„Das ist erst mal etwas zum Stabilisieren des Kreislaufs, damit er nicht kollabiert. Erzählen Sie, Frau Sänger, wo sind sie mit ihm gewesen und wie hat das angefangen?“
„Ich war in der Stadt ein paar Besorgungen machen, danach bin ich mit Bruno noch eine Runde am Schwarzbach langgegangen. Da trifft er immer viele von seinen Freunden, aber heute war kaum jemand unterwegs. Ich habe nicht gesehen, dass irgendwas passiert wäre oder so, aber plötzlich hat er ganz laut aufgeschrien und wollte nicht weiterlaufen. Ich habe gedacht, er hätte sich vielleicht was verstaucht oder wäre in eine Scherbe getreten, also habe ich seine Beine und die Pfoten untersucht, aber nichts finden können. Dann hatte er plötzlich Blut an der Schnauze und ich dachte, er hätte sich da vielleicht draufgebissen, weil er sich erschreckt hat. Wissen Sie, er ist ja auch so sensibel, erschrickt sich schnell und …“ Frau Sänger verstummte, dicke Tränen liefen über ihre Wangen und sie schniefte vernehmlich.
Hella nickte und lächelte ihr auffordernd zu. „Sie haben alles richtig gemacht, wie ging es weiter?“
„Wie es weiterging? Nun, er ist dann erst normal gelaufen, es war ja auch nicht mehr weit, aber gerade als wir mein Auto erreicht hatten, fing er mit diesen komischen Geräuschen an. Ich dachte er hustet, aber irgendwie war das anders und dann kam richtig viel Blut aus seiner Schnauze. Ich habe ihn darum schnell in den Kofferraum gehoben, was gar nicht so einfach war und Sie dann sofort angerufen.“
„Haben Sie vielleicht beobachtet, dass er irgendwas vom Boden aufgenommen hat?“
„Aufgenommen? Sie meinen, gefressen? Nein, ist mir nicht aufgefallen, aber Sie wissen ja wie Hunde so sind, die finden immer was. Und viele Leute füttern da auch die Enten, also liegt da oft Brot oder so was. Das will er immer haben, könnte also schon sein. Ach Gottchen, ich hätte besser aufpassen müssen, ich weiß, aber mein Mann hat mich angerufen und ich habe mit …“
„Gut, ich gebe Bruno jetzt erst einmal etwas zum Schlafen, denn ich muss ihn röntgen, es könnte sein, dass er etwas verschluckt hat, was die Blutung verursacht.“
In diesem Augenblick wurde sie von Bruno unterbrochen, der seinen Mageninhalt in einem Schwall auf den Tisch entleerte. Hella nahm einen hölzernen Spatel und begann das Ergebnis zu untersuchen.
„Hm, wann hat er das letzte Mal Futter bekommen? Oha, was ist das? Ja, habe ich mir gedacht, jetzt können wir nicht mehr warten, ich werde operieren müssen. Sie drehte sich um, zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine lange Pinzette. Damit zog sie etwas aus dem Erbrochenen hervor und hielt es hoch. „Ein abgebrochenes Cuttermesser, wer weiß, was das angerichtet hat und ob da nicht noch mehr ist.“
Brunos Frauchen begann jetzt hemmungslos zu schluchzen und wollte sich offenbar über ihren Hund werfen, wurde aber von Hella daran gehindert.
„Schon gut, Frau Sänger, beruhigen Sie sich. Wenn wir Glück haben, ist noch nichts weiter in den Darm gewandert. Ich werde Bruno jetzt narkotisieren und eine Endoskopie durchführen, danach sehen wir weiter. Sie können da im Augenblick leider nichts tun, aber ich gebe Ihnen sofort Bescheid, sobald ich etwas weiß.“ Von einem kleinen Wagen nahm sie eine Ampulle, zog sie auf und fügte den Inhalt durch den Infusionskonus hinzu. „Bruno wird jetzt gleich einschlafen, Deti, hilfst du mir bitte, ihn rüber zu tragen?“
Ich nickte, nahm den bereits fast schlafenden, verdammt schweren Hund auf den Arm, trug ihn keuchend ins Nebenzimmer und legte ihn auf einem Metalltisch ab. Entweder, ich war mittlerweile sehr verweichlicht, oder die ältere Dame verfügte über ungeahnte Kräfte. Wie, in drei Teufels Namen, hatte sie diesen Hund in den Kofferraum bekommen? Ich nahm mir ernsthaft vor, nach Erledigung dieses Auftrags wieder sehr regelmäßig Sport zu machen.
