Am Peilkompass
Lange schwarze Nächte, voll von so vielen blinkenden Sternen. Es heißt, dass man auf See auch Sterne sieht, die hinter dem Horizont liegen, durch Spiegelung an der Atmosphäre. Der große Wagen rückt immer weiter weg, der Nordstern, mein Orientierungspunkt seit meiner Kindheit, berührt bald den Horizont. Ich betrete eine neue Welt. Und als mir der Wachhabende das Kreuz des Südens über dem südlichen Horizont zeigt, sind wir schon querab von Dakar. Ich bemerke ein Leuchtfeuer an Backbord und melde es. „Cap Verde“, sagt der Offizier und nimmt mich zum Peilkompass in der Nock. Er erklärt mir nochmals die Handhabung, lässt mich peilen und den Winkel ablesen. Dann gehen wir in das schwach erleuchtete Kartenhaus und übertragen den Winkel auf unsere eingezeichnete Kurslinie auf der Seekarte. „Genau da sind wir!“
Auf der Karte bemerke ich kleine Kreise, die auf unserer Kurslinie eingezeichnet sind. „Was bedeuten diese Kreise hier?“, frage ich ihn. „Das sind unsere Standorte zu Sonnenaufgang, Mittag und Sonnenuntergang, wenn mit mehreren Sextanten die Winkel bestimmter Gestirne gemessen werden. Die Entfernung vom Mittagsstandort gestern bis zum heutigen heißt Etmal .“ Er telefoniert zum Kapitän, dessen Wohnung unter der Brücke liegt. Dieser kommt bald herauf, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Er hantiert mit einem Zirkel auf der Karte. „Wenn das Feuer 2 Strich achteraus liegt, Kursänderung auf 175 Grad! Und gut Ausschau halten! Es befinden sich viele unbeleuchtete Fischerboote in dieser Gegend.“ Das Radargerät lief schon seit ein paar Stunden, wie immer in Küstennähe. Auf dem Radarschirm kreist der grüne Radius und hinterlässt manchmal nachleuchtende Punkte, die aber bei der nächsten Umdrehung nicht mehr erscheinen. Es sind Parasiten oder Reflexe von Wellen.
Trotzdem gehe ich wieder in die Nock, mit geschärften Sinnen. Irgendwas ist anders als sonst... Die Luft riecht anders! Nach Land. Afrika! Gegen Wachende entflammt sich der östliche Horizont in einem enormen Feuerwerk. Blitze zerteilen die Tropennacht in skurrilen Bahnen. Manchmal fährt einer ganz hoch hinauf, um den schweren Himmel mit der Energie der Erde zu befruchten... Am nächsten Morgen ist das Meer spiegelglatt. Nur eine weitläufige Dünung wiegt unser Schiff ganz langsam auf der ölgleichen See, die verlaufenen Zeugen eines Orkanes an einem anderen Teil der Welt....
Ich sitze in einem Bootsmannsstuhl. Nicht in der Messe. Da hätte man mich schon längst hinausgeschmissen. Oben in der Luft zwischen Masttop und Ladebaumende. Besser gesagt, ich hänge und sitze. Auf einem 60 Zentimeter langem Brett, in dessen 4 Ecken Tampen befestigt sind, die nach oben spitz zusammenlaufen und ein Auge bilden. Dieses Auge ist mit einem Schäkel (U-förmiges Metallteil, das an der offenen Seite mit einem Bolzen geschlossen werden kann) auf dem Hanger (Stahltau, hält den Ladebaum) gleitend befestigt. An diesen Schäkel ist mittels zweier halber Schläge (Knoten) ein Ende (Tau) gebunden, welches oben am Mast durch einen Stertblock (Rolle) geschoren (geleitet) hinab zum Deckshaus geht. Dort hat es ein Matrose, genau gesagt Rudi, um eine Leitersprosse getörnt (gewickelt) und hoffentlich auch mit mindestens einem halben Schlag (einfachster Knoten) gesichert. Was ich da oben mache? Ich labsalbe . „Laben und Salben hilft allenthalben!“ hatte Rudi vorher mit erhobenem Zeigefinger feierlich verkündet. Der weiß immer alles (besser). Ist ja aus Berlin. Kurz gesagt, ich konserviere die Hangertrosse gegen schädliche Einflüsse von außen, also Salzwasser. Außerdem wird sie dadurch etwas elastischer, denn die Salbe, mit der ich labe, ist Fett. Pferdefett, gut ranzig, und noch ein paar Zutaten, die ich nicht verraten darf. Jeder Bootsmann hat da sein Geheimrezept. Wir an Bord nennen das Affenfett .
