Doris brachte zum Nachtisch eine Schokoladencreme und stellte dazu geschlagene Sahne auf den Tisch. Die Kinder waren längst aus ihrer Spielecke angelaufen gekommen und taten sich an der Schokocreme gütlich, sie nahmen jeder zwei Portionen - mit Sahne. Als sie mit dem Essen fertig waren, fragte Max noch einmal nach Schnapsgelüsten und in der Altenrunde nahm jeder noch einen, die Frauen Max Remy Martin und die anderen jonge Genever. Sie dachten an den schönen Tag in Zandvoort zurück, die Sache mit Daniel war längst in Vergessenheit geraten. Max hatte allen noch einmal Wein und Bier gegeben, stand auf und richtete ein paar Worte an den Besuch:
„Ihr Lieben, Doris und ich freuen uns sehr, dass Ihr alle hier bei uns zum Essen sitzt, wir sind beide sehr gern mit Euch zusammen und genießen Eure Anwesenheit, wir wünschen besonders Euch Deutschen alles Gute und Glück!“ Alle waren still, als Max redete, und sie hoben sogar die Hände und applaudierten, so angetan waren sie von den Worten von Max. Iris war eine Frau, die man leicht unterschätzte, zum Beispiel applaudierte sie nach dieser Kurzansprache von Max auch, aber nur sehr verhalten, während sich ihr Mann hervortat und laut klatschte. Dabei war Iris sehr beschlagen, sie war nur keine Frau großer Worte und konnte das, was ihr durch den Kopf ging, nur nicht immer angemessen ausdrücken. Sie stand auch im Schatten von Piet, der sie zurechtwies, wenn sie etwas Falsches oder auch nur Halbrichtiges sagte, und das ließ Iris auf die Dauer nur schweigen und zuhören.
Piet war in dieser Hinsicht sehr dominant und ließ das auch alle Beteiligten spüren, er dachte dabei aber nicht daran, sich selbst zu erhöhen, sondern er war wirklich nur daran interessiert, Probleme anzureißen und darüber zu sprechen, wenn ihm das auch nicht immer jeder abnahm. Er war bei politischen Diskussionen ein enfant terrible, aber das war ihm gleichgültig, es ging ihm nur um die Sache. Und wenn er auch an seinen Standpunkt nichts herankommen ließ, so unterhielten sich doch alle anderen mit ihm und achteten ihn als Gesprächspartner. Bärbel hatte früher immer auf Piets Seite gestanden, sie war seit jeher ein politisch stark interessierter Mensch. Die Intensität ihres Interesses hatte allerdings in letzter Zeit nachgelassen, Bärbel diskutierte aber immer noch gern und ausgiebig. Martha und Otto waren da eher zurückhaltend, man hatte bei den beiden Ostpreußen den Eindruck, dass sie nicht anecken wollten und deshalb nie Position bezogen. Im Übrigen musste man sie nach dem, was sie hinter sich hatten, auch verstehen.
„Was wollen wir denn an Eurem letzten Tag in Amsterdam unternehmen?“, fragte Agnes und niemand hatte so recht eine Antwort auf ihre Frage.
„Wir können den morgigen Tag doch einfach auf uns zukommen lassen und beim Frühstück entscheiden, was wir machen!“, schlug Bärbel vor. Damit waren alle einverstanden und sie verabredeten, sich erst einmal wieder um 10.00 h bei Goldschmids zu treffen.
Daraufhin gingen alle, die bei Agnes und Robert wohnten, denn die Kinder mussten ins Bett, und sie verabschiedeten sich und dankten Doris und Max für das herrliche Essen. Zu Hause in der Keizersgracht wurden die Kinder gleich hingelegt, allerdings musste Manfred noch eine seiner Geschichten erzählen. Er setzte sich auf Peters Bett und hatte alle Kinder an sich hängen und auf sich liegen, er musste sich auf die Schnelle etwas einfallen lassen, was ihm aber keine Probleme bereitete:
„Es war einmal ein Junge, der hieß Christoph und hatte an Ostern sehr starke Bauchschmerzen bekommen, weil er zu viele von seinen Süßigkeiten in sich hineingestopft hatte. Christoph war erst fünf Jahre alt, und seine Mutter wusste mit ihm nicht ein noch aus, bis sie mit Christoph einen Notarzt aufsuchte, denn an Ostern hatten die Praxen normalerweise geschlossen. Sie erzählte dem Arzt, was mit Christoph los war und der Arzt sagte Christoph, dass er sich auf seine Liege legen sollte und Christoph tat es, hatte dabei aber große Schmerzen. Der Arzt tastete Christophs Bauch ab und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen. Er verschrieb Christoph einen Abführtee, den er so heiß wie möglich trinken sollte, wenn er danach auf der Toilette gewesen wäre, sollten seine Bauchschmerzen verschwunden sein. Christophs Mutter lief mit ihrem Sohn zu einer Apotheke, die an Ostersonntag Notdienst hatte und holte den Tee, ihr Junge schleppte sich wie ein Häufchen Elend neben ihr her. Zu Hause legte sich Christoph aufs Sofa und seine Mutter bereitete eine ganze Kanne von dem Abführtee zu. Sie gab den Christoph zu trinken und der verbrannte sich erst einmal den Mund an der heißen Tasse, er trank den Tee aber. Nach der zweiten Tasse regte sich bei Christoph etwas, und er musste dringend zur Toilette. Als er nach einiger Zeit wieder zurückkam, lachte er über sein ganzes Gesicht, die Bauchschmerzen waren wie weggeflogen und er dachte schon gar nicht mehr an sie.“
Manfred stand auf und die Mütter legten jedes Kind in sein Bett, es musste nicht mehr vorgesungen werden. Manfreds Geschichte hatte die Kinder so müde gemacht, dass sie sofort einschliefen. Die jungen Eltern gingen wieder nach unten und setzten sich dort noch zwei Stunden mit den anderen zusammen.
