Angelika Walser - In deiner Nähe geht es mir gut

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Sie ist ein so selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens, dass wir selten über sie nachdenken: die Freundschaft. Freundinnen und Freunde lachen und weinen miteinander. Sie sind da, wenn das Leben schwierig wird und der Weg steinig. Mit ihnen und an ihnen wächst man. Schon die antike Moralphilosophie wusste: Freundschaft ist einer der wichtigsten Glücksfaktoren im Leben. Doch was macht eine echte Freundschaft aus? Was unterscheidet Freundschaften von anderen Beziehungen? Können Frauen und Männer miteinander befreundet sein? Und wie pflegt man die zarte Pflanze der Freundschaft, damit sie blühen und gedeihen kann? Als Kontrapunkt zur Tendenz, Beziehungen zu instrumentalisieren und zu verzwecken, wirbt dieses Buch dafür, in Zeiten des Individualismus die private und gesellschaftliche Bedeutung von Freundschaft wieder neu zu entdecken. Ein Plädoyer für den einzigartigen Stellenwert der Freundschaft!

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Angelika Walser

IN DEINER

NÄHE GEHT

ES MIR GUT

Warum Freundschaftenlebensnotwendig sind

Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung von Rose Ausländer - фото 1

Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung von: Rose Ausländer, Gemeinsam I. Aus: dies., Gedichte. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2001

Mitglied der Verlagsgruppe engagement 2017 Verlagsanstalt Tyrolia - фото 2

Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

2017

© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlaggestaltung, Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag

Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien

ISBN 978-3-7022-3585-7 (gedrucktes Buch)

ISBN 978-3-7022-3609-9 (E-Book)

E-Mail: buchverlag@tyrolia.at

Internet: www.tyrolia-verlag.at

Gemeinsam

Vergesset nicht

Freunde

wir reisen gemeinsam

besteigen Berge

pflücken Himbeeren

lassen uns tragen

von den vier Winden

Vergesset nicht

es ist unsre

gemeinsame Welt

die ungeteilte

ach die geteilte

die uns aufblühen lässt

die uns vernichtet

diese zerrissene

ungeteilte Erde

auf der wir

gemeinsam reisen

ROSE AUSLÄNDER

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Warum Freundschaft wichtig ist

Was die Glücksforschung dazu sagt

Warme Insel in einer kalten Welt

Soziologische Aspekte von Freundschaft

Wer ist mein/e Freund/in?

Was Freundschaft ausmacht

Die Merkmale von Freundschaft – kleiner Streifzug durch die antike Philosophie

Wie Freundschaften gelingen: Anforderungen

Von „Sonnenblumen-Augenblicken“ und der Kunst, Freundschaften zu pflegen

Der „Sonnenblumen-Augenblick“ oder Wenn jemand mein Herz berührt

Von der Kunst, Freundschaften zu pflegen

Von Freundschaft und Liebe zwischen Männern und Frauen

Freundschaft – Liebe – Ehe: Einige Bemerkungen zur Problematik der Abgrenzung

Freundschaft – ein heikles Thema zwischen den Geschlechtern

Frauenfreundschaften

Männerfreundschaften

„Harry und Sally“ oder Gewagte Beziehung

Verwendete Literatur

Vorwort

Vor einiger Zeit wartete ich in Wien auf die U-Bahn und las auf einem der angebrachten Bildschirme von der ältesten Wienerin, die ihren 106. Geburtstag feierte. Schön war sie, zurechtgemacht für den Wiener Bürgermeister, der ihr Blumen überreichte und zum Geburtstag gratulierte. Auch geistig war sie laut der U-Bahn-Meldung noch überaus fit. Jedoch auf die Frage, was sie mit ihren 106 Jahren am meisten vermisste, war ihre Antwort: „Ich vermisse so sehr meine Freundinnen. Sie sind alle längst tot!“

Angesichts dieser Worte fiel mir Frau B. ein: Frau B. war über 80 Jahre alt und eifrige Hörerin der Theologischen Kurse, einer bekannten Erwachsenenbildungseinrichtung der Erzdiözese Wien, bei der ich seit vielen Jahren als Referentin tätig bin. Sie fiel mir auf, weil sie praktisch zu jedem meiner Vorträge erschien und immer die Frage stellte, von der ich daheim bei der Vorbereitung immer gehofft hatte, dass sie mir niemand stellen würde. Es waren Fragen, auf die es eigentlich keine Antwort geben konnte, weil sie so schwierig waren: Fragen nach dem Sinn des Lebens, Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu unserer Existenz. Irgendwann nach einem Vortrag kamen wir ins Gespräch. Ich erfuhr, dass sie Jus studiert und dass ihr verstorbener Mann dem ungarischen Hochadel angehört hatte. Dass ihre Familie keinerlei Interesse für ihre Fragen aufbrachte, weil sie – wie sie missbilligend mit einer wegwerfenden Bewegung ihrer zarten alten Damenhände ausdrückte – „allein mit Geldverdienen beschäftigt war“.

