ANGELIKA WALSER
Unerfüllter Kinderwunsch
und künstliche Befruchtung
Eine Orientierung
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
2014
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: stadthaus 38, Innsbruck
Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3332-7 ( gedrucktes Buch )
ISBN 978-3-7022-3358-7 ( E-Book )
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
Internet: www.tyroliaverlag.at
Ein persönliches Vorwort
1. DIE ERFAHRUNG DES UNERFÜLLTEN KINDERWUNSCHES
Einige Fakten und Ursachen
Wieso eigentlich der Wunsch nach einem Kind?
2. REPRODUKTIONSMEDIZIN ALS LÖSUNG?
Methoden, Erfolg und Risiken der Reproduktionsmedizin
Rechtliche Rahmenbedingungen in Österreich, der Schweiz und Deutschland
Ökonomische Rahmenbedingungen in Österreich, der Schweiz und Deutschland
3. ETHISCHE ÜBERLEGUNGEN
Prokreative Freiheit und reproduktive Autonomie
Verantwortung und Fürsorge für ein Kind
4. ETHISCHE FOLGEPROBLEME DER REPRODUKTIONSMEDIZIN IN DER DISKUSSION
Heterosexuelle und homosexuelle Elternschaft
Samen- und Eizellspende
Embryonenspende, Leihschwangerschaft und Leihmutterschaft
Ungeborenes Leben
Präimplantationsdiagnostik
Verbrauchende Embryonenforschung
5. POSITIONIERUNGEN
Die katholische Position: Lehramtliche Dokumente und philosophisch-theologische Argumente
Die evangelische Position: Lehramtliche Dokumente und philosophisch-theologische Argumente
Feministische und geschlechtersensible Positionen
6. KOMPETENZEN FÜR EINE VERANTWORTETE UND SELBSTBESTIMMTE ENTSCHEIDUNG: DIE SUCHE NACH DER EIGENEN STIMME
Wahrnehmungskompetenz
Deutungskompetenz
Intersubjektive/kommunikative Kompetenz
Moralisch-normative Kompetenz
7. DIE FRAGE NACH ALTERNATIVEN MÖGLICHKEITEN DES UMGANGS MIT UNERFÜLLTEM KINDERWUNSCH
Alternative Therapien
Adoption
Verzicht auf Kinder
Ein persönliches Nachwort und Danksagung
Anmerkungen
Irgendwo im großen Wiener Allgemeinen Krankenhaus stand vor vielen Jahren eine Wartebank vor einer der Ambulanzen in der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Auf dieser Wartebank habe ich damals Platz genommen – in der Hand die Überweisung meines Frauenarztes zur „Abklärung der Ursache des unerfüllten Kinderwunsches“. Ich erinnere mich noch genau daran, welche Frauen den Wartesaal damals betreten und schließlich wie die Hühner auf der Stange neben mir Platz genommen haben: direkt neben mir eine Dame im grauen Business-Look, die die ganze Zeit nervös auf ihrem Notebook herumtippte und vollkommen abwesend zu sein schien; neben der Business-Lady eine Ausländerin mittleren Alters mit Kopftuch, die ich als Türkin zu identifizieren glaubte und die leise mit ihrem Mann sprach. So unterschiedlich wir drei waren – die Business-Lady, die Türkin und ich – wir hatten offensichtlich alle drei dasselbe Problem. Irgendwo in unserer Krankenakte tauchte das Wort „infertil“ auf. Wir wünschten uns ein Kind, doch ging unser Wunsch nicht in Erfüllung.
