses der eigenen Identität .

Luise Meier

MRX-Maschine, Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft 2018, 25

In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen .

Guy Debord

Die Gesellschaft des Spektakels, Edition Tiamat, Berlin 1996 [1967], 16

Inhalt

Vorwort

Kapitalismus

I. Abgrenzungen

II. Die aktuelle Logik der Welt

Reaktionen

III. Formatierungen der religiösen Landschaft

IV. Katholische Kirche und Theologie

Perspektiven

V. Postmoderner Marxismus

VI. Prophetisches Christsein

Jenseits von Affirmation und Retro-Utopien

VII. Strategien und Taktiken

VIII. Balancen des Christlichen

IX. Alternative Praktiken, alternative Orte

X. Ein neuer politischer Katholizismus

XI. Reformatierungen der Theologie

Nachwort. Persönlich

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die christlichen Kirchen Europas erleiden seit längerem einen unumkehrbaren Prozess des Machtverlustes. Dieser Abstiegsprozess wird im Christentum als Säkularisierung kommuniziert. Auch die Religionssoziologie folgt mehrheitlich diesem Paradigma.

Wie aber zeigt sich dieser epochale Vorgang, wenn man ihn nicht als Geschichte eines Verlustes, sondern einer Machtübernahme beschreibt und von jener Größe her analysiert, welche die Religionen beerbt? Diese Frage und die Konsequenzen, die sich für das Christentum daraus ergeben, bilden das Thema dieses Buches.

Es schließt an meine Publikation An neuen Orten, Studien zu den aktuellen Konstitutionsproblemen der deutschen und österreichischen katholischen Kirche, Würzburg 2014 an. Dort wurde im Vorwort die Hoffnung ausgesprochen, in einer zukünftigen Arbeit das im Titel genannte Neue nicht mehr von den Differenzerfahrungen zum Alten her zu sehen, sondern von dem her zu betrachten, was nun herrscht. Dies soll hier geschehen.

Als dieses Neue wird der „kulturell hegemoniale Kapitalismus“ bestimmt. Aus der Perspektive dieses neuen Souveräns zeigen sich interne Klassifikationen und Differenzierungen des alten Machthabers, wie jene nach Kirchen und Konfessionen, als ausgesprochen nachrangig. Zugleich bleibt dieses Buch das Werk eines deutschen katholischen Theologen. Die hier vorgelegten Ausführungen sind denn auch vorwiegend auf Europa bezogen, greifen aber immer wieder kontrastiv darüber hinaus. Auch haben sie vor allem die katholische Kirche im Blick.

Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Seminare an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz zur „Kirche im Kapitalismus“ für vielfältige Anregungen. Wertvolle Hinweise lieferten zudem Gespräche mit Ottmar Fuchs, Birgit Hoyer und Martin Ott.

Meine Mitarbeiterin, Frau Ingrid Hable MA, und Heribert Handwerk vom Echter Verlag haben das Buch gewissenhaft lektoriert. Für diese gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit, nun schon über viele Jahre und einige Bücher bewährt, habe ich einmal mehr herzlich zu danken.

In spezieller Weise aber danke ich Eva Bucher, die mir in einer entscheidenden Phase der Entwicklung meiner Überlegungen eine äußerst hilfreiche und ermutigende Gesprächspartnerin war. Ich widme dieses Buch ihrer am 28. Dezember 2017 geborenen Tochter Anan, unserer Enkelin, die einmal wird überprüfen können, ob das hier Geschriebene irgendeine Relevanz besitzt.

Kapitalismus

I.

Abgrenzungen

1.

Der menschheitsgeschichtlich einzigartige Prozess der Entthronung der Religion als umfassender und alternativloser Normierungs- und Orientierungsgröße für den Einzelnen wie die Gesellschaft nahm seinen Anfang im frühneuzeitlichen Westeuropa. Er ist vielfach in seinem historischen Verlauf wie seiner systematischen Struktur analysiert worden, zumeist unter der Kategorie der „Säkularisierung“, zuletzt von Charles Taylor in seinem monumentalen Werk Ein säkulares Zeitalter . 1

Es war denn auch der säkulare Staat, der lange Zeit jene Stelle einnahm, welche die Religion aufgeben musste: die Stelle des souveränen Herrschers, der sich vor niemandem rechtfertigen muss, vor dem sich aber alle zu rechtfertigen haben. Der Staat und seine wechselnden Legitimations- und Realisationskonzepte Absolutismus, Liberalismus und Kommunismus bis hin zum Faschismus waren daher das große Problem der Kirchen der Neuzeit. Denn der Staat beanspruchte seit seinem Entstehen Souveränität, reklamierte, eine eigene, unhinterfragbare Gewalt zu sein und der höchste Ort politischer Entscheidungen und Rechtssetzung.

Die Institutionen der Religion mussten sich seither in Beziehung setzen zu dieser staatlichen Souveränität, ein Prozess, der sie massiv umformatierte und ihnen enorme theoretische wie institutionelle Transformationsanstrengungen abverlangte und bisweilen immer noch abverlangt. Die staatlichen Souveränitätsansprüche hatten sich schließlich ausdrücklich gegen die Institutionen der Religion, ihre normativen Ansprüche und ihre reale Macht entwickelt. Jean Bodin hatte seine Souveränitätskonzeption angesichts der konfessionellen Bürgerkriege in Frankreich entworfen, auf der Basis der traumatischen Erfahrung also, dass die Spaltung der Christenheit enorme Gewaltpotentiale freisetzte, eine Erfahrung, die sich später im Dreißigjährigen Krieg noch einmal dramatisch bewahrheiten und verdichten sollte.

Die katholische Kirche konstituierte sich dabei nach und nach analog zum neuzeitlichen Staatsabsolutismus selbst als absolutistischer Staat. Das Theorem hierfür lieferte Robert Bellarmin mit der Souveränitätskategorie der „societas perfecta“. Das hatte den Vorteil der Gleichrangigkeit gegenüber den entstehenden neuzeitlichen Staaten, aber auch den Nachteil, immer im gewissen Sinne etwas Externes zu sein, solange man nicht selber in einem „katholischen Staat“ an der Macht war. Deshalb favorisierte man diese katholischen Staaten und sehnte sie herbei. Als Nachteil erwies sich schließlich auch, dass man sich mit der Übernahme des staatlichen Absolutismus in die eigene Kirchenstruktur massive Entwicklungshemmnisse einhandelte. Man hatte sich geradezu dogmatisch an diese spezifische Regierungsform gebunden und hatte daher deren Legitimationsdefizite und faktischen Nachteile in späteren, gänzlich neuen und anderen Konstellation zu ertragen beziehungsweise mehr oder weniger geschickt zu kompensieren. Das gilt bis heute.

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