Rainer Bucher
Christentum im Kapitalismus
Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt
Rainer Bucher
Christentum
im Kapitalismus
Wider die gewinnorientierte
Verwaltung der Welt
echter
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1. Auflage 2019
© 2019 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
Umschlag: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen
Umschlagbild: fotolia.com, © Dirk Vonten
Satz: Crossmediabureau
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
ISBN
978-3-429-05375-8
978-3-429-05028-3 (PDF)
978-3-429-06438-9 (ePub)
Vorsicht also, und sprich nicht leichtsinnig vom Feinde. Man klassifiziert sich durch seinen Feind. Man stuft sich ein durch das, was man als Feindschaft anerkennt. (…) Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt .
Carl Schmitt
Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des
Politischen, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1963, 87
Das Besondere an der in der Neuzeit verbreiteten Auffassung des Neuen besteht ja gerade in der Erwartung, es werde schließlich etwas endgültig Neues in Erscheinung treten, daß es nach ihm nichts noch Neueres mehr geben könne .
Boris Groys
Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie,
Carl Hanser Verlag München, 3. Aufl. 2004, 10
Es findet eine Inversion des Proletariats als Klasse statt. In deren Folge ist das Individuum nicht Teil des Proletariats, sondern das Proletariat Teil des Produktionsprozesses der eigenen Identität .
Luise Meier
MRX-Maschine, Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft 2018, 25
In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen .
Guy Debord
Die Gesellschaft des Spektakels, Edition Tiamat, Berlin 1996 [1967], 16
Inhalt
Vorwort
Kapitalismus
I. Abgrenzungen
II. Die aktuelle Logik der Welt
Reaktionen
III. Formatierungen der religiösen Landschaft
IV. Katholische Kirche und Theologie
Perspektiven
V. Postmoderner Marxismus
VI. Prophetisches Christsein
Jenseits von Affirmation und Retro-Utopien
VII. Strategien und Taktiken
VIII. Balancen des Christlichen
IX. Alternative Praktiken, alternative Orte
X. Ein neuer politischer Katholizismus
XI. Reformatierungen der Theologie
Nachwort. Persönlich
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Vorwort
Die christlichen Kirchen Europas erleiden seit längerem einen unumkehrbaren Prozess des Machtverlustes. Dieser Abstiegsprozess wird im Christentum als Säkularisierung kommuniziert. Auch die Religionssoziologie folgt mehrheitlich diesem Paradigma.
Wie aber zeigt sich dieser epochale Vorgang, wenn man ihn nicht als Geschichte eines Verlustes, sondern einer Machtübernahme beschreibt und von jener Größe her analysiert, welche die Religionen beerbt? Diese Frage und die Konsequenzen, die sich für das Christentum daraus ergeben, bilden das Thema dieses Buches.
Es schließt an meine Publikation An neuen Orten, Studien zu den aktuellen Konstitutionsproblemen der deutschen und österreichischen katholischen Kirche, Würzburg 2014 an. Dort wurde im Vorwort die Hoffnung ausgesprochen, in einer zukünftigen Arbeit das im Titel genannte Neue nicht mehr von den Differenzerfahrungen zum Alten her zu sehen, sondern von dem her zu betrachten, was nun herrscht. Dies soll hier geschehen.
Als dieses Neue wird der „kulturell hegemoniale Kapitalismus“ bestimmt. Aus der Perspektive dieses neuen Souveräns zeigen sich interne Klassifikationen und Differenzierungen des alten Machthabers, wie jene nach Kirchen und Konfessionen, als ausgesprochen nachrangig. Zugleich bleibt dieses Buch das Werk eines deutschen katholischen Theologen. Die hier vorgelegten Ausführungen sind denn auch vorwiegend auf Europa bezogen, greifen aber immer wieder kontrastiv darüber hinaus. Auch haben sie vor allem die katholische Kirche im Blick.
Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Seminare an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz zur „Kirche im Kapitalismus“ für vielfältige Anregungen. Wertvolle Hinweise lieferten zudem Gespräche mit Ottmar Fuchs, Birgit Hoyer und Martin Ott.
