Cemal kommt dichter an den Geländewagen heran und sein Verfolger ist bereits fast auf seiner Höhe. Aus seiner rechten Jackentasche zieht er einen schwarzen Gegenstand, den er in seiner geballten Faust verbirgt. Stärker werdender Regen fällt auf sie nieder und das Licht der Laternen wirft sich annähernde Schatten beider Personen auf die hellgrauen Waschbetonplatten. Kurz bevor Cemal sein Fahrzeug erreicht, erhebt die Person den Gegenstand in seine Richtung, drückt drauf und öffnet damit die Zentralverriegelung des Fahrzeugs.
Cemal steigt auf der Beifahrerseite ein, während der Südländer den Fahrersitz besteigt. Nach kurzer Zeit setzt sich das Fahrzeug in Bewegung und biegt direkt ab in die Tiefen des angrenzenden Phönixviertels, wo es im Schatten der Häuser und der einsetzenden Morgendämmerung entschwindet.
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Mitten durch Hamburg-Horn dröhnt eine schwarz-matte Limousine mit wummernden Bässen über die Hauptstraßen. Nachrichten oder Verkehrsmeldungen wären in normaler Lautstärke in der getunten Limousine aufgrund der brummend-scheppernden Motorengeräusche sowieso nicht richtig zu verstehen gewesen. Daher ist es für Faruk auch keine Frage, dass er seine deutsche Gangsterrapmusik den örtlichen Radiosendern vorzieht. Zumal er sich eigentlich noch nie für Nachrichten jeglicher Art interessiert hat.
Er verinnerlicht lieber mit Inbrunst die egomanischen Texte, die das Leben als Straßenkriminelle heroisieren. Teilweise rappt er die ihm bekannten und verständlichen Passagen lautstark mit, streckt Daumen und kleinen Finger von der halb geballten Faust ab und klopft den Rhythmus der Bässe mit den mittleren Fingern auf das Lenkrad. Dabei wippt und nickt er mit dem Kopf, zieht die Oberlippe einseitig zur Nase und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine tiefe Falte.
In seiner roten Trainingshose vibriert sein Smartphone. Er hat es immer nur auf Vibration eingestellt, doch aktuell hätte er das Piepen für die empfangene Nachricht sowieso nicht vernommen.
Faruk löst die Faust und greift in die Tasche, während er auf die Auffahrt am Horner Kreisel zur A 24 fährt. Langsam zieht er das Telefon heraus und gibt Gas, wodurch er stark beschleunigt und in seinen weißen Ledersitz gedrückt wird.
Nachdem er den Standstreifen verlassen und auf die linke Spur gewechselt ist, schaut er auf das Display. Er sieht, dass er von Cemal eine Nachricht erhalten hat.
Er streift über das Display und gibt das Passwort in die kleine Tastatur ein. Hierbei blickt er mehrfach auf, um die nasse Autobahn im Blick zu behalten und nicht versehentlich in die Leitplanke zu fahren.
Die Kombination aus großen und kleinen Buchstaben sowie Sonderzeichen und Zahlen hat er mühevoll auswendig gelernt und kann sie inzwischen fast blind eingeben. Nirgendwo hat er dieses Passwort aufgeschrieben oder gespeichert und niemand würde es schaffen diesen Zugang zu knacken und somit an die Inhalte seines Handys gelangen. Lediglich zehn Versuche hat derjenige, der sich daran probieren würde, dann löscht sich das gesamte Mobiltelefon von alleine ohne eine Chance auf Wiederherstellung. Aber dieses Telefon würde er ohnehin niemandem in die Hände kommen lassen. Er führt es immer bei sich. Nur wenn er schläft, legt er es neben sich ab.
Mit einem Vibrieren öffnet sich das Betriebssystem und er kann im verschlüsselten Messenger die Nachricht von Cemal öffnen.
“ 5 Hasen für Viking, wie immer - 13 Uhr nicht später”
Faruk antwortet mit “ok” und aktiviert wieder den passwortgeschützten Sperrbildschirm. Das Handy lässt er mit zwei Fingern in seine Hosentasche gleiten, drückt noch einmal nach, dass es auch sicher sitzt und nicht rausrutschen kann und beginnt wieder im Rhythmus der Bässe auf sein Lenkrad zu Klopfen.
Die Strecke fliegt unter den breiten Reifen seiner Limousine dahin. An der Ausfahrt HH-Jenfeld setzt er den Blinker rechts, um von der Autobahn wieder abzufahren. Im Rückspiegel beobachtet er, ob es ihm jemand gleichtut. Der silberne Sportwagen direkt hinter ihm reagiert sofort und setzt den Blinker links, wechselt die Seite und überholt Faruk auf der linken Spur.
