„Moin Moin, will nicht stören“. Der Erste Offizier tritt ein. Er wendet sich an den Bootsmann: „Bäume auftoppen an Luke 3 und 5, Sonnenstrahler (Scheinwerfer) anbringen! Abends 18 Uhr Auslaufen . Kein Landgang!“ Fiete entrüstet sich: „Ich muss aber an Land. Hab hier 'ne Oma, die liegt flach, muss ich dringend besuchen!“ „Wie alt ist sie denn, deine Oma?“ „Dat weiß ich nicht so genau. Vielleicht 30.“ Alles grölt. „Na dann such dir noch 'ne zweite, dann stimmt das Alter wenigstens.“ Im Schlepptau eines anderen Kadetten gehe ich zum Deckshaus von Luke 2. Darin liegen auf weggeschossenem Tauwerk mehrere fast 60 Zentimeter breite Scheinwerfer. Ich versuche, einen durch den Niedergang hinab in den Laderaum zu schaffen. Zu eng. „Das machen wir anders: Du steigst hinunter, und ich lasse sie von oben in die Luke hinab.“ Ich zwänge mich in den engen Schacht und hangele mich an der senkrechten Leiter ins fast dunkle Zwischendeck. So langsam beginne ich die Anatomie des Schiffsbauches zu begreifen. Die Zwischendecksluke war offen geblieben. Nur nicht zu nahe ran, denn der Unterraumboden ist wohl 10 Meter tiefer. „Geh auf die vom Kai abgewandte Seite!“
Er lässt die Lampe am Kabel herab. Das Bändsel, mit dem der Scheinwerfer befestigt wird, hat er mit einem Stopper-Stek am Kabel befestigt, damit dieses nicht aus der Lampe gerissen wird. Muss ich mir merken! „So, nun befestig das Ganze an einem der Augen und hänge alles nach unten.“ Oben stecken wir die Stecker in die 110 Volt Gleichstromdosen und schrauben sie fest. Es wird taghell in der Luke. „Verdammt! Da ist noch eine Brook mit Dreck drin. Die muss der Meister (Kranfahrer) vor dem Laden noch an Deck setzen!“ Die Lampen verstrahlen eine wohlige Wärme. Wir nutzen das aus und legen unsere verfrorenen Hände auf den staubigen Lampenschirm. „Was steht ihr da 'rum, faules Rattenpack! Los! Liegt genug Arbeit an! Soll ich denn alles selber machen!?“ Zum Glück sind wir zwei Neue; da kann der Scheich wenigstens nicht immer hinter mir stehen, denke ich. Bald geht dann der Ladebetrieb los, was uns direkt nur wenig betrifft. Das ist Sache der von Land gestellten Arbeiter, der Schauerleute (manipulieren die Waren), Lukenfietzen (geben mit Handzeichen dem Kranfahrer Anweisungen), Tallymänner (zählen die Güter). Auch auf der Pier ist reges Treiben. Güterwagen werden rangiert, Paletten oder Brooks beladen, Gabelstapler fahren inmitten des Ganzen ihr Wettrennen. Anweisungen hallen von Deck an Land und vermischen sich mit dem Geruch der in den Schuppen gelagerten Güter. Wir schuften bis sechs Uhr, dann ist Ausscheiden (Feierabend). Wir fallen in die Kojen.
Nur für Sekunden, so scheint es mir, als wir um halb acht wieder geweckt werden. Zuerst liegt mal Frühstück an. Ich gehe dem Backschafter etwas zur Hand. Sogar wenn der Chef nicht mit der Zubereitung des Essens folgen kann, ist es immer der Backschafter, der angeraunzt wird. Mit dem Chef traut sich niemand anzulegen. Wer das macht, der riskiert, dass ihm der Koch das nächste Mal unter das Schnitzel spuckt, klärt man mich auf. Das ist gerade das Frühstücksgespräch. Jürgen, so an die 30, gibt seine Geschichte zum Besten: „Als ich noch Moses gewesen bin, damals auf der Windhuk, hatten wir einen völlig beknackten Ersten Offizier. Vor allem einen bestimmten Matrosen hatte dieser immer auf dem Kieker. Nachdem es wieder mal heiß hergegangen war, wurde dieser nachts zum Kaffeekochen geschickt. Bevor er den Kaffee auf die Brücke brachte, rotzte er in die Tasse des Ersten und rührte das Ganze mit Milch und Zucker unter.“ „Ne schöne Sauerei!“, wirft einer ein. „Was ist 'ne Sauerei?“, fragt ein anderer. „Na, so'n Ersten zu haben!“ Alles lacht. „Hei lücht!“ Kommt es aus einer Ecke. „Ich schwöre!“ erwidert Jürgen. Schweigen. Jeder geht seinen Gedanken nach. Vielleicht werden die Matrosen uns ab jetzt etwas respektvoller behandeln, denke ich. Wir sprechen über den weiteren Fahrplan. Nach Bremen soll noch kurz Rotterdam und Antwerpen angelaufen werden. Maschinen oder deren Teile kommen in riesigen Kisten an Bord. Beschriftet auf allen Seiten mit TOP, NO HOOKS, FRAGILE. Bestimmungshafen Abidjan, an der Elfenbeinküste. Weiterhin übernehmen wir etliche Unimogs, militärfarben. So insgesamt 1500 Tonnen Ladung sind für Westafrika vorgesehen. „Da wird’s in der Biskaya rund gehen...“ Was haben die immer mit ihrer Biskaya, denke ich.