Meine Mitarbeiterin, Frau Ingrid Hable MA, und Heribert Handwerk vom Echter Verlag haben das Buch gewissenhaft lektoriert. Für diese gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit, nun schon über viele Jahre und einige Bücher bewährt, habe ich einmal mehr herzlich zu danken.
In spezieller Weise aber danke ich Eva Bucher, die mir in einer entscheidenden Phase der Entwicklung meiner Überlegungen eine äußerst hilfreiche und ermutigende Gesprächspartnerin war. Ich widme dieses Buch ihrer am 28. Dezember 2017 geborenen Tochter Anan, unserer Enkelin, die einmal wird überprüfen können, ob das hier Geschriebene irgendeine Relevanz besitzt.
Kapitalismus
I.
Abgrenzungen
1.
Der menschheitsgeschichtlich einzigartige Prozess der Entthronung der Religion als umfassender und alternativloser Normierungs- und Orientierungsgröße für den Einzelnen wie die Gesellschaft nahm seinen Anfang im frühneuzeitlichen Westeuropa. Er ist vielfach in seinem historischen Verlauf wie seiner systematischen Struktur analysiert worden, zumeist unter der Kategorie der „Säkularisierung“, zuletzt von Charles Taylor in seinem monumentalen Werk Ein säkulares Zeitalter . 1
Es war denn auch der säkulare Staat, der lange Zeit jene Stelle einnahm, welche die Religion aufgeben musste: die Stelle des souveränen Herrschers, der sich vor niemandem rechtfertigen muss, vor dem sich aber alle zu rechtfertigen haben. Der Staat und seine wechselnden Legitimations- und Realisationskonzepte Absolutismus, Liberalismus und Kommunismus bis hin zum Faschismus waren daher das große Problem der Kirchen der Neuzeit. Denn der Staat beanspruchte seit seinem Entstehen Souveränität, reklamierte, eine eigene, unhinterfragbare Gewalt zu sein und der höchste Ort politischer Entscheidungen und Rechtssetzung.
Die Institutionen der Religion mussten sich seither in Beziehung setzen zu dieser staatlichen Souveränität, ein Prozess, der sie massiv umformatierte und ihnen enorme theoretische wie institutionelle Transformationsanstrengungen abverlangte und bisweilen immer noch abverlangt. Die staatlichen Souveränitätsansprüche hatten sich schließlich ausdrücklich gegen die Institutionen der Religion, ihre normativen Ansprüche und ihre reale Macht entwickelt. Jean Bodin hatte seine Souveränitätskonzeption angesichts der konfessionellen Bürgerkriege in Frankreich entworfen, auf der Basis der traumatischen Erfahrung also, dass die Spaltung der Christenheit enorme Gewaltpotentiale freisetzte, eine Erfahrung, die sich später im Dreißigjährigen Krieg noch einmal dramatisch bewahrheiten und verdichten sollte.
Die katholische Kirche konstituierte sich dabei nach und nach analog zum neuzeitlichen Staatsabsolutismus selbst als absolutistischer Staat. Das Theorem hierfür lieferte Robert Bellarmin mit der Souveränitätskategorie der „societas perfecta“. Das hatte den Vorteil der Gleichrangigkeit gegenüber den entstehenden neuzeitlichen Staaten, aber auch den Nachteil, immer im gewissen Sinne etwas Externes zu sein, solange man nicht selber in einem „katholischen Staat“ an der Macht war. Deshalb favorisierte man diese katholischen Staaten und sehnte sie herbei. Als Nachteil erwies sich schließlich auch, dass man sich mit der Übernahme des staatlichen Absolutismus in die eigene Kirchenstruktur massive Entwicklungshemmnisse einhandelte. Man hatte sich geradezu dogmatisch an diese spezifische Regierungsform gebunden und hatte daher deren Legitimationsdefizite und faktischen Nachteile in späteren, gänzlich neuen und anderen Konstellation zu ertragen beziehungsweise mehr oder weniger geschickt zu kompensieren. Das gilt bis heute.
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