Der dahinterfahrende Van wird weder langsamer noch schneller. Er setzt keinen Blinker oder fährt dichter an den langsamer werdenden matt-schwarzen Wagen heran, den Faruk nun auf die Abfahrtsspur steuert. Auf der linken Fahrbahn kann Faruk eine silberfarbene Limousine erkennen, die zunächst auf die rechte Spur wechselt, den Blinker beibehält und mit ihm zusammen im Anschluss auf die Abfahrtsspur hinabfährt. In dem Fahrzeug kann er auf Grund der besser werdenden Lichtverhältnisse erkennen, dass sich darin ein Fahrer und eine Beifahrerin mit längeren Haaren befinden. Der Regen auf der eigenen Heckscheibe und der noch bestehende Abstand verhindern jedoch, dass Faruk die Personen genauer betrachten kann.
Am Ende der Abfahrt angekommen, setzt Faruk rechtzeitig den linken Blinker und hält an der roten Ampel an. Die ganze Zeit beobachtet er das Pärchen in seinem Rückspiegel. Nachdem er den Blinker gesetzt hat, beginnt auch die silberne Limousine nach links zu blinken und ihm in die linke Abbiegespur in Richtung Billstedt zu folgen. Sie kommt langsam und leise an sein Fahrzeug herangerollt und steht nun direkt hinter Faruk an der Ampel.
Die rote Ampel scheint grell in das Gesicht von Faruk, aber dessen Augen blicken nur in den Spiegel. Der Schein reicht ihm schon, um zu wissen, dass er noch nicht losfahren muss.
Unruhig betrachtet er das Pärchen im Fahrzeug hinter sich. Die Limousine ist klassisch von der Stange gekauft. Keine Extras, keine besondere Innenausstattung, eine Standardlackierung in Silber. Die Beifahrerin schätzt Faruk auf Ende zwanzig. Blonde Haare fallen unter einer dunklen Mütze heraus auf ihre Schultern. Das Gesicht wirkt attraktiv, ist durch Schminke zurechtgemacht. Sie schaut immer wieder zu ihm nach vorne. Manchmal hat er das Gefühl, dass sie direkt zu ihm in den Spiegel schaut. Anschließend sagt sie etwas zu ihrem Fahrer, ohne diesen hierbei anzuschauen. Der Fahrer hingegen ist ein grauhaariger Typ in den fünfziger Jahren. Vom Alter her könnte es ihr Vater sein, aber was machen die Beiden um diese Uhrzeit hier an dieser Stelle zusammen, wenn sie nicht wegen Faruk hier sind?
Der Fahrer schaut durchweg desinteressiert aus seiner Seitenscheibe die Straße hinab. Auch wenn die Frau zu ihm spricht, schaut er nicht zu ihr hinüber. Er scheint nicht einmal zu antworten. Hinter der silbernen Limousine hat sich inzwischen ein grauer Familienwagen platziert. Mehr kann Faruk nicht erkennen. Er wird durch den BMW komplett verdeckt. Nur das Dach kann er erkennen, aber mehr ist nicht zu sehen.
Der Fahrer schaut noch immer aus dem Seitenfenster hinaus, zeigt keine Regung, während die Beifahrerin Faruk direkt über den Spiegel in die Augen schaut. Nachdem sie Faruks aufmerksamen Blick bemerkt, starrt sie abrupt aus ihrem Seitenfenster. Beobachtet sie ihn oder will sie gar mit ihm flirten? Schaut der Fahrer vielleicht nur auf die Bäume und Büsche an der Straße, die von den Böen hin und her gewogen werden oder spielt er ihm das Desinteresse an Faruk und seinem auffälligen Wagen nur vor. Faruk ist irritiert, aber er glaubt nicht an Zufälle in solchen Situationen. Er macht lieber das, was er an dieser Stelle immer zu tun pflegt. Das rote Licht scheint noch immer auf sein Gesicht. Er konzentriert sich nur noch auf die Ampel. Er hat gesehen, was er sehen wollte, mehr braucht er nicht, um sich innerlich bestätigt zu fühlen. In dem Moment, wo auch das gelbe Licht auf sein Gesicht fällt, drückt er auf das Gaspedal, reißt den Lenker zum U-Turn herum und fährt mit quietschenden Reifen direkt wieder auf die Autobahnauffahrt zur A 24 hinauf. Hierbei schaut er genau auf die hinter ihm fahrenden Fahrzeuge und versucht sich die Insassen und Fahrzeuge so gut es geht zu merken, für den Fall, dass sie ihm heute nochