„Na, was habt Ihr Euch denn gekauft?“, fragte Otto eher, um die Frauen anzusprechen, denn aus wirklichem Interesse.
„Wir haben uns alle Blusen gekauft!“, antwortete Martha. Aber bevor die Frauen alle ihre Blusen auspackten und vorführten, erzählte Robert:
„Wir haben hier ernste Lebensprobleme gewälzt und über den Sinn des Daseins parliert“, er sagte wirklich „parliert“, was dem Gesagten einen ironischen Unterton mitgab. Nachdem sie noch eine halbe Stunde gemeinsam in dem Cafe verbracht hatten, zahlte Robert, und sie verließen das Cafe zum Damrak hin. Ganz gemütlich schlenderten sie nach Hause, sie liefen durch den Dirk-van-Hasseltssteeg und die Herenstraat, bevor sie in die Keizersgracht abbogen und wieder zu Goldschmids kamen.
Die Besucher packten schnell ihre Sachen zusammen und setzten sich mit allen zum Kaffee hin, den sie noch gemeinsam tranken, bevor sie zu Iris und Piet zum Essen gehen würden. Agnes hatte Stroopwafels auf den Tisch gestellt, an die sich die Kinder hielten, aber ihre Mütter sagten ihnen, dass sie vor dem Essen nicht zu viele davon in sich hineinstopfen sollten. Iris und Piet gingen früher zu sich nach Hause, weil sie das Essen vorbereiten wollten. Auf Werners Frage hin:
„Was gibt es denn bei Euch zum Essen?“ antwortete Iris ihm:
„Das wird nicht verraten, lass Dich überraschen!“ Die Alten legten sich bei Goldschmids wieder für eine Dreiviertelstunde hin. In der Zeit saßen die jungen Eltern auf der Terrasse und tranken Bier und Wein, die Kinder spielten im Haus.
„Am 20. April finden bei uns und bei Euch Landtagswahlen statt“, sagte Manfred zu Siegfried und sie unterhielten sich über ihre parteipolitischen Präferenzen.
„Wir sind in Essen alte Sozis und wählen aus Überzeugung sozialdemokratisch!“, sagte Manfred fest und Gerda antwortete:
„Es stimmt zwar, dass wir beide in einem sozialdemokratischen Elternhaus groß geworden sind, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob die SPD auch in Niedersachsen die richtige Partei ist!“ Dazu sagte Siegfried:
„Für mich steht fest, dass ich sozialdemokratisch wählen werde, alles andere würde gegen meine tiefsten Überzeugungen verstoßen.“
„Vermutlich werde ich mich Dir anschließen“, schob Gerda hinterher.
Als Bärbel nach eine Dreiviertelstunde zu ihnen auf die Terrasse gekommen war und mitbekam, worüber sie sich dort unterhielten, wurde sie ganz hellhörig, das war früher exakt ihr Thema:
„Ich werde bei der Landtagswahl SPD wählen!“, rief sie aus. Nach und nach kamen auch die anderen Alten hinzu, sie beteiligten sich aber nicht an dem Gespräch über die Parteien, sondern Agnes sagte:
„Nehmt Eure Jacken mit, wir müssen gleich zu Iris und Piet!“ Also standen sie alle auf, riefen ihre Kinder zusammen, nahmen ihre Jacken und gingen mit allen Alten vor die Tür. Sie hatten sich mit Piet und Max verabredet, die mit ihren Autos vorbeikamen und die riesige Gruppe transportierten, denn zum Laufen wäre es bis zu Iris und Piet zu weit gewesen, jedenfalls für die Kinder. Nachdem sich alle auf die Autos verteilt hatten, fuhren sie los und erreichten nach zehn Minuten ihr Ziel. Sie liefen ins Haus und begrüßten Iris, die gerade dabei war, die Tische zu decken. Die drei älteren Frauen halfen schnell mit, und als alles Besteck und Geschirr an seinen Platz gelegt war, setzten sie sich und Piet versorgte jeden mit einem Getränk.
