Da es keine Neuigkeiten gibt, wurde ein Loblied für Mussolini angestimmt. Zwischen durch unterbricht der Reporter sein Loblied auf Mussolini und meldet die aktuelle Position des Luftschiffs, da keine aktuellen Daten vorliegen, hält sich der Reporter an den theoretischen Zeitplan, welcher Nobile ihm vor dem Start übergeben hat.
«Jetzt müssten sie am Nordpol sein!», verkündet der Reporter, «es ist der 24. Mai Ortszeit verkündet er. Am Pol kann man nur in Tagen rechnen, eine lokale Uhrzeit gibt es nicht. Die ändert je nachdem, auf welche Seite man sich vom Pol entfernt.»
Diese Aussage muss Wilhelm seiner Mutter erklären. Sie kann die Zusammenhänge nicht verstehen. Am Gymnasium hat der Lehrer das Thema Pole rechtzeitig in den Lehrplan genommen. Das Interesse der Schüler ist gross und er hatte wieder einige Stunden ohne grosse Vorbereitung. Er muss nur Zeitung lesen, was er ja sowieso machen würde.
«Jetzt müsste Nobile bereits auf dem Rückweg sein», verkündet der Reporter, ob das tatsächlich so ist, weiss er nicht.
Einige Stunden später klingt die Stimme des Reporters besorgt.
«Die Italia sollte jetzt zurück sein. Mit Verspätung muss man bei einem solchen Unternehmen rechnen. Die Expedition 1923 hatte auch Verspätung.»
Am 26. Mai ist es jedem klar, es muss etwas passiert sein. Nun melden auch die Zeitungen in grossen Buchstaben: «Wo ist Nobile, wo ist die Italia?»
Es gibt keine Neuigkeiten. Noch ist der Reporter auf Spitzbergen, doch er konnte immer nur das Gleiche berichten. Von Nobile und seiner Italia gibt es nichts zu berichten. Sie sind in der Eiswüste verschollen!
Am 2. Juni meldet sich der Amateurfunker N. R. Schmidt bei der schwedischen Zeitung: «Ich habe einen Funkspruch von Nobile Empfangen!»
Diese Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Europa. Die Italiener organisieren eine Rettungsaktion. Keine leichte Aufgabe. Es werden geeignete Flugzeuge gesucht. Inzwischen empfangen weitere Funkamateure das Signal und man kann daraus die ungefähre Position von Nobile berechnen. Inzwischen gibt es auch die ersten Informationen über die Situation der Überlebenden. Nobile ist verletzt und ein weiteres Mitglied der Expedition ist tot. Noch schlimmer! Sechs Mann wurden nach dem Absturz wieder in die Höhe gerissen. Nachdem zehn Männer und einiges Material, beim heftigen Aufprall auf dem Eis, aus der Gondel geschleudert wurden, war die Italia zu leicht und stieg mit grosser Geschwindigkeit in die Höhe, bis sie von Nobile Leuten nicht mehr gesehen wurden.
Der Funkkontakt muss auf ein Minimum reduziert werden. Die Batterien haben nur noch eine geringe Kapazität. Erst am 12. Juli kann der schwedische Pilot E. Lundgborg sein Flugzeug bei den Überlebenden landen. Er bringt Proviant und warmen Decken. Nur Nobile kann ausgeflogen werden, die restlichen Überlebenden müssen noch auf dem Eis ausharren. Ein russischer Eisbrecher kann sie schliesslich retten. Von der Italia hat man nie mehr etwas gefunden. Die sechs Abenteurer blieben für immer verschollen.
Die Ereignisse mit der Italia und Nobile haben für Willi positive Auswirkungen. Da er immer bestens informiert ist, steigt sein Ansehen in der Klasse. Dass dabei die enge Freundschaft zu Joshua etwas in den Hintergrund gerät, bemerkte er kaum. Er kann sich so für die Luftfahrt begeistern und dazu zählten auch die Luftschiffe.
Der schwarze Freitag /1929
Willi hat für seinen 14. Geburtstag Schulkollegen eingeladen. Joshua hat sich krank abgemeldet. Willi weiss nicht, ob er Willi ersparen wollte, dass mehrere Kollegen absagen, weil ein Jude eingeladen ist. Auf jeden Fall bekommt er dank der Absage von Joshua, keine Probleme. Er nimmt sich vor, ihn später einzuladen und nur mit ihm, Mutter und Gabi, zu essen.
Gabi hilft bereits am Donnerstagabend Rosa bei der Vorbereitung. Sie richten das Gartenhaus so ein, dass die Feier dort stattfinden kann. Rosa beobachtet die beiden Turteltauben mit einer Mischung aus Stolz und Eifersucht. Bei ihr und Franz war es nie so romantisch. Jedes Mal wenn sich die beiden näher kommen, streicheln sie sich, so ein richtig unschuldige Liebe.
