Ulrich Wessinger
Wie ich in China ein Kind bekam
Geschichten und Berichte aus dem Reich der Mitte
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Ulrich Wessinger Wie ich in China ein Kind bekam Geschichten und Berichte aus dem Reich der Mitte Dieses ebook wurde erstellt bei
Das schwere Herz der Sun Lei
Wuxi
Die Grundschule
Die Stadt erkunden
Eine chinesische Freundin
Ausflug nach Shanghai
Shanghai Dianji University
Arbeits-Vertrag
Wohnung in Shanghai
Hunde essen
Um-Land
Die Haschwolke
Angst im Unterricht
Nachtausflug
Romantik
Alles halb so schlimm
Alte Männer, junge Frauen
Propaganda
Profiteure
Stolz, ein Chinese zu sein
Die chinesische Schrift
Deutsche in China
Sex, Liebe, Heirat.
Beijing
Christen in China
Wärmekissen
U-Bahn
Radfahren
Kulturrevolution
Raketen
Die Kunst explodiert
Die Rockszene
Nette junge Kommunisten
Chengdu
Tal der sieben Dörfer
Mit den Pferden über die Berge
Lhasa
Frühlingsfest bei kleinen Leuten
Mittelklasse
Die Landbevölkerung
Intensivstation
East China University of Science and Technology, Shanghai
Geburt
Der Autor
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Impressum neobooks
Das schwere Herz der Sun Lei
Sun Lei ist eine lebenslustige junge Frau von 26 Jahren, beschäftigt in der IT- Branche in Shanghai. Sie trägt gerne sexy Sachen, kurze Röcke und schicke, leicht hochhackige Schuhe oder legere, lockere, einfache Kleidung, jedenfalls nach der Arbeit. Sie ist laut, übersprudelnd vor Energie, lacht viel und niemand würde auf den ersten Blick vermuten, dass sie einen tiefen Schmerz mit sich herum trägt.
In ihrem Job macht sie die ersten Kundenkontakte für eine Firma, die Software-Unterstützung für Marketing, Vertrieb und Management verkauft. Ihr Boss ist amerikanischer Chinese, der vor zehn Jahren nach China kam und inzwischen seine Firma in China von 10 auf 100 Angestellte emporgezogen hat mit Niederlassungen in Beijing und Shanghai, außerdem noch mit Zweigstellen in Indien, Taiwan und Los Angeles.
Sie arbeitet in einem Team von zehn Leuten. Während ihre Kollegen die Lage ihrer Kunden recherchieren, Kundenpräsentationen und Lösungsangebote für mögliche Probleme vorbereiten und Termine machen, ist es ihre Aufgabe, zum ersten Mal persönlich beim potentiellen Kunden zu erscheinen und wenn möglich das Servicepaket zu verkaufen. Es geht dabei um die Einführung der Software und die Begleitung der Arbeit mit ihr über einen Zeitraum von einem Jahr. Ziel ist es natürlich, ständig die Firmen zu betreuen, und mit einigen großen Firmen ist das auch schon gelungen, darunter ist sogar ein weltweit bekannter Konzern. Die Betreuung über einen Zeitraum von einem Jahr kostet zwischen 200 000 und 3 Millionen Yuan, ( zwischen 25 000 und 350 000 Euro ) je nach Größe der Firma und Umfang des Angebots. Sun Lei ist ziemlich erfolgreich mit Vertragsabschlüssen. „In kleineren Firmen läuft das meistens über Bestechung. Wir machen das nicht. Deswegen bekommen wir bei kleineren Firmen öfters Absagen. Aber das spielt auch keine Rolle. Die großen sind für uns wichtig und dass wir diesen großen Konzern als Kunden haben, macht es natürlich leichter“ sagt sie. Sie arbeitet gerne in der Firma, obwohl ihr Gehalt ein bisschen besser sein könnte. Um die 8000 Yuan im Monat verdient sie, (knapp 1000 Euro ) damit ist sie allerdings weit über dem Durchschnittseinkommen in China, das in den Städten bei 2000 Yuan und in Shanghai bei 4000 Yuan liegt, aber wenn man bedenkt, welche Summen in ihrer Firma umgesetzt werden und wie wichtig ihre Arbeit dabei ist. Sie macht die ersten Verträge vor Ort …..Aber sie will nicht klagen. Manchmal leidet sie unter dem Druck, der auf ihr lastet, schließlich hängt von ihrem Erfolg eine Menge ab für ihre Firma.
Wenn sie einem gegenübersitzt in einem legeren leichten Sommerkleid, das eher so etwas wie ein zu lang geratenes T-Shirt ist, im Sommer ist es in Shanghai sehr heiß, sieht sie aus wie eine Studentin, aber zu den Kunden geht sie natürlich wie eine Businessfrau gekleidet nach internationaler Norm, mit schwarzem Rock und Kleid oder Jackett, schwarzen hochhackigen Schuhen.