Wir lassen Hoek van Holland achteraus. Der Lotse ist von Bord. Bald der Englische Kanal. Wir begegnen vielen Schiffen. Wir sind nicht allein auf dem Meer. Vor allem nachts, wenn man den Radarschirm betrachtet, da wimmelt es nur so von grünen Glühwürmchen. Das sind die großen. Die aus Metall. Die aus Holz sieht man nicht, ebenso wenig die aus Polyester, es sei denn, sie besitzen einen Radarreflektor . Die Natal ist ein ganz normales Stückgutschiff , aber zugleich auch Ausbildungsschiff . Wir Junggrade gehen Wache. Dabei kommen wir mit vielen Dingen in Berührung, die einem Decksjungen sonst lange unbekannt bleiben. Oft ist es auch unsere Neugier, die bewirkt, dass man uns Dinge zeigt, die selbst einem Matrosen fremd sind. Die Nächte auf der Brücke können lang sein, vor allem, wenn man müde ist. Und um sich gegenseitig wach zu halten, spricht man mit dem anderen.
In der Biskaya
Am gefährlichsten sind die Fähren , die Fischer (beim Fang) und die Segler . Die haben immer Vorfahrt. Da heißt es, deren Geschwindigkeit abschätzen, deren Kurs , um früh genug das Ausweichmanöver einzuleiten. Klar, dass dies nicht meine Sache ist. Ich leihe nur meine Augen aus. Manchmal ist ganz schön Hektik auf der Brücke. Dann bleibe ich besser in der Nock . Oder kümmre mich um den Kaffee, damit die Stimmung entspannter wird. Ich bin zur Abendwache eingeteilt, die 8/12 Wache. Um 6 Uhr ist Feierabend an Deck. Um 8 Uhr muss ich auf der Brücke sein, bis Mitternacht. Mit Schmidchen und Fiete, einem Matrosen. Und Teuber dem Dritten Offizier. 20 Minuten vor Mitternacht wecke ich die neue Wache, die vom Deck und den Offizier. 10 vor 12 nachsehen, ob alle auf sind, Kaffee in der Messe bereitstellen und wieder auf die Brücke. In der Maschine tut sich dasselbe. Nur, dass dort der Assistent die anderen weckt. Langsam lebe ich mich ein.
Einmal die Häfen und das Land hinter uns, wird alles ruhiger. Im Englischen Kanal und der Biskaya verbringe ich die Ausguckzeit hinter den Windabweisern auf der Nock, die Hände fest um eine Mug mit heißem Tee, gemäß unserer Devise, immer etwas in der Hand zu halten. Ich habe schnell gemerkt, dass Kaffee nicht meine Sache ist. Ich ziehe Schwarztee vor. Solange der zu heiß ist, atme ich den aromatischen Duft ein. „Gehört in Tee nun auch eine Prise Salz?“, geht es mir durch den Kopf. Müsste ich mal versuchen. Mit dem Risiko, dass man mir das Gesöff ins Gesicht schüttet. Oder doch lieber nicht. Die Engländer haben das bestimmt schon versucht... Dann schlürfe ich ihn genüsslich in kleinen Zügen. Um zu genießen, muss man Zeit haben. Da, an Backbord ein Licht. Ich melde es und hole zugleich das Fernglas aus der Brücke. Es ist ein grünes Licht, und dahinter, etwas höher, ein weißes. „Das ist ein Mitläufer “, klärt mich der Wachhabende auf. „Man sieht seine Steuerbordlaterne und darüber das Topplicht . Ein einziges Topplicht heißt, dass es ein Schiff mit unter 45 Metern Länge ist. Also ein Kümo (Küstenmotorschiff) oder ein Fischer. Auf jeden Fall maschinengetrieben. Segler haben kein Topplicht. Nur Seiten- und Heckleuchte. Keine Gefahr im Augenblick. Trotzdem im Auge behalten, und beobachten, ob er sich nähert oder den Kurs ändert. Nach einer Stunde haben wir ihn weit hinter uns zurückgelassen. Die Offiziere sind bessere Lehrer als die Matrosen...
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