„Nichts wird je wieder so sein, wie es war“, hatte sie erklärt und seine Entschuldigungen und Beteuerungen mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. „Das wirst du bereuen. Ich werde dir niemals verzeihen, niemals, verstehst du und wenn ich 100 Jahre alt werde. Du weißt ja, ich bin Skorpion, die vergessen nie, was man ihnen angetan hat.“
Anfangs hatte er noch gehofft, darauf vertraut, dass sie sich doch geliebt hatten, dass seine Frau mit der Zeit wieder zu ihm zurückfinden würde, aber es vergingen Monate und schließlich Jahre, ohne dass sich etwas geändert hätte. Da war er in seiner Verzweiflung auf die Idee mit dem Hund gekommen. Ihm war eingefallen, wie sehr sie sich ein Haustier gewünscht hatte, früher, als sie noch miteinander sprachen.
„Damit bist du immer angebunden, kannst nie etwas spontan entscheiden. Außerdem stinken die und haaren die Wohnung voll“, waren seine Argumente dagegen gewesen. „Außerdem, wenn wir erst Kinder haben, wirst du bestimmt froh sein, nicht obendrein für einen Hund sorgen zu müssen. Nein, nein, lass uns das auf später verschieben.“
Wenn er ehrlich mit sich selbst war, musste er aber zugeben, dass er nur ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung behalten, und nicht mit einem Tier teilen wollte.
Heute wäre er schon mit der Hälfte an Zuwendung zufrieden gewesen, und so war er ins Tierheim gefahren und hatte sich aus den vielen angebotenen Kandidaten Micky ausgesucht. Warum? Weil er sich eingebildet hatte, in seinen Augen die gleiche Einsamkeit zu sehen, unter der er litt. Wie jeden Tag hatte Regina hinter der Tür auf ihn gewartet, um ihn mit ihren Klagen zu empfangen, aber die hatte sie alle vergessen, als sie Micky sah. Ab diesem Moment hatte sie sich verändert, ihre Stimme bekam wieder einen liebevollen, ja zärtlichen Klang. Leider galt das nicht ihm, sondern ausschließlich dem Hund. Für ihn änderte sich nichts, auch wenn er es immer wieder versuchte, immer wieder beteuerte, zu bereuen, was er getan hatte. Heilige Eide auf das Leben seiner Mutter schwor, es niemals wieder zu tun und alles dafür geben zu wollen, es ungeschehen machen zu können. Sie hörte zu, nickte und machte weiter wie bisher. Später hatte er mit Trennung, sogar mit Scheidung gedroht, ihr vorgeworfen zu übertreiben, Freude daran zu haben, ihn zu quälen. Sie hatte es hingenommen, kein Wort der Verteidigung, geschweige denn der Versöhnung war von ihr gekommen. Sie hatte den Hund an sich gedrückt und war aus dem Zimmer gegangen. In ihr eigenes, denn ein gemeinsames Schlafzimmer gab es schon lange nicht mehr, aus dem war sie noch in dieser verhängnisvollen Nacht ausgezogen. Und dann war Micky tot. Feige mit einem dieser schrecklichen Giftköder ums Leben gebracht, und natürlich war auch das seine Schuld. Er war es, mit dem er den letzten Spaziergang seines Lebens gemacht hatte. Er war es, der nicht aufgepasst, zugelassen hatte, dass der Hund etwas auf der Straße Gefundenes fraß. Regina wäre das nie passiert, sie ließ ihren Hund nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte ihm den Hund ohnehin nur wegen einer schweren Migräne anvertraut, und dann war Micky tot. All diese Anklagen hatte sie ihm noch im Auto entgegengeschrien, kaum, dass sie die Praxis der Tierärztin verlassen hatten. Umso verblüffter war er, als er jetzt die Wohnungstür öffnete und Regina singend in der Küche stehen sah. Er rieb sich die Augen, glaubte zu halluzinieren, aber das Bild blieb das gleiche.
„Hallo Max“, unterbrach sie ihren Gesang und wandte sich ihm zu. „Warst du schon so früh joggen? Ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken und später auf den Markt gehen. Ich habe Lust uns heute Abend etwas zu kochen. Geh duschen, die Eier sind gleich fertig.“
Er war perplex, konnte sein Glück kaum fassen, beeilte sich aber, ihr zuzustimmen. „Ja, ich war laufen, es ist so schön draußen. Natürlich, wenn du willst, gehen wir auf den Markt. Ich bin gleich wieder da, ich beeile mich.“
Fünf Minuten später saß er Regina am Frühstückstisch gegenüber und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er löffelte sein Ei, lobte die perfekte Konsistenz, erwähnte den guten, starken Kaffee und kam sich wie ein kompletter Idiot vor. Er sprach mit der Frau, mit der er seit sieben Jahren verheiratet war und fühlte sich wie ein Schuljunge. Regina tat nichts, seine Befangenheit zu beenden, sie aß und trank … und schwieg.
