Wir sind die Grössten /1938
Die Rückkehr ins Studentenleben ist für Willi nicht einfach. Nach einem Monat ist es bereits wieder zu Ende. Den Studenten werden Aufgaben zugeteilt, welche sie zu Haus selbstständig bearbeiten können und anschliessend zu einem Bericht zusammenfassen müssen. Dieser Bericht wird entscheiden, ob es im Frühling, mit dem Studium weiter geht.
Bereits Ende September trifft Willi wieder in Worms ein. Er geht selten in eine Kneipe. Die meisten Leute sind zu Arbeitseinsätze eingeteilt. Gemeinsam isst Familie Wolf das Abendessen. Willi hilft der Mutter beim wegräumen, dann geht er auf sein Zimmer und arbeitet an seinem Bericht weiter. Er ist nicht sicher, ob er das richtige Thema gewählt hat, alle reden vom Krieg und er untersucht die Möglichkeiten, einer zivilen Fliegerei.
Seinen vierundzwanzigsten Geburtstag feiert Willi nur mit der Familie. Die Freunde sind entweder in der Wehrmacht oder im Arbeitsdienst. Es wird eine kurze Feier. Mutter Rosa kocht Willis Lieblingsgericht, obwohl es bei gewissen Zutaten schwierig war, sie zu beschaffen.
Jemand hat Willi bei der Stadtverwaltung gemeldet jetzt muss auch er zum Arbeitseinsatz in die Lederfabrik. Vater und Sohn fahren jeden Morgen gemeinsam zur Arbeit. Willi wird im Lager eingesetzt. Rosa leistet immer noch ihr reduziertes Pensum beim Nähen von Handschuhen.
Als das Radio berichtete, ein Jude hätte in Paris den Delegationssekretär Rath der NSDAP angeschlossen, schickte die SA ihre Männer los, welche grölend durch Worms und andere deutschen Städte zogen.
Zwei Tage später, das Radio hatte eben den Tod von Rath gemeldet, brennt die Synagoge in Worms. Das Feuer wird schnell entdeckt und kann gelöscht werden, später wird der Rabbiner verhaftet und die Synagoge erneut angezündet. Die SA steht diesmal bereit und verhinderte, dass das Feuer gelöscht werden kann. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder. Danach formiert sich die SA zu einem Saubannerzug und zieht plündern durch Worms. Alles was jüdisch aussieht, wird angegriffen. Diesmal machte der wütende Mob auch vor privaten Häusern der Juden nicht halt. Auf dem Platz vor dem Stadthaus werden sie zusammengetrieben. Einige werfen mit Abfall auf die verängstigten Leute, andere werfen mit Steinen, einige Juden bluten am Kopf. Ein SA Mann beginnt unter dem Jubel der Menge, mit einer Schere die Haare einer jüdischen Frauen abzuschneiden. Wer sich beklagte, wird brutal zusammengeschlagen.
Als Willi mit seinem Vater auf dem Platz vorbeikommt, meint er: «Jetzt bekommen sie ihre Strafe.»
Sie schauten noch eine Weile zu, dann fahren sie nach Hause. Am Radio wird berichtet, dass in ganz Deutschland die Synagogen brennen. Der Volkszorn entlädt sich nach dem feigen Anschlag in Paris. Jetzt geht es mit den Juden ab ins KZ. Sie haben es nicht anders gewollt. Meldet der Sprecher. Nun werden die Juden nicht nur boykottiert, jetzt werden sie eingesammelt und in Lager gesteckt.
«Ja endlich wird aufgeräumt», kommentiert Rosa die Meldung.
Drei Tage später erhält Willi einen Brief von der Wehrmacht. Mit einem unguten Gefühl öffnet er den Brief.
Umteilung
Wir informieren sie, Obersturmbannführer Wolf, dass eine Überprüfung ergeben hat, dass bezüglich des Ariernachweises Unsicherheiten bestehen. Unter diesen Umständen ist es nicht zulässig, dass sie weiterhin in der Luftwaffe ihre Wehrpflicht leisten können.
Bis die Unklarheiten beseitigt sind, werden sie zu den Panzertruppen umgeteilt. Die Unterlagen machen es erforderlich, dass sie einen Ausbildungskurs bei der Panzertruppe besuchen müssen. Der Kurs beginnt am 6. Januar 1939.
Sie haben sich am besagten Datum um sechs Uhr nachmittags, am Bahnhof in Lübeck einzufinden, dort werden sie abgeholt und auf den Truppenübungsplatz Putlos transportiert.
Willi kann nicht glauben was er da liest. Erst beim zweiten Mal durchlesen wird ihm bewusst, dass er jetzt wegen seiner Herkunft diskriminiert wird.
«Du schaffst das Junge», meint sein Vater, «immerhin haben sie dich nicht aus der Wehrmacht ausgeschlossen.»