„Das sieht nicht gut aus“, flüsterte Hella mir zu, „mit Sicherheit ist Bruno ein weiteres Opfer dieser präparierten Fleischbällchen. Und so wie der blutet, ist die Speiseröhre verletzt. Zwei von diesen Cuttermessern waren im Erbrochenen, außerdem Glassplitter. Verdammte Hacke, das muss aufhören, du musst diesen kranken Typen einfach zu fassen kriegen. Ich will nicht jeden zweiten Tag einen Hund in diesem Zustand sehen.“
Sie kritzelte etwas auf einen Block, der neben einem Monitor lag, reichte mir den Zettel und sagte: „Ruf da an und bitte Urs, umgehend wieder herzukommen. Ich werde operieren müssen und dazu brauche ich seine Assistenz.“
„Kann ich doch machen“, bot ich an, aber Hella schüttelte den Kopf.
„Bist du Tierarzt oder zumindest Humanmediziner, medizinisches Fachpersonal, Anästhesist? Nein, daher kannst du es nicht machen, also bitte, ruf meinen Kollegen an und sag ihm, er möge sich beeilen. Dann musst du mir bei der Endo helfen, das ist nicht schwierig.“
Ich zückte mein Smartphone, tippte die Nummer ein und als sich ein Hallo meldete, sagte ich meinen Spruch auf, bekam die Zusage, umgehend zu kommen und drückte auf Ende.
„Er sagt, er sei in fünf Minuten hier, was soll ich tun?“
Hella zeigte mir, wie ich Bruno in Position halten musste, damit sie das Endoskop einführen konnte. Sie starrte konzentriert auf einen Monitor, gab ab und an einen unverständlichen Laut von sich und ich kam mir ziemlich überflüssig vor.
„Hör mal“, sagte ich daher, „wenn dein Kollege kommt, bin ich hier nur im Weg. Wenn es dir recht ist, verschwinde ich, gehe mit Alli Gassi und wir treffen uns dann später bei dir Zuhause.“
„Hm“, machte Hella, und ich nahm es als Zustimmung. Kurze Zeit später erschien der Typ, den ich angerufen hatte, nickte mir zu und beachtete mich nicht weiter.
„Okay, ich bin dann mal weg“, sagte ich, bekam aber von keinem der beiden eine Reaktion.
Keinen Plan, ob es Frust war, Langeweile oder einfach das Bedürfnis, etwas von Tabea zu hören, auf alle Fälle rief ich sie an. Ignorierte, dass sie Abstand wollte und redete mir ein, dass der durch einen Anruf nicht gefährdet wurde. Es klingelte lange, bis sich schließlich die Mailbox meldete. War klar, sie ließ mich auflaufen, aber bitte, wenn sie es so wollte, das konnte ich auch. Launig ließ ich sie wissen, dass mich meine alte Freundin Hella gebeten habe, einen Auftrag in Zweibrücken zu übernehmen und ich daher bis auf weiteres bei ihr zu erreichen sei. Erst nachdem ich das losgeworden war, kam ich mir plötzlich blöd vor und hätte es gern zurückgenommen.
Es war fast 21 Uhr als ich die Haustür hörte und Hella hereinkam. Sie sah erschöpft aus, ließ sich in einen Sessel fallen und sagte: „Ich brauche einen Schnaps. Da drüben steht eine Flasche Grappa, mach dich mal nützlich.“ Als ich ihr wieder gegenübersaß, prostete sie mir zu und trank dann in einem einzigen Zug ihr Glas leer. „Das hat gutgetan“, sagte sie, „aber wenn das noch lange so weitergeht, werde ich zur Alkoholikerin. Bruno hat die Operation überlebt und fürs erste sieht es nicht ganz schlecht für ihn aus. Über den Berg ist er allerdings noch nicht, das hängt davon ab, ob wir wirklich alles an Glas entfernt habe, was er verschluckt hat. Seine Zunge, der Rachen und die Speiseröhre hatten einige Schnitte, aber der Magen war intakt. Zum Glück war er schnell in der Praxis und hat sich dann auch noch übergeben. Das Zeug hatte daher nicht viel Zeit, seinen Verdauungstrakt noch weiter zu zerstören. Wäre auch noch der Darm verletzt gewesen … ich glaube, das hätte er nicht überlebt. Zum Glück war Urs erreichbar und obendrein in der Nähe. So konnte er mir assistieren, vier Augen sehen auch in so einer Situation mehr als zwei. So, ich muss jetzt mal abschalten, sonst nehme ich das wieder mit ins Bett. Dann kreisen meine Gedanken, ich grübele endlos und an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich muss aber morgen früh wieder fit sein für die Praxis. Komm, lass uns in die City fahren und was essen.“
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