1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Jetzt folgt ihm keines der Fahrzeuge. Er kann noch in seinem Rückspiegel sehen, wie sie beide langsam in Richtung Billstedt abbiegen, während er zur Autobahn hinauffährt. Er beschleunigt sein Fahrzeug mit aller Kraft auf 150 Stundenkilometer und fährt nun wieder gen Norden, zu seinem eigentlichen Ziel.
Die rappenden Gangster treten in seinem Ohr langsam wieder in den Vordergrund. Bis eben hatte er sie gar nicht mehr gehört, viel zu sehr hatte er sich auf das konzentriert, was seine Augen wahrgenommen hatten. Sein Puls schlägt ihm bis zum Hals. Er erhöht an seinem Lenkrad noch einmal die Lautstärke, streicht sich über die langen Haare. Seinen Blick richtet er auf den vor Feuchtigkeit dunklen Asphalt, über dem die Tropfen vorbeifahrender Fahrzeuge ständig wie ein feuchter Nebel schweben.
12
Vor dem Polizeistern in Alsterdorf scheint gerade die Welt unterzugehen. Starkregen und Hagel wechseln sich ab. Fingernagelgroße Hagelkörner landen auf dem Fenstervorsprung des zweiten Stockwerks eines Gebäudetrakts. Sie werden geistig abwesend von Dombrowski beobachtet, wie sie dort tanzen und springen.
Er hält noch immer den Telefonhörer ans Ohr und wartet darauf, dass sich Fred am anderen Ende der Leitung endlich meldet. Das Freizeichen ertönte bereits diverse Male und Dombrowski spielt mit dem Gedanken wieder aufzulegen, um es kurze Zeit später nochmals zu versuchen, als sich Fred endlich meldet.
«Diese verfluchte Freisprecheinrichtung... Hallo... hörst Du mich?»
«Klar und deutlich, mein Freund!», erwidert Dombrowski erleichtert.
«Wo ist er denn aktuell?», kommt Fred gleich zur Sache. Das System bei Dombrowski ist noch nicht ganz hochgefahren. Da hatte er wohl ein wenig voreilig angerufen.
«Wo seid ihr denn so gerade?», stellt er die Gegenfrage.
«Kuno kommt ja aus Hollenstedt. Der wohnt praktisch auf der Autobahn, daher ist er bereits kurz vor Bremen. Der schläft ja auch immer auf seinem Telefon und wartet geradezu nur darauf, endlich wieder sein Heim verlassen zu dürfen. Die Anderen sind alle auf dem Weg in Richtung Bremen. Ich hoffe, du hast Neuigkeiten. Hat er schon einmal telefoniert?», fragt Fred.
«Bislang noch nichts, kein Telefonat, keine SMS-Nachricht. Er hat auch keinerlei Internetverbindung. Die individuelle Gerätenummer von dem überwachten Telefon habe ich abgefragt. Sie steht für ein Billigtelefon, daher ist auch weder von Internettelefonie noch von irgendwelchen verschlüsselten Messengern auszugehen. Wäre natürlich super, wenn er sein Telefon noch einmal nutzen würde», erwidert Dombrowski, während er sich schnellstmöglich durch die Anmeldeprogramme klickt. Das Überwachungsprogramm der Telekommunikation öffnet sich und für Dombrowski ist sofort ersichtlich, dass er nicht übertrieben hatte. Der Nutzer hat keinerlei Telefonate oder Internetverbindungen geführt. Auch gibt es keine SMS-Nachrichten zu verzeichnen. «Die Geo-Daten befinden sich genau in Höhe der Anschlussstelle Bremen-Hemelingen. Seine aktuelle Geschwindigkeit werde ich jetzt noch einmal berechnen und dann melde ich mich wieder bei Dir.»
«Okay, dann sage ich Kuno, dass er sich beim Rastplatz Oyten platzieren soll. Von dort an werden wir versuchen, alle Rastplätze und Tankstellen abzudecken und herauszufinden, welche Autos mit den Geodaten des Handys an uns so vorbeirauschen. Dann rollen wir das Feld von hinten auf. Vielleicht fällt uns ja ein Holländer auf, der ins Bild passt.»
«Einverstanden, ich melde mich dann gleich wieder, sobald er kurz vor Oyten ist.»
«Bis gleich.»
Es klickt in der Leitung und Dombrowski legt den Hörer auf.
Otto steht bei Dombrowski im Türrahmen, hält seine Kaffeetasse in der Hand, zieht die Luft lautstark durch die Nase ein und fragt beim schweren Ausatmen: «Na, wie schaut’s aus?»
Dombrowski versucht derweil in Abgleich mit einer Navigationsapp Distanzen auf der Autobahn zu ermitteln und diese mit der hierfür benötigten Zeit abzugleichen.
«130», murmelt er vor sich hin.
«Watt murmelst Du da?», fragt Otto irritiert.