Es soll Bootsmänner geben, die diese Handlung mit ganz normalem Schmierfett durchführen. Was für ein Sakrileg! Man erkennt, wir sind auf dem Weg dazu, einst richtige Seemänner zu werden! An meinem Stuhl ist mit einem aus der Kombüse stammenden Fleischerhaken ein Topf befestigt, in dem sich dieses heilige Salböl befindet. Mit einem Twist (Putzwolle) versuche ich, diese nach Kadaver stinkende, durch die Hitze verflüssigte Suppe, gleichmäßig auf dem Draht zu verteilen. Dabei läuft mir das Zeug die Arme runter und tropft mir von der Trosse in die Haare. Langsam fiert mich des Zimmermanns (Rudis Nachname) Sohn weiter, bis ich am Ladebaum ankomme. Dort winde ich mich aus dem Sitz und versuche, mich auf den flachliegenden Ladebaum zu setzen. All das mit fettigen Händen und in drei Metern Höhe. Stuhl ausschäkeln, Rudi holt die Lose weg, der Stuhl geht wieder nach oben. Ich versuche, mich mit den Händen hochstützend, wie Kinder beim Bockspringen, zum rettenden Deckshaus zurück zu gelangen. Rittlings auf dem Ladebaum sitzend, mit den Beinen das Gleichgewicht haltend. Dort, endlich wieder sicheren Boden unter den Füßen, atme ich erst mal tief durch. In diesem Moment taucht der Scheich über die Leiter auf dem Deckshaus auf. „Wat is denn dat?“, bellt er. „Was hat denn der schon wieder“, denke ich, gelinde ausgedrückt. Ich stehe da, mit fettverschmiertem Oberkörper. Er zeigt auf meine Brust. Ich verstehe nicht. „Ist wohl ein Geheimsender?“ Jetzt klingelt 's bei mir! Er hat das Kreuz entdeckt, dass ich an einem Kettchen um den Hals trage! Es stammte aus Altötting, einem Wallfahrtsort. Alle brechen in schallendes Lachen aus. „Und wenn?“, entfährt es mir. „Lange genug herumgestanden“ sagt er, „los, Geheimsender, in den Mast, keine Müdigkeit vortäuschen, der nächste Hanger wartet!“ Jetzt habe ich meinen Spitznamen weg. Bin zur Taufe sogar gesalbt mit Affenfett!
Im Bootsmannsstuhl im Mast
„Du solltest mir dankbar sein, dass du labsalben darfst. Das ist der beste Sonnenschutz den es gibt. Schau Schmidchen an. Ist rot wie ein gekochter Krebs! Und wenn du jetzt an Land gingst, würden dir alle schwarzen Schönheiten hinterherrennen, glaub mir das!“ Beim Abendessen jedenfalls rücken erst mal alle weit von mir weg, weil ich so stinke. Nach so einem Tag sehnt man sich nach der letzten Ölung...
Von oben kommt bald die Order, dass wir alle beim Arbeiten Hemden tragen müssen und Kopfbedeckung. Aus dem Kabelgatt tauchen Tropenhelme auf, die wir, trotz unserer Proteste tragen müssen. Wir kommen uns lächerlich darunter vor. Wir sind doch nicht auf Safari! Während der Ausreise überholen wir das ganze Ladegeschirr. Wir zerlegen alle Blöcke , reinigen und fetten die Lager oder tauschen sie aus, wenn sie zu viel Spiel haben. Bald sehe ich einem Block von außen an, ob er Nadellager besitzt oder Kugellager oder nur Buchsenlager. Da gibt es welche, die haben einen Filzdocht, der geölt werden will, bei anderen befindet sich in der Scheibenrille eine Schraube, die man entfernen muss, um einen Ölvorrat einzufüllen. Die angenehmsten sind uns die mit Fettnippel. Die sind am einfachsten zu schmieren. Die Blöcke der Geien sind am kompliziertesten. Man legt sie besser an Deck ab. Mit einem Schraubenzieher entfernt man seitlich zwei aufgenagelte Bleche. Mit einem Bolzentreiber schlägt man die Achse heraus, reinigt sie, möglichst auch die Bohrung der Bronzescheiben. Dann mit Molykote (Spezialfett auf Molybdänsulfidbasis) einschmieren und den ganzen Schitt wieder zusammentüddeln. Das verlangt viel Gefühl, da sie oft 3 bis 4 Scheiben besitzen. Zu unserem Glück hat alles irgendwann ein Ende. Und beim Schiff heißt das Heck. Dort angekommen, gab es nur noch die Vermessungsluke, und die besitzt keine Bäume. Erst mal ein Bier und sich in den Schatten verpissen. Der Erste Offizier schmeißt 'ne Runde, noch nie dagewesen! Dann alle unter die Dusche und verfrühter Feierabend.
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