Angelika Godau
Maimorde
Dirk-Laker-Verlag
www.dilav.de
E-Book-Ausgabe
Veröffentlicht im Dirk-Laker-Verlag
Dirk Laker, Bielefeld 2020
© by Angelika Godau
Lektorat: Dirk Laker
-1-
Melanie Kreutzer lag mit geschlossenen Augen und fest zusammengepressten Lippen auf dem Untersuchungsstuhl. Ihre feuchten Hände umklammerten die Griffe an den Seiten, und sie schickte ein Stoßgebet nach dem anderen zu einem Gott, an dessen Existenz sie nicht glaubte.
Zwischen ihren gespreizten Beinen saß Doktor Andreas Brandt und drückte mit einer Hand auf ihren Bauch während er mit der anderen ihren Muttermund abtastete.
„Also, Melanie“, sagte er, während er die Handschuhe auszog, „du bist eindeutig schwanger, auch wenn ich das sehr seltsam finde. Nicht nur ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass du und Roger in dieser Hinsicht nicht kompatibel seid. Ich meine, wie lange habt ihr es versucht, wie viele Ärzte konsultiert, wie viele Wundermittel ausprobiert. Und nun plötzlich, nach all den Jahren, ich verstehe es nicht und habe dafür nur eine Erklärung …“
„Brauchst du auch nicht, kein Mensch ist allwissend, nicht einmal ihr Ärzte. Wir haben eben die Hoffnung nie aufgegeben.“
„Ach was, mit Hoffnung hat das nichts zu tun, ich war schließlich nicht der einzige Spezialist, der zur gleichen Diagnose gelangt ist. Ihr beide seid zwar körperlich gesund, aber irgendetwas hat nicht gepasst. Das kommt gelegentlich vor, auch wenn es medizinisch nicht zu erklären ist. Aber davon mal ganz abgesehen, glaubst du, dass diese Schwangerschaft eine gute Idee ist? Du weißt doch selbst, wie du die letzten zehn Jahre verbracht hast. Du hast verdammt viel …“
„Daran musst du mich nicht extra erinnern. Das weiß ich schließlich, aber ich habe aufgehört, schon lange. Ich trinke keinen Tropfen mehr, und das wird ganz sicher so bleiben. Was ist? Alles in Ordnung?“
Doktor Brandt schüttelte resigniert den Kopf und führte behutsam das Ultraschallgerät in die Vagina ein. Melanie richtete sich weiter auf, um den Monitor besser sehen zu können.
„Ist alles gut?“, fragte sie leise und noch einmal lauter, als er nicht antwortete. „Ist alles in Ordnung mit meinem Kind?“
„Um das sicher beurteilen zu können, ist es zu früh, aber, soweit ich es sagen kann, bist du in der sechsten Woche, und das deckt sich mit deinen Angaben zur letzten Periode. Jetzt müssen wir erst die Laborwerte abwarten, aber, wie gesagt, es besteht erhebliche Gefahr, dass das Kind durch deine …“
„Du wiederholst dich. Ich bin sicher, dass mit meinem Baby alles okay ist. Ich würde es spüren, wenn es nicht so wäre.“
„Gut, wie du meinst. Dann lass dir draußen einen neuen Termin geben. Hast du es Roger schon gesagt?“
„Nein, noch nicht. Ich sage es ihm, sobald die Laborergebnisse da sind und ich sicher sein kann …“
„Ach, sieh an, Melanie, ganz so sicher, wie du tust, bist du dir also doch nicht.“
„Ich schon, aber du kennst Roger und vor allen Dingen seine Mutter. Die werden beide mit den gleichen Bedenken kommen, wie du auch. Also ist es besser, etwas in der Hand zu haben, was ihre Zweifel zerstreut. Wehe, du verrätst vorher etwas.“
„Ich unterliege der Schweigepflicht, die gilt auch bei Freunden. Solltest du eigentlich wissen“, gab Doktor Brandt etwas pikiert zurück und fügte nach kurzem Zögern hinzu: „Behalte auf alle Fälle mal im Hinterkopf, dass die Entwicklung des Fötus vielleicht nicht … ich meine, Alkoholismus der Mutter verursacht nicht selten eine Alkoholembryopathie und das ist …“
„Hör sofort auf, den Teufel an die Wand zu malen“, unterbrach sie ihn, erhob sich und verschwand hinter dem Vorhang, um sich wieder anzuziehen.