«Der Holländer kommt mit 130 Sachen auf der A1 nach Hamburg, warte ich muss Fred anrufen, der ist schon in knapp sieben Minuten in Höhe Oyten», antwortet Dombrowski und drückt auf seinem Telefon die Wahlwiederholung ohne den Hörer abzunehmen.
«Na!», erklingt Fred aus dem Lautsprecher.
«In fünf bis sieben Minuten dürfte er bei euch durchs Bild fahren. Falls Kuno einen Holländer erblickt, dann soll er sich locker ran hängen.»
«Jo. Er geht einfach in vier bis fünf Minuten bei mäßiger Geschwindigkeit auf die Bahn und lässt sich von dem Kerl überholen. Vielleicht sieht er ihn ja», schlägt Fred vor. Bei ihm ist der laute Motor seines Dienstfahrzeuges deutlich zu hören. Zusätzlich rauscht der aufs Dach prasselnde Regen und die Scheibenwischer quietschen um die Wette.
Dombrowski kratzt sich am Dreitagebart und blickt auf den Bildschirm. «Ja, einverstanden. Klingt gut.».
Das Gespräch wird wieder abgebrochen. «Ich bin im Keller Luft schnappen, falls Du mich brauchst», schnauft Otto und verlässt den Türrahmen.
Langsam lehnt sich Dombrowski in seinem Bürostuhl zurück und fährt sich mit der Hand durch die halblangen Haare. Er kann aktuell kaum unterstützen, nur darauf hoffen, dass die Observationskräfte ein gutes Auge und glückliches Händchen haben. Dombrowski geht in den Technikraum und holt sich ein Funkgerät, um die aktuellen Standorte direkt an alle Observanten mitteilen zu können. Ein paar Minuten hat er noch, dann ist es soweit.
Auf dem Rastplatz in Oyten steht ein dunkler Kombi. Das Fahrerfenster ist halb geöffnet, trotz des unaufhörlichen Regens. Das Licht des Fahrzeugs ist an, der Motor läuft. Immer wieder sieht man eine helle Glut aus dem Fahrerfenster aschen.
In dem Fahrzeug sitzt Kuno. Kuno ist sein Arbeitsname in der Gruppe. Er ist bereits so lange dabei, dass er seinen richtigen Namen beinahe vergessen hat. Freunde außerhalb der Arbeit hat er sowieso keine. Er liebt seine Tätigkeit und ist fest davon überzeugt, dass er hierfür bestimmt ist. Kuno ist ein ehrlicher Arbeiter. Er hat keine Ambitionen, eine Führungsfunktion zu ergreifen. Er will lediglich die Bösen dabei beobachten, wie sie verbotene Sachen machen, um sie dann auf frischer Tat zu erwischen.
Er ist inzwischen 48 Jahre alt. Die Haare werden langsam grau, aber auf der Straße ist er auch weiterhin hellwach bei der Sache. Jedes vorbeifahrende Auto verfolgt er mit seinen Augen, auch wenn er weiß, dass er noch zwei oder drei Minuten warten muss, bis er losfahren soll. Dombrowski weiß was er sagt. Schon häufig hat er mit ihm zusammengearbeitet und meistens hat er Recht behalten. Kuno versteht nicht woher er das nimmt, denn mit Ermittlungen hat er nichts am Hut. Aber wenn er was gesagt bekommt, dann folgt er dem, was ihm gesagt wird und passt auf. Das ist sein Job, nicht mehr aber auch auf keinen Fall weniger. Er weiß, dass der Erfolg der Ermittlungen am Ende davon abhängt, was er sieht und dann den entscheidenden Personen mitteilt.
Er nimmt einen letzten Zug an seiner Zigarette und lässt sie aus dem Fenster fallen. Den Aschenbecher benutzt er nie in seinen Dienstfahrzeugen, denn Rauchen ist darin nicht gestattet. Den letzten Rauch pustet er durch den zufahrenden Spalt des Fensters.
Noch eine Minute bis er losfahren wird. Zunächst will er sich gemächlich seinen Platz auf dem rechten Fahrstreifen suchen, vielleicht auch auf der mittleren Spur und etwas schneller als die Lastkraftwagen unterwegs sein, um seinen unauffälligen, dauerhaften Aufenthalt auf der mittleren Spur zu rechtfertigen.
Die Digitaluhr im Armaturenbrett springt auf 06:28 Uhr. Es ist an der Zeit sich in Bewegung zu setzen und loszufahren, genau nach Plan. Kuno fädelt sich in den fließenden Verkehr ein.
Über Funk meldet sich Dombrowski und teilt mit, dass sich das Handy nun im Bereich des Rastplatzes Oyten befindet. Kuno weiß, dass diese Standorte gerade auf Autobahnen ungenau sind. Die Sendemasten reichen weit hier auf dem platten Land, aber eine Chance ist da. Gerade, wenn der Holländer einen Mietwagen oder ein Fahrzeug mit niederländischer Zulassung nutzt. Aber die nötige Portion Glück wird man brauchen.
Читать дальше