Wir wurden Freundinnen. Sie schüttelte den Kopf, wenn ich meine Ideen allzu enthusiastisch vortrug, und warf mir regelmäßig „abgehobene Realitätsverweigerung“ vor. Gleichzeitig wartete sie sehnsüchtig auf meine Besuche, weil ich – wie sie sagte – der einzige Mensch in ihrem Leben sei, mit dem sie noch ernsthaft ein gutes Gespräch führen konnte. „Alle meine Freundinnen sind krank oder dement oder liegen auf dem Friedhof. Frau Doktor, Sie sind die Einzige, mit der ich mich ganz normal unterhalten kann. Kommen’s doch einmal wieder vorbei!“ Wenn ich dann vorbeikam, warteten dicke Torten und Sekt auf mich. Sie selbst aß und trank kaum mehr etwas – „wegen der schlanken Linie“, wie sie sagte. Tatsächlich hatte sie sich gut gehalten und legte auch noch mit knapp 90 Jahren stets höchsten Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Perfekt frisiert, aufrecht und immer Haltung wahrend, entsprach sie meinen zugegebenermaßen klischeehaften Vorstellungen einer Deutschen über die Wiener Dame der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. In meiner Phantasie hätte sie dort vermutlich jederzeit Gastgeberin in einem gepflegten Salon sein können.

Als ich ihr von den Adoptionsplänen erzählte, die mein Mann und ich angesichts unserer kinderlosen Ehe hegten, war sie wahrhaft schockiert: „Frau Doktor, Sie werden doch nicht so ein Bankert von irgendwo aufnehmen, um Himmels willen!“ Was sie nicht daran hinderte, entzückt in den Kinderwagen zu schauen, als wir ein kleines Mädchen adoptiert hatten. Ich besuchte sie und erlebte die Zärtlichkeit und das Wohlwollen einer alten Dame, die – bezaubert von meinem Mädchen – auf allen vieren mit der Kleinen durch die Wohnung robbte und sich gleichzeitig mit mir über die theologischen Neuerscheinungen des vergangenen Monats austauschte.

Eines Tages rief ich sie vergeblich an. Und dann immer wieder. Viele Wochen lang. Bis eines Tages eine fremde Frau am Apparat war und mir barsch mitteilte, dass Frau B. schon längst verstorben sei. Sie habe dringend auf meinen Besuch im Spital gewartet, aber ich hätte mich ja nie gemeldet. Ich war traurig und aufgebracht, verwies auf meine absolute Ahnungslosigkeit und darauf, dass ich unzählige Male vergeblich angerufen hätte. Wieso hatte man mich nicht informiert? Natürlich wäre ich ins Spital gekommen und hätte Frau B. noch einmal besucht. Mit der Zeit kam doch ein halbwegs vernünftiges Gespräch zustande und die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung entpuppte sich als die Stimme ihrer Tochter. „Wissen Sie, meine Mutter hat sehr oft von Ihnen gesprochen. Sie war ja im Umgang nicht ganz einfach!“ Als ich ihr von unseren Torten-Sekt-Orgien erzählte, vom Herumtollen am Fußboden und von den vielen Stunden, die wir diskutiert hatten, konnte sie es nicht fassen. „Meine Mutter war oft depressiv, in sehr düsterer Stimmung, sehr anspruchsvoll. Die Person, von der Sie mir da erzählen, war nicht meine Mutter!“, sagte sie.

Mich beschlich das seltsame Gefühl, dass Frau B.’s Familie möglicherweise nicht allzu begeistert von unserer Freundschaft gewesen wäre. Eine fast 90-jährige Dame der feinen Wiener Gesellschaft hatte mir „Zug’reisten“ Einblick in ihre teilweise vergangene Welt gewährt und ich ihr im Gegenzug meine „jugendliche Frische und die Theologie“, wie sie das vermutlich ausgedrückt hätte. Als ich nach einiger Zeit ihr Grab besuchte, war ich empört: Überall wucherte bereits der Efeu, das Grab war offensichtlich ungepflegt und nicht eine einzige Blume lag dort. Ich entfernte einige Ranken, stellte meinen kleinen Blumengruß ab und bin nie wieder hingegangen. Aber ich habe Frau B. nicht vergessen. Sie war eine außergewöhnliche Frau und ungewöhnliche Freundin. Sie war einer der Menschen, die mir im Laufe meines Lebens beigebracht haben, dass Freundschaft absolut überall möglich ist, ungeachtet des Altersabstands, des Geschlechts, der Schicht und der Bildung. Gegenseitiges Wohlwollen, Interesse füreinander und Neugier aufeinander kennt keinerlei Grenzen.

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