Der Spindeldavit besteht aus zwei ausschwenkbaren Armen, in denen das Rettungsboot ruht. Einmal die Sicherungslaschen los, werden diese Arme mittels Spindeln (Stangen, die mit einem Schneckengewinde versehen sind) durch Kurbeln ausgeschwenkt. So schwebt das Boot langsam ins Freie und kann zu Wasser gefiert werden. Eine etwas langwierige Sache, denn es bleibt einem bei Seenot oft nur wenig Zeit! Deshalb kommt auf neueren Schiffen nur noch der Schwerkraftdavit zur Anwendung. Bei diesem reicht es, die Sicherung frei zu machen und die Fliehkraftbremse zu lösen. Durch die Konstruktion bedingt und durch das Gewicht des Rettungsbootes klappen die Arme aus und das Boot ist in kürzester Zeit im Wasser. Zwei Leute müssen sich mindestens im Rettungsboot befinden, um die Taljen auszuhaken. Über dem Boot hängen an einem Stag mehrere Manntaue (Seile mit Knoten drin) zur Sicherheit der Männer im niedergehenden Boot.
Mit viel Zeit und viel Gebrüll lernte auch der urigste Bergler alle Handgriffe und alle Befehle auswendig: „Antreten zum Bootsmanöver“, „Klar zum Bootsmanöver“ und so fort. So lernten wir, wie es später in unserem Alltag sein würde: Du bekommst eine Order, wiederholst sie, führst sie aus und meldest die Ausführung. Nur so sind Missverständnisse weitgehend auszuschließen.
Links Spindeldavit – rechts Schwerkraftdavit
Das Boot zu Wasser lassen, das ist das eine. Etwas anderes ist es, es zu bewegen. Zum Glück konnte ich schon rudern. Aber rudern alleine ist was ganz anderes als rudern zu zwölft! Da war der Bootsführer. Anfangs Papendieck oder ein Offizier. Der stand am Steuer und gab den Takt an, oft indem er mit der herausgezogenen Ruderpinne auf die Ducht (Sitzbank) schlug. Wir saßen, je zwei nebeneinander, auf unseren Duchten, die schweren hölzernen Riemen mit beiden Händen an der verjüngten Stelle haltend. Auf dem Dollbord (dem oberen Rand des Bootes) lag das Ruder in seiner Gabel, der Dolle. Das Wichtigste ist, dass alle im gleichen Takt arbeiten. Anfangs glichen unsere Ruderversuche eher einer außer Kontrolle geratenen Windmühle. Holz schlug auf Holz, Wasser spritzte, ein Riemen glitt aus den Händen und entfernte sich langsam auf der Oste. Papendieck lief rot an, benannte uns mit allen möglichen Primatennamen. Doch langsam kam ein Anfang von Ordnung in die Sache. „1-2-3-4“. „1“ war die Riemen in waagerechter Stellung nach vorn zu bewegen, d. h., wir bewegten die Griffe der Ruder nach hinten. „2“ war drehen der Ruderblätter auf senkrecht und eintauchen. „3“ war wegholen, so fest wie möglich ziehen. „4“ Riemen aus Wasser und waagerecht drehen. Und dann das Ganze nochmal und nochmal und nochmal. Immer fester, immer schneller, immer harmonischer, bis zur Erschöpfung. Bald schon konnten wir stolz auf unsere Fortschritte sein, obwohl Papendieck weiterhin meckerte. Binnen kurzem wurde jede Bootsübung zu einem Wettrennen zwischen den zwei Kuttern. Es stellte sich heraus, dass der andere Kutter immer schneller war. Vielleicht war er leichter oder etwas schnittiger gebaut. Wir waren 6 Paar Ruderer. Die 2 Hintersten hießen die Schlagleute . Das waren die Kräftigsten, sie gaben in der Regel den Schlag an, also den Rhythmus und damit die Geschwindigkeit. Uns blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, sonst gab es Riemensalat. Am Ende hieß es dann nur noch „eins und!“ Unsere Ruder flogen, das Wasser schoss quirlend weg, der Kutter jagte vorwärts. Bald dann nur noch „hol – weg! Hol – weg!“ und unser Bootsmann lachte.