«Ja, aber was soll ich bei den Panzertruppen?»
«Du musst deinen Dienst am Vaterland leisten», meint Vater, «Panzer ist auch nicht so schlecht und weniger gefährlich.»
«Da bin ich nicht so sicher, aber was bleibt mir anderes übrig.»
Es braucht einige Tage, bis sich Willi mit der neuen Situation abgefunden hat. Innerlich staut sich eine Wut auf alles Jüdische auf. Er wird es ihnen zeigen. Nur wegen den Juden ist er nun eine Deutscher zweite Klasse.
In Putlos ist es sehr schön, er war von Rostock aus, schon Mal mit dem Fahrrad dort entlang gefahren. Es liegt direkt an der Ostsee. Die Umgebung hat ihn an die Rheinauen erinnert, allerdings ohne Berge und statt des Flusses, gibt ist ein Meer.
Noch hat er ein paar Tage Zeit. Jetzt, da ein neuer Einsatz in der Wehrmacht ansteht, ist er vom Arbeitseinsatz befreit. Es macht wenig Sinn, den angefangen Bericht fertig zu schreiben, da dieser nach seiner Zeit in der Wehrmacht, eh nicht mehr aktuell wäre. Deshalb ist er viel in Worms unterwegs. Zudem hat die Begeisterung für die Luftfahrt stark abgenommen.
Auf seinen Streifzügen durch Worms bemerk er, dass viele Juden ihre Wertgegenstände verkaufen müssen, damit sie ins Ausland emigrieren können. Das ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, gute Geschäfte zu tätigen. Er bespricht das Geschäft mit seinem Vater.
«Du meinst», fragt sein Vater nach, «die Juden müssen ihre Wohnungen zu Geld machen. Ja das macht Sinn, die müssen weg, es könnte eh schon zu spät für sie sein.»
«Ich kenne einige Bekannte von Joshua, als junger Bursche waren wir oft bei ihnen. Jetzt könnte ich die Kontakte nützen. Nur ich habe kein Geld.»
«Du hast recht Wilhelm», bestätigt sein Vater, «wenn ich das Bankkonto auflöse, gäbe es uns genug Startkapital. Den Banken traue ich momentan nicht mehr, ich befürchte, dass die Nationalsozialisten, sich alles unter den Nagel reissen wollen.»
«Wir könnten ja unseren Schuppen aus der Zeit der Inflation wieder in Betrieb nehmen.»
«Gute Idee», sein Vater ist begeistert, «du hast anscheinend bei Goldberg einiges gelernt. Ich gehe morgen zur Bank und beschaffe Bargeld.»
Am nächsten Morgen macht sich Willi auf und besucht die erste jüdische Familie. Zum Anfang hat er einen Musiker des Wormser Orchesters ausgesucht.
«Darf ich eintreten», fragt Willi, als ihm die Türe geöffnet wird, «die Sache ist etwas heikel.»
«Treten sie ein», er tritt etwas zur Seite und macht Platz, dass Willi eintreten kann, «was gibt es so Delikates zu besprechen?»
«Ich wollte sie nur informieren, dass ich interessiert bin, Wertgegenstände zu kaufen, falls sie diese loswerden wollen, bevor sie die Nationalsozialisten konfiszieren, man hört so einiges».
«Das ist ein gefährlicher Vorschlag», er macht ein besorgtes Gesicht, «wenn die Na..., darauf kommen, wird es für Sie gefährlich. Bei mir spielt es keine grosse Rolle mehr, ich bin früher oder später eh dran, da mach ich mir nichts vor.»
«Die Gefahr besteht nur dann, wenn sie warten, bis die Na... wie Sie sie nennen, bei ihnen reinschauen, aber vielleicht haben sie die Möglichkeit, sich ins Ausland abzusetzen. Sie haben sicher gute Verbindungen.»
«Du rätst mir also zu verschwinden?»
«Wenn sie solche Pläne haben, können sie nicht alles mitnehmen, dann würde Bargeld sicher helfen.»
«Verfügst du über flüssige Mittel?»
«Ja, sonst würde ich Sie nicht besuchen, aber natürlich sind meine Mittel nicht unendlich, aber ich habe Bargeld, teilweise sogar Schweizer Franken.»
Der Start ist gemacht, jetzt werden einige grössere Wertgegenstände zusammengestellt, kleinere, also vor allem Schmuck, lassen sich gut in der Kleidung verstecken. Nach einer Stunde sind grössere Gegenstände, wie einige Gemälde, eine wertvolle Truhe und eine grosse Standuhr als Tauschobjekte zusammengestellt. Nun beginnt das feilschen um den Preis. Der Dirigent macht ein erstes Angebot. Willi rechnet, so wie er es einschätzt, verlangt er ein Zehntel des Marktpreises. Nach harten Verhandlungen, steht der Preis fest, er beträgt knapp drei Prozent des Werts.
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