„Vergiss trotzdem nicht, dir einen neuen Termin geben zu lassen. Sobald ich die Laborwerte habe, rufe ich dich an. Ach, und sag Roger doch bitte, dass ich heute Abend etwas später komme, ich habe noch eine Patientin.“
Melanie Kreutzer verließ die Praxis mit neuem Termin, obwohl sie wusste, dass sie nicht wiederkommen würde. Sie wollte nicht hören, dass ihr Kind womöglich nicht gesund war. Behindert, weil sie zehn Jahre lang exzessiv getrunken hatte und eine Schwangerschaft wirklich das letzte war, womit sie gerechnet hatte. Dabei war Roger geradezu besessen von seinem Wunsch nach einem Kind und hatte sie jahrelang von Arzt zu Arzt geschleift, jede medizinische Möglichkeit ausgeschöpft. Der Erfolg war ausgeblieben und seine Enttäuschung darüber, hatte er sie spüren lassen. Du bist schuld, stand deutlich in seinem Gesicht geschrieben. Im Auto sitzend starrte sie auf das Ultraschallbild, das Brandt ihr in die Hand gedrückt hatte. Das, was einmal ihr größter Triumph werden sollte, war ein winziges Etwas, kaum größer als ein Stecknadelkopf. „Du darfst nicht behindert sein, bitte, bitte. Du musst ein wunderschönes, kluges Kind werden, das ist wichtig“, flüsterte sie beschwörend, „nur dann wird es ihnen richtig weh tun.“ Sie presste das Foto an ihre Brust, bevor sie es in ihre Handtasche schob.
-2-
Ich saß seit einer gefühlten Ewigkeit im Wartezimmer von Doktor Brandt und bemühte mich, die Gespräche um mich herum zu überhören. Schwangerschaftserbrechen, Komplikationen bei Geburten oder Stillprobleme waren nicht wirklich meine Lieblingsthemen. Also stellte ich die Ohren auf Durchzug und konzentrierte mich auf die Autozeitung, die sicherlich ein Jahr alt war.
„Wie geht es eigentlich Tabea?“, unterbrach jetzt meine Mutter meine Lektüre, entschlossen, ein Gespräch in Gang zu bringen.
„Gut“ gab ich knapp Auskunft, auch wenn ich ahnte, dass ihr das nicht reichen würde.
„Warum kommt ihr nicht heute Abend mit zu den Kreutzers? Roger wird vierzig und gibt eine Gartenparty. Ich kriege euch kaum noch zu sehen, das finde ich wirklich schade.“
Da ich nicht reagierte, bohrte sie gleich weiter.
„Das wäre doch eine schöne Gelegenheit. Walter kommt auch mit, und der unterhält sich so gerne mit deiner Freundin. Was ist? Kommt ihr?“
„Nicht, wenn ich es vermeiden kann“, wäre eine ehrliche, aber sicher keine kluge Antwort gewesen, daher versuchte ich es mit Ausflüchten.
„Kann ich nicht versprechen, ohne vorher Tabea zu fragen, das weißt du doch. Vielleicht hat sie Dienst, dann geht es so wieso nicht.“
„Nun, dann ruf sie an und frag. Ich möchte es gern wissen, damit ich mich darauf freuen kann.“
„Mama, ich kann sie nicht wegen einer Gartenparty bei der Arbeit stören, außerdem ist heute Freitag, da hat sie …“
„Ach was, sie wird bestimmt gern mitkommen. Ruf sie an, einmal ist bestimmt nicht schlimm.“
Auch die letzte Frau im Wartezimmer hatte mittlerweile ihre Zeitung sinken lassen, jedes Gespräch war verstummt, alles wartete gebannt auf meine Antwort.
Die Begnadigung erschien in Gestalt von Doktor Brandt, der meine Mutter bat, ihm ins Behandlungszimmer zu folgen.
Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, drehten sich die Gespräche jetzt um Eltern, Einladungen und unterschiedliche Vorstellungen von Freizeitgestaltung.
Wer mich noch nicht kennt, ich bin Detlev Menke, 27 Jahre alt, Sohn eines Weingutes in der schönen Pfalz, Porschefahrer und Besitzer eines heldenhaften Dackels namens Alligator vom Trifels, genannt Alli. Nach vielen, sehr sorglosen Jahren, die ich hauptsächlich mit Nichtstun und wechselnden Freundinnen zugebracht habe, bin ich jetzt ein viel beschäftigter Detektiv in Bad Dürkheim. Ich habe richtig gut zu tun, wenn ich nicht gerade meine Mutter zum Gynäkologen begleite, weil sie wegen häufiger Schwindelanfälle selbst nicht Autofahren kann. Ich hatte mich vehement gegen dieses Ansinnen gewehrt, denn Frauenärzte waren mir suspekt, aber Wiebke hatte darauf bestanden. Wiebke, meine große Schwester, konnte sehr energisch sein und ließ keine meiner Ausreden gelten.
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