„Die Puten bei Doris und Max waren wirklich ganz hervorragend!“, sagte Bärbel und auch Martha unterstrich, wie gut es ihr bei Doris geschmeckt hatte.
„Wir haben heute Abend gar nicht über Politik geredet“, sagte Werner und Robert entgegnete:
„Von mir aus muss das auch nicht immer sein, ich rede gern über Politik, aber man kann es meiner Meinung nach auch übertreiben.“
„Sollen wir Morgen nicht wieder in den „Bijenkorf“, und die Männer in eine Kneipe gehen?“, fragte Marga und alle überlegten eine Weile. Sie wollten sich aber in diesem Augenblick noch nicht festlegen und verschoben die Entscheidung darüber auf den nächsten Morgen. Sie unterhielten sich noch kurze Zeit über Belangloses und gingen gegen 22.30 h ins Bett.
Am Dienstag nach Ostern waren die Sinne wieder auf Alltag eingestellt, was den Holländern aber egal war, denn sie mussten ja nicht arbeiten. Die Deutschen aber dachten daran, dass sie noch diesen und den nächsten Tag frei hätten und danach wieder an ihre Arbeit müssten. Christine und Bernd müssten am folgenden Montag in die Schule, sie freuten sich beide darauf, sie waren noch nicht vom Lerntrott befallen, der ihnen geradezu beinahe die gesamte Energie rauben könnte, aber das müsste man erst noch sehen, wie sie sich gegenüber dem Lerndruck verhielten. Beim Frühstück war der Alltag wieder zu spüren, vorbei war die Zeit der Soleier und Süßigkeiten, es gab wieder Rührei mit Speck. Und als Piet und die anderen um 10.00 h eintrafen, ließ er sich wieder von Agnes einen Teller geben und aß davon. Aber wenn das alles war, worin sich die Normalität des Alltags abbildete, konnte jeder damit leben, und sie machten sich keine weiteren Gedanken darüber. Sie beschlossen am Ende, am letzten Besuchstag einfach loszulaufen und unterwegs zu entscheiden, ob die Frauen in den „Bijenkorf“ gingen oder nicht. Als sie beim Frühstück saßen, während die Kinder in der Spielecke waren, machten sie alle den Eindruck von zufriedenen und sogar glücklichen Menschen, denen es an kaum etwas mangelte.
Sie waren sich selbst dieses Eindrucks nicht bewusst, was vielleicht auch gut für sie war. Sie standen nach einer Stunde auf und liefen die Gracht entlang, das heißt, sie schlenderten mehr, als dass sie zielstrebig irgendwo hinliefen, denn die Kinder zwangen sie immer wieder zu Pausen, wenn sie Steine aufhoben und ins Wasser warfen. Es legte sich eine große Ruhe auf alle, als sie die Gracht entlang schlenderten, niemand redete groß, und alle genossen sie die milde Luft, die ihnen um die Nase wehte. Die Gedanken der Essener und Göttinger kreisten um den nächsten Tag, wenn sie wieder nach Hause führen und sich ihren Alltagsverpflichtungen widmen müssten, aber sie sahen das nicht als Belastung an, sondern freuten sich sogar darauf. Sie hörten die Glocken der Westerkerk schlagen, aber die jungen Eltern verfielen nicht in eine sehnsüchtige Erinnerung an alte Zeiten, sondern sie vernahmen den Glockenschlag als angenehmen Klang, dem sie gerne zuhörten, und der zu Amsterdam gehörte wie der Damrak oder der Leidse Plein. Als sie die Raadhuisstraatbrücke erreichten, bogen sie nach links in die Stadt ab und kamen schließlich auf den Damrak. Die Frauen sahen den „Bijenkorf“ und entschieden sich am Ende doch, in das Kaufhaus zu gehen und nach Sachen für sich Ausschau zu halten. Sie trennten sich von ihren Männern, die sie in drei Stunden im Bahnhofscafe treffen wollten und gingen in das Kaufhaus. Die Männer überlegten nicht lange und machten sich auf den Weg zum Bahnhofscafe, sie wollten Bier trinken, sich nicht besaufen, aber sich auch nicht zurückhalten.
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