Einbringen der Dinghis
So rasten wir über die Oste, der schwere Kutter, in dem auch ich saß, meist hintendran. Papendieck versprach dem, der den Riemen (Ruder) abriss, 10 Mark, um uns anzufeuern, den anderen Kutter abzuhängen. Gerd, der Heizer, schaffte das zweimal. Das Geld bekam er nie, dafür aber einen Anschiss wegen Beschädigung von Schulmaterial. Manchmal ging unser Rennen bis zu dem kleinen Binnenschiffhafen von Bremervörde. Dann durften wir bremsen. „ Halt Wasser !“ war das entsprechende Kommando. Oder „ Ruder kreuzen !“, dann zogen wir die Riemen einwärts, bis die Griffe auf das gegenüberliegende Dollbord zu liegen kamen. „ Segelstellung !“ Wir drehten sie senkrecht. Das bedeutete eine kleine Pause, in der der Kutter langsam von der Strömung oder vom Wind getrieben wurde. Das ließ uns Zeit, das ruhige Treiben in diesem Minihafen zu beobachten.
„ Ruder an !“
Bis dann die Order „ Riemen klar !“ uns aufschreckte, und wir die Ruder schnell in Bereitschaftsstellung brachten. „ Ruder an an Steuerbord, streichen (rückwärts) an Backbord!“ war die Order zum Wendemanöver. Dann wieder Wettfahrt bis zum Landungssteg. Befehle wie „Ruder ein!“ oder „ Ruder aufrecht !“ lockerten das mühsame Rudern auf. „ Ruder ein !“ oder „ Lass laufen ! Aber nicht in die Hose!“ waren die Kommandos, wenn sich die Kutter zu nahe kamen oder wenn wir uns zum Anlegen vorbereiteten. Das Anstrengendste stand uns jetzt bevor: Das Aufhieven der Kutter in die Davits und diese dann einschwenken. Dieses artete natürlich in ein Wettkurbeln zwischen den 2 Kutterbesatzungen aus. Als ginge es um unser Leben, gaben wir dabei unser Äußerstes. Wir trieben dieses Spiel bis zur Erschöpfung, nur um Erster zu sein, oder einen neuen Zeitrekord aufzustellen. Denn all diese Manöver wurden unter Kontrolle von Stoppuhren ausgeführt.
Einmal hatte es länger geregnet, und die sonst so gemütliche Oste drohte über die Ufer und Deiche zu treten. Ein Teil von uns Schülern füllte am Hafen Sandsäcke auf, wir fuhren sie unter strömenden Regen in den Kuttern zu den Stellen, wo das Wasser überschwappte. Dort warfen wir sie an Land, wo sie von den Landhelfern an die gefährdeten Stellen gepackt wurden. Da kamen wir uns endlich mal nützlich vor. Wir waren völlig durch, bis auf die Haut. Wie tat das da gut, als uns die Landleute aus ihrer Thermosflasche einen steifen Grog servierten!
Ein andermal, es war auch Hochwasser, aber keine Überschwemmung, ruderten wir wie üblich. Nur hatten wir es geschafft, endlich mal den anderen Kutter achteraus zu lassen. Papendieck zog die Ruderpinne aus der Halterung und drehte sich zu dem knapp hinter uns fahrenden Boot um. Er schwenkte die Pinne in der Luft, begann einen Freudentanz, während er die anderen mit exotischen Vogelnamen beschimpfte. Da ja beim Rudern alle den Rücken nach vorne haben, folglich die Augen nach hinten, sahen weder wir, noch unser tanzender Bootsführer, dass unser Kutter unter die einzige Brücke glitt, die in der Gegend die Oste überspannte. Wir bemerkten plötzlich ihren Schatten über uns, und schon knallte Papendieck mit dem Hinterkopf dagegen! Fast wäre er über Bord gegangen. „Der ist hinüber!“, dachten wir. Zum Glück reagierten die Schlagleute schnell. Sie ließen ihre Riemen sausen, sprangen auf den Bootsmann und zogen ihn zurück ins Boot. Nur seine Mütze trieb auf dem Fluss. Aber Papendieck war zäh. Hatte eine Katze 7 Leben, so besaß er mindestens 8. Trotzdem blieb ihm eine gute Weile die Luft weg. Dann endlich tat er einen Atemzug. Doch anstatt normal auszuatmen, stieß er eine Salve von Schimpfwörtern hervor, gegen uns, die Schlagleute, die die Riemen hatten aus den Händen gleiten lassen und die verdammte Brücke.
Читать дальше