Kapitän Neugebauer, von gedrungener Person, war der Master next God , Herr über Sein und Nichtsein an unserer Schule. Er paradierte mit einem deutschen Schäferhund an kurzer Leine. Wir fragten uns, wer von den beiden der Bissigste war. Es hieß, er sei früher auf Segelschiffen gefahren, sogar als Kapitän. Er war sich seiner Aura von Autorität bewusst. Außer beim morgendlichen Rapport blieb er weitgehend im Hintergrund. Seine Frau, die wir selten sahen, erschien uns ein bisschen aufgetakelt. Wir vermuteten, dass sie im Hause die vier Streifen trug.
Den zweiten Rang bekleidete Erster Offizier Wulf. Er war es, der unsere ganze Mannschaft morgens dem Kapitän klar zum Rapport meldete. Er war es, der im Alltag die Schule leitete, sich auch um das Administrative kümmerte. Unterricht gab er nur beschränkt, meist bestimmte Fächer, wie Schiffskunde. Manchmal war er ein bisschen brummelig, doch wir mochten ihn.
Wir von der Steuerbordwache hatten Schönfeld als Ausbilder. Einen ehemaligen Hamburg-Süd -Fahrer, der aus familiären Gründen die Seefahrt gegen die Seemannsschule eingetauscht hatte. Er hatte einen sechsjährigen Sohn. Er besaß Autorität, war gerecht und konnte es sich leisten, Witze in den Lehrstoff einzubauen. Wir mochten ihn. Das Tragische war, dass gegen Mitte der Schulzeit seine Frau Selbstmord beging… Dann war da Möller, der Ausbilder der Mittelwache. Er machte den Springer , wenn einer der beiden anderen Offiziere ausfiel. Er war oft mit uns im Hafen, bei den Bootsmanövern . Der Ausbilder der Backbordwache war Peters. Er war ein richtiger Seemann. Er spielte Akkordeon und trank, war manchmal ein bisschen launisch.
Derjenige, der alle überragte, an Größe, Stimmkraft und Sprüchen war Bootsmann Papendieck, „mit über hundertjähriger Erfahrung“! Er war das Unikum der Schule. Schon lange in Rente, er war immerhin 72, tat er seinen Job mit Überzeugung und Spaß. Sein Hauptspruch, den wir mehrmals täglich zu hören bekamen, war: „Ein Seemann kann alles! Wiederhole!“ Laut seinen Erzählungen (wir bekamen einige zu hören während der drei Monate!) war er in Douala, Kamerun, lange Zeit Hafenmeister gewesen. Ihm unterstand damals ein Heer vor schwarzen Arbeitern, die er vielleicht nicht mit der Peitsche, aber doch mit strenger Hand regierte. In seinem Büro lag ein großer Steinklotz. Jeder der angestellt werden wollte, musste diesen als Prüfung hochheben. Oft seien diejenigen, die Arbeit suchten, nachts in sein Büro geschlichen, um zu versuchen, den Klotz zu heben. So hätten sie trainiert, bevor sie vorstellig wurden. Wie bereute er, diesen Steinklotz nicht in unserem Takelkeller zu haben! Da würde man schnell sehen, wer zur Seefahrt geeignet sei und er bräuchte sich nicht mit dieser Bande von Schlappschwänzen rumzuärgern!
Ausbildungsoffizier Peter Schönfeld
Oft entblößte er vor uns seine oberschenkeldicken Arme, zeigte uns seine Muskeln und sagte „Muscheln! Kann sehn?“ Er hatte Hände wie Pratzen, würde man in Bayern sagen. Wie Pranken und Tatzen in einem. Wie Unkraut-Ex. Wo die hinfassten, wuchs kein Gras mehr! Nichts liebte er mehr, als sich von uns zu einer Kraftprobe herausfordern zu lassen. Manchmal sogar gegen zwei gleichzeitig! Ob beim Armdrücken, beim Heben (er hob zwei von uns zugleich in die Luft), oder beim Begegnen im Flur (wer nicht auswich, landete an der Wand). „Muscheln, kann sehn?“ Und damit uns allen solche Muscheln wuchsen, damit aus uns Schlappschwänzen mal steife Seebären wurden, gab es morgens zum Frühstück „Muschelsuppe“. Das war Haferbrei mit Milch. Das mussten alle essen. „Keine Diskussion!“ Das war sozusagen unsere Grundspeise. Danach gab's noch belegte Brote.