„Ähm, was wolltest du denn heute Abend kochen?“, nahm er einen erneuten Anlauf und nach einer Weile sagte sie: „Oh, ich hatte an Frikadellen und Kartoffelpüree gedacht. Mit vielen gebratenen Zwiebeln obendrauf, so wie du es gerne hast. Vielleicht noch grüne Bohnen oder einen gemischten Salat dazu.“
„Großartig, darauf werde ich mich jetzt den ganzen Tag freuen“, jubelte er. „Deine Frikadellen sind legendär, die kriegt niemand so hin wie du.“
Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas von einem Forscher, der ein seltenes Insekt betrachtet. Dann lächelte sie, nickte und knabberte an ihrem Toast. Um den Strohhalm nicht zu verlieren, den sie ihm hingehalten hatte, bot er ihr Hilfe in der Küche an, fragte, ob sie beim Friseur gewesen sei, aber sie verfiel wieder in Schweigen und so gab er schließlich auf.
Als sie eine Stunde später den samstäglichen Wochenmarkt an der Alexanderkirche erreicht hatten, änderte sich ihr Verhalten plötzlich erneut, sie ergriff sogar seinen Arm und zeigte fröhlich auf die aufgebauten Zwiebelberge eines Händlers. „Die sehen gut aus, die werde ich kaufen.“
Der Bauer hatte bereits eine Tüte in der Hand und füllte sie geschäftig. „Was soll’s denn geben?“, fragte er und Regina ließ ihn wissen, dass ihr Mann besonders gern Frikadellen äße, dazu selbstgemachtes Kartoffelpüree und sie ihm das am Abend kochen wollte. „Fläschkischelcher mit Grumbeerbrei un ausgebäde Zwiwwle? Na, dann brauchen Sie aber noch Grumbeere, wieviel sollen es denn sein?“ Regina erstand zwei Kilo, bezahlte und der Bauer rief ihnen noch nach: „Ich wünsche einen guten Appetit und nicht zu viele Blähungen anschließend.“
An einem anderen Stand kaufte sie Hackfleisch und verkündete dann, sie habe nun alles und wolle wieder heim.
„Wollen wir nicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen? Das Wetter ist so schön und wir waren lange nicht mehr zusammen …“
„Nein, heute nicht, ein anderes Mal vielleicht, ich möchte jetzt nach Hause, ich muss ja auch das Essen vorbereiten.“
Max konnte sich zwar nicht vorstellen, wieso sie dafür den ganzen Tag brauchen sollte, schwieg aber, um den Funken Hoffnung, den er im Herzen trug, nicht zu verlieren.
Schweigend fuhren sie nach Hause, schweigend verlief auch der restliche Tag. Seine angebotene Hilfe in der Küche lehnte sie ab, auch den Tisch wollte sie selbst decken, und so verzog er sich ins Schlafzimmer und machte ein Nickerchen. Später schaltete er die Sportschau an und freute sich über den sensationellen Sieg seiner geliebten Borussia gegen den FC Augsburg. Fünf zu eins gewonnen, das war geradezu perfekt und dazu passte, dass genau beim Abpfiff Regina in der Tür erschien und ihn aufforderte, zu Tisch zu kommen. Sie sagte tatsächlich zu Tisch, was ihm merkwürdig vorkam. So merkwürdig, wie dieser ganze Tag. Seine Verwunderung nahm weiter zu, als er das Esszimmer betrat.
Der Tisch war gedeckt wie an Weihnachten. Das gute Geschirr und Kerzen in der Mitte. Tiefroter Wein funkelte in den Kristallgläsern, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die er scheußlich fand. Selbst das Silberbesteck schien sie geputzt zu haben, und auch sie selbst sah toll aus. Ein ihm unbekanntes enges, dunkelblaues Kleid aus weichem, fließendem Stoff umspielte vorteilhaft ihren sehr schmal gewordenen Körper. Er starrte sie mit offenem Mund verblüfft an.
„Setz dich doch Max“, lächelte sie, „alles ist fertig, lass es dir schmecken.“ Damit hob sie ihr Glas und prostete ihm zu.
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