„Du hast mich doch gefragt, was es bei uns zum Essen gibt“, sagte Iris zu Werner, „jetzt kann ich es Dir ja verraten, es gibt Schweineschnitzel mit Kartoffeln und Salat!“
Als Werner das hörte, war seine Freude groß, denn Schweineschnitzel gehörten seit jeher zu seinen Leibspeisen, und auch die anderen nickten erwartungsvoll und freuten sich auf das leckere Essen. Die Frauen trugen auf und stellten die Sachen auf die Tische. Sie saßen alle etwas beengt, was der Gemütlichkeit aber keinen Abbruch tat, im Gegenteil. Noch bevor sie anfingen zu essen, stand Piet auf, hob sein Glas und sagte:
„Ihr Lieben, nachdem es schon fast Tradition geworden ist, bei solchen Gelegenheiten wie unserem heutigen Essen ein paar Worte zu sprechen, möchte auch ich an diese Tradition anknüpfen und Euch alle bei uns willkommen heißen, ich hoffe, Ihr habt Hunger mitgebracht und wünsche Euch einen guten Appetit!“ Daraufhin stieß Piet mit allen an und jeder nahm im Anschluss ein Schnitzel auf seinen Teller, die Kinder verzichteten und nahmen nur Kartoffeln mit Soße und ein wenig Salat und sie waren schnell mit ihrem Essen fertig. Die anderen ließen sich aber Zeit und genossen die guten Schnitzel, immer wieder stießen sie miteinander an, bis alle Schnitzel, die Iris gebraten hatte, vertilgt waren. Die Männer hatten jeder zwei genommen und waren hinterher mehr als satt. Natürlich lobten sie Iris, und Iris hörte sich die lobenden Worte gern an. Zum Schluss brachte sie Obst mit Schlagsahne und als die Kinder das sahen, wollten sie gleich davon haben und streuten sich noch Zucker über ihre Obstportion, weil sie es nicht süß genug haben konnten, und von der Sahne ließen sie sich von ihren Müttern auch geben.
Piet bot nach dem Essen Schnaps an und alle Alten nahmen einen, er, Bärbel und Max tranken auch noch einen zweiten Schnaps. Als wollte Piet seinen Heimvorteil nutzen, kam er plötzlich auf Politik zu sprechen und behauptete frei heraus:
„Bei Euch in Westdeutschland stehen die Zeichen auf konservativ, und die CDU wird die Geschicke bei Euch lenken!“ Alle schauten sich an und waren von Piets unvermittelt vorgetragener These überrascht, aber Manfred erwiderte:
„Das kann man doch noch gar nicht sagen, wir haben doch erst am 20. April Landtagswahlen, und erst danach wird sich zeigen, welche Partei die Wahl gewinnen und die Landesregierung stellen wird.“
„Wenn der Trend, der sich bei der Kommunalwahl angekündigt hat, fortgesetzt wird, könntest Du vielleicht Recht behalten, aber ich wage noch keine Prognose!“, sagte Werner.
„Immerhin ist die kommende Wahl die erste, bei der die Parteien alten Typs wieder antreten dürfen, wobei die CDU eine echte Neugründung ist“, sagte Robert.
„Die CDU ist ein Sammelbecken für die alten Nazi-Eliten“, erwiderte Piet, „die hoffen, nach der Wahl wieder an die Macht zu gelangen, und ich bin davon überzeugt, dass ihnen das auch gelingen wird!“
„Ich finde, man muss sich die Parteien der Nachkriegszeit einmal genau ansehen, bevor man solche Pauschalurteile fällt wie Du, Piet“, konterte Bärbel mit einem Mal.
„Man muss doch sehen, dass sich die SPD nach jahrelangem Verbot nach dem Krieg neu konstituiert hat und ihr Vorsitzender Kurt Schumacher nach Ausgrenzung und KZ-Haft einen wirklichen Neubeginn will, ich weiß nicht, wer sich in der CDU gefunden hat, glaube aber, dass sie nahtlos an das Zentrum, die DNVP und die DVP aus der Weimarer Zeit anknüpft“, führte Robert aus.
„Das ist es doch, was ich meine“, entgegnete Piet, „sie ist ein Sammelbecken rechter Kreise und inwieweit sich auch alte NSDAPler in ihr aufhalten, liegt doch auf der Hand!“
„Mit Deinen Kommunisten will die SPD ja partout nichts zu tun haben, Kurt Schumacher scheut die KPD wie der Teufel das Weihwasser!“, entgegnete Manfred.
„Und das ist der große Fehler, den die westdeutschen Sozialdemokraten begeht“, antwortete Piet, „statt mit der KPD zusammenzugehen, wie das erfolgreich in der sowjetischen Besatzungszone vorgelebt wird, bestimmt Schumacher eine strikte Parteientrennung!“
„Ich denke, dass Schumacher dafür seine Gründe haben wird“, warf Otto plötzlich ein, „er hat sich einfach angesehen, was die Kommunisten in der Ostzone so treiben und daraus seine Schlüsse gezogen!“
„Die SPD besteht in diesem Jahr seit vierundachtzig Jahren und ist in ihrer Existenz durch Höhen und Tiefen gegangen, sie war in der Weimarer Zeit die Partei, die die Demokratie in Deutschland verankert hat, sie war während der Nazi-Zeit verboten und lebt jetzt gerade wieder auf, sie will als eigenständige Partei ihre Tradition fortsetzen und deshalb ermuntere ich Euch, wählt SPD!“, appellierte Robert.
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