In der Küche herrschte Frau Grewer. Große Klappe, derb in ihren Ausdrücken. Wir vermuteten, sie sei eine ehemalige Nutte. Ihre Zunge war einfach zu freiläufig, selbst für uns junge Kerle, die an Kraftausdrücken nie sparten. Samstags kochte sie ihre Wäsche in unserem Muschelsuppentopf! Diejenigen, die gerade Küchendienst hatten, waren baff, als sie das sahen. Mit dem Kochlöffel rührte sie ihre Wäsche und hängte sie dann draußen auf, was uns Anlass zu weiteren Phantasmen gab.
Morgens um halb sieben (im Sommer sechs Uhr) knallte die Zimmertür auf und das Licht ging an. „Reise, reise, reise (vom engl. „to rise“) nach alter Seemanns Weise! Ein jeder stößt den Nächsten an, der Letzte weckt sich selber!“ Dieser Weckruf stammte aus der Segelschiffszeit, als alle noch in Hängematten schliefen. Diese reichten immer nur für die Hälfte der Besatzung ( Freiwache ), aus Platzgründen. Die andere Hälfte war an Deck oder in den Masten beim Arbeiten. Da die Hängematten dicht an dicht aufgehängt waren, reichte es, die erste fest anzustoßen, diese stieß an die nächste etc. Der Letzte stieß gegen das Schott , die Wand. Manchmal wurde der Weckruf auch abgekürzt: „Reise, reise, reise, raus aus der Scheiße!“ Wer da nicht gleich aus der Koje sprang, kriegte Ärger. Waschen, anziehen, Betten bauen, Kammer aufklaren. Sieben Uhr antreten zum Rapport, halb acht Frühstück, acht Uhr Unterricht.
Bootsmann Papendieck
Der theoretische Unterricht fand vormittags statt. An Stoff mangelte es nicht. Von Schiffskunde ging es über Ladung zur Geographie, Sicherheit, Signalkunde , Morsen , von da zur Flaggenkunde und Klassifizierung. Alles, was mit der christlichen Seefahrt zu tun hat, wurde behandelt. Für mich war alles völlig neu, und ich langweilte mich nie.
Dreimal die Woche war Bootsmanöver. Dazu ging die ganze Wache zum Hafen am Ufer der Oste. Der bestand aus einem hohen, hölzernen Steg, auf dem die Rettungsboote hingen, und einer betonierten Rampe, auf der man die Dinghis zu Wasser lassen konnte. Dies waren kleine Holzboote, worauf man auch ein kleines Segel setzen konnte. Wir benutzten sie hauptsächlich, um Wriggen zu lernen, sich mit einem einzigen Ruder am Heck vorwärts zu bewegen. Das bedarf großer Geschicklichkeit. Durch meine Kindheit am Wasser konnte ich das schon, und ich war stolz darauf, den anderen mal etwas zeigen zu können!
Unsere Hauptaufgabe war, die Prüfung zum Rettungsbootsmann vorzubereiten und zu bestehen. Das bedeutete erst mal, mit allen Handgriffen vertraut zu werden, um ein Boot zu Wasser zu lassen. Und dann in einer Gruppe die Leute einzuteilen und die Kommandos zu geben, um das Boot schnell und sicher einsatzbereit zu haben.
Am Hafen
Im Unterricht hatten wir schon von den verschiedenen Davits arten (Rettungsbootsaufhängungen) gehört. Hier waren sie vor uns. Einer der zwei Kutter hing in einem Spindeldavit , der andere in einem Schwerkraftdavit . Es gab noch eine dritte Art, die wir hier nicht besaßen, den Schwingdavit . Diesen findet man nur noch auf alten Segelschiffen. Sie bestehen aus zwei drehbar auf Deck befestigten galgenförmigen Armen, an denen an Taljen (Seilzügen) das Rettungsboot überm Deck hängt. Durch Vor- und Rückwärtsschieben des hängenden Bootes kann man diese Davits außenbords schwenken, um das Boot zu Wasser zu lassen. Da diese Art langwierig ist und bei Schlagseite schier unmöglich (Untergang der Pamir), ist auf Neubauten nur noch der Schwerkraftdavit erlaubt.
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