Sie mag ihre Kollegen, “Es geht lustig zu“, sagt sie, „Wir verstehen uns gut, ein paar Kolleginnen sind sogar meine Freundinnen geworden“. Wenn sie im Büro ist, hat sie Arbeitszeiten von 9 Uhr morgens bis um fünf, eine Mittagspause von einer halben Stunde. Seit einem halben Jahr ist jetzt in Shanghai, lebt in der Wohnung einer Freundin im Stadtzentrum, will sich aber jetzt ein eigenes Apartment suchen, weil es ein bisschen eng ist bei ihrer Freundin.
Vorher hat sie fast zwei Jahre lang in Guangzhou, im Süden, versucht, neue Kunden zu gewinnen. Aber sie fühlte sich ziemlich einsam, weil sie ganz ohne Team auskommen musste und ganz auf sich selbst gestellt war.
Obwohl sie jeden Monat eine ordentliche Summe ihres Gehaltes auf die Seite legen kann, bleibt nichts davon übrig, denn sie schickt alles, was übrig bleibt, nach Hause, zu ihren Eltern und ihrer Familie. Die sind um die fünfzig und stecken das Geld in eine Lebens- und eine Rentenversicherung und die Aufstockung ihres Hauses. Die Eltern zu unterstützen ist in China normal, das gehört sich so.
Sie ist aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der ProvinzHunan, im Süden Chinas.Das Dorf hatte 1000 Einwohner und lebte von der Landwirtschaft. Baumwolle und Reis wurden vor allem angebaut. Die Erde ist fruchtbar, das Klima günstig für tropische Früchte, Orangenbäume stehen im Garten ihrer Familie.Ein breites Lächeln erstrahlt in ihrem Gesicht und ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt, wie sie mit den Eltern und ihrem Bruder zusammen die Baumwolle ernteten,danach mit einem Karren zur nächsten Sammelstelle zogen. Der Vater zog das schwere Gefährt und sie saß oben auf dem großen Haufen, Mama ging neben her und schaute, dass nichts runter fiel und dann kauften sie von dem Geld auf dem Markt ein paar Süßigkeiten.Es ist ein hügliges Land. Vor ihrem flachen einstöckigen Haus erstreckte sich ihr eignes Land leicht abfallend bis zur Dorfstraße, die einen kleinen Fluss entlangführte. Das Haus war aus Backsteinen gebaut, innen die Wände aus Holz. Hinter ihrem Haus erheben sich die Berge sanft gewellt und bewaldet. Eine hervorragende, geradezu ideale Lage des Hauses, würde ein Fengshui-Meister sagen: Geschützt von den Bergen im Rücken und vor sich der belebende Fluss.
Dort lebten sie zusammen mit ihren Großeltern. Während die Mutter auf dem Feld arbeitete, machte der Vater kleine und größere Geschäfte. Manchmal kaufte er Kühe und führte sie mit dem Strick an der Hand in die Stadt, die eine Stunde zu Fuß entfernt lag und verkaufte sie dort auf dem Viehmarkt. Oder er handelte mit Lebensmitteln, Reis, Öl, Sojasauce…. Er muss ein geradezu genial vielseitiger Mensch gewesen sein, denn er stellte auch noch T-Shirts, Hemden und Hosen in eigener Werkstatt her. Die Familie war nicht reich, aber auch nicht arm, irgendwo dazwischen, ganz normal, wie die anderen Familien im Dorf auch.
Im Jahre 1990 warSun Leivier Jahre alt und ging in den Kindergarten, der hinter ihrem Haus lag.Am Anfang rannte sie öfters weinend nach Hause, aber mit der Zeit gewöhnte sie sich daran.
Die Familie hatte einen Fernseher und abends versammelten sich die Nachbarn im Haus zum Fernsehgucken. Zwölf Jahre zuvor hatteDeng Xiao Ping, der Nachfolger Maos auf dem roten Thron, seine Reform- und Öffnungspolitik durchgesetzt, die auf dem Land begann. Die Kommunen wurden aufgelöst, die Bauern bekamen Land zugeteilt, allerdings nicht zu ihrem Privatbesitz, sondern nur zur Pacht. Was sich heute als Goldgrube erweist für die Beamten in den jeweiligen Stadt-und Gemeindeverwaltungen, die das Landnutzungsrecht billig und meist mit sanftem oder grobem Druck von den Bauern aufkaufen und an Investoren verkaufen zu riesigen Gewinnspannen, in denen die Korruption blüht. Diese Immobiliengeschäfte sind die Haupteinnahmequelle der Kommunen. Dennoch war dieser Schritt wirtschaftlich ein voller Erfolg. In weniger als acht Jahren verdreifachte sich das Einkommen der Landbevölkerung. Als dann auch in den Küstenprovinzen Sonderwirtschaftszonen eingerichtet wurden, begann das chinesische Wirtschaftswunder. Man erlaubte nicht nur die Gründung privater Betriebe, sondern auch Joint Ventures mit ausländischen Firmen. Kapital und Knowhow aus aller Welt kam ins Land.
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