Als Franz von der Arbeit nach Hause kommt, wirkt er nervös und schaltet sofort das Radio ein. Er hat in einem Telegramm aus Amerika gelesen, dass dort an der Börse einige Unruhe herrscht. Soll er die Aktien verkaufen? Noch hätte er einen kleinen Gewinn aufzuweisen, allerdings rät ihm sein Bankberater, nicht jetzt zu verkaufen, die Kurse gehen nur kurzzeitig runter.
Er vertraut seinem Berater, bis jetzt lag er immer richtig. Heute ist die Börse eh bereits geschlossen, er kann noch die ganz Nacht überlegen. Die Meldungen im Radio deuten nicht auf Probleme hin. So kann er nach den Nachtessen noch beim Fahrradhändler vorbei gehen und das Geburtstagsgeschenk für Wilhelm abholen. Ein solches Fahrrad hat Wilhelm noch nie gesehen, es hat fünf Gänge. Der wird Augen machen, ist Franz überzeugt. Als Wilhelm Gabi nach Hause bringt ist es günstig, er kann das Geschenk hinter dem Gartenhaus verstecken, eine Decke schützt es vor Blicken.
Noch bevor Franz am Freitagmorgen zur Arbeit fährt, weckt er seinen Sohn und führt ihn zum Gartenhaus.
«Herzlichen Glückwunsch zum 14. Geburtstag!»
Er zieht die Decke Weg und beobachtet Wilhelm, - seine Augen strahlen.
«Jetzt wo du vierzehn bist, kannst du nicht mehr mit dem alten Fahrrad zur Schule, der Händler hat mir versichert, dass es das Neuste auf dem Markt ist.»
«Danke!»
Mehr bringt Wilhelm nicht raus, er muss alles genau anschauen. Die fünf Gänge sind der grösste Luxus, aber auch der Sattel, der Gepäckträger und ein Schloss zum abschliessen gehören zur Ausrüstung.
«Darf ich mit ihm in die Schule?»
«Natürlich es ist deins, du kannst mit ihm machen was du willst», erklärt Vater, «so, ich muss zur Arbeit, heute Abend werden wir feiern, aber jetzt kannst du schon die erste Runde drehen.»
Franz verabschiedet sich und schwingt sich auf sein Fahrrad mit drei Gängen. Er hat auf dem Weg zum Stadthaus keine Steigung zu bewältigen, da reichen drei Gänge aus.
Im Stadthaus liest er die eingegangenen Telegramme durch. Letzte Nacht war in Amerika einiges los. Die Zahlen über das Wirtschaftswachstum vielen schlecht aus. Die Börse reagiert entsprechend. Er schaut auf die Uhr, die Bank ist noch geschlossen. Er ärgert sich, die ganze Woche schon hat er überlegt, ob er seine Aktien verkaufen soll, doch er konnte sich nicht entscheiden. Nun könnte es zu spät sein. Zum Glück haben sie jetzt im Stadthaus Telefonapparate. Zwei Minuten nach neun Uhr ruft er seinen Bankberater an. Der lässt sich entschuldigen, er sei in einer dringenden Sitzung.
Langsam begreift Franz, dass er ein grösseres Problem hat. Jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Nur, Franz sind die Hände gebunden. Ohne seine Bank kann er nicht verkaufen, er kann nicht selber an der Börse Aktionen auslösen. Er ahnt, dass er mit grossen Verlusten rechnen muss. Wie gross sie ausfallen, das weiss er noch nicht.
Kurz vor Mittag erreicht er endlich seinen Bankberater. Der informiert ihn, dass die Kurse um mehr als die Hälfte gefallen sind.
«Wenn du jetzt verkaufst», gibt er zu bedenken, «dann werden die Verluste noch grösser. Jede Aktie die auf den Markt zum Verkauf angeboten wird, drückt die Kurse weiter nach unten.»
«Du meinst, ich soll die Aktien behalten?»
«Im Moment ist es sehr ungünstig, zu verkaufen, glaube mir, das ist nur eine kurze Talfahrt, danach geht es wieder aufwärts.»
«Gut, ich vertraue dir», geht Franz auf den Vorschlag ein und legt auf.
Die Erholung lässt auf sich warten. In einer Woche hat er praktisch seine ganzen Ersparnisse verloren. In Deutschland bricht Panik aus. Die Arbeiter werden zu hunderten entlassen. Im Stadthaus ist die Stimmung schlecht. Die Beamten beobachten einander argwöhnisch. Jeder befürchtet, dass er als nächster entlassen wird. Dass es zu Entlassungen kommt, steht ausser Frage, es ist nur noch eine Frage der Zeit.
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