Als ich später zur Entfernung eines Myoms stationär im AKH aufgenommen wurde, lernte ich noch viele andere Frauen kennen, die mir die Augen für die Tatsache öffneten, dass ein unerfüllter Kinderwunsch weder auf ein gewisses Alter noch auf eine gewisse Schicht beschränkt sind. Da waren „mittelalterliche“ Akademikerinnen wie ich; da waren aber auch ganz junge Frauen, Angestellte in leitender und nichtleitender Position, Hausfrauen und Lehrerinnen, Supermarktverkäuferinnen, Pferdeliebhaberinnen aus Bosnien, der Türkei, Österreich und Deutschland. In vielen Gesprächen haben wir damals gerätselt: „Warum klappt es nicht? Was machen wir falsch? Was sagt dein Partner dazu? Wie geht ihr damit um? Wie kriegt ihr das hin mit dem Timing?“ Wer schon einmal Patient oder Patientin in einem Krankenhaus war, der weiß, dass man dort mit völlig Fremden manchmal über sehr intime Dinge spricht. Der Schutz des Nichtwissens voneinander und die gemeinsame Situation, in der man sich befindet, erlaubt eine Nähe, die oft nicht einmal vertrauten Menschen vorbehalten ist. So erfuhr ich allerhand von den Abteilungsgenossinnen: Die eine hatte sich einen Hund gekauft, damit „ich wenigstens etwas zum Kuscheln habe“, die andere ein Pferd; die dritte war beschäftigt, die mit den Untersuchungen anfallenden häufigen Aufenthalte in der Klinik vor ihrem Chef zu verschleiern. Die vierte klagte über die mangelnde Sensibilität ihres Mannes, „dem das alles allmählich auf die Nerven geht“. Und die fünfte berichtete mir schließlich in einer stillen Stunde, dass bereits acht Abgänge hinter ihr lagen, dass sie aber unbedingt weitermachen würde, bis sie endlich das ersehnte Kind in den Armen halten würde. Es war dieses Gespräch zusammen mit einer Beratung bei einem freundlichen und besonnenen Arzt der Abteilung, die mich damals zum Entschluss brachten, die IVF für mich nicht in Anspruch zu nehmen. Ich wusste sehr genau, dass ich den psychischen Belastungen mehrfacher Behandlungszyklen nicht gewachsen sein würde. Aus meiner wissenschaftlichen Lektüre als theologische Ethikerin war ich außerdem über die physische Belastung informiert, welche Frauen bei reproduktionsmedizinischen Methoden in unterschiedlichem Maße erwartet. So verließ ich das AKH um ein Myom leichter, aber natürlich auch ohne Kind. Die Untersuchungen waren ergebnislos verlaufen, ebenso die Untersuchungen meines Mannes.
Wir warteten weiter auf ein Kind, das wir angeblich bekommen konnten, aber nicht bekamen. Kurz nach meinem Aufenthalt entschieden wir uns für eine Inlandsadoption und bekamen nach vierjähriger Wartezeit von der Wiener Magistratsabteilung 11 den ersehnten Anruf: „Wir hätten da ein Baby für Sie!“ Wir zogen mit unserer Adoptivtochter in den Wiener Wald, ich erhielt zwei Jahre später ein Stipendium für meine Habilitation, trat eine Stelle an der Universität Wien am Institut für theologische Ethik an – und stellte fest, dass ich schwanger war. Seitdem toben zwei kleine Mädchen bei uns durchs Haus und verlangen uns ab, was alle Kinder ihren Eltern abverlangen: Geduld, gute Nerven, Zeit und Geld und viele schlaflose Nächte.
Ich kenne Paare, die einen anderen Weg gegangen sind als wir und die IVF oder andere Methoden der Reproduktionsmedizin gewählt haben – manchmal waren sie erfolgreich und brauchen heute Geduld, gute Nerven, Zeit und Geld und mehr Schlaf. Andere haben sich irgendwann damit abgefunden, keine Kinder zu bekommen. Manche wollen schlichtweg keine und sind sehr glücklich miteinander, auch ohne Kinder. Andere wiederum betreuen Pflegekinder oder haben Patenschaften in Ländern übernommen, wo Kinder jeden Tag ums Überleben kämpfen.
Was ich damit sagen will: Es gibt keinen Königsweg, um mit dem unerfüllten Kinderwunsch leben zu lernen. Letztlich muss jedes Paar einen Weg für sich finden und dieser Weg ist mühsam, verläuft oft abseits der Leistungsbilanzen und den geglückten Karrieren, die einem im Laufe des Lebens so präsentiert werden. Schmerzen gehören dazu, Wut und Trauer, Sprachlosigkeit und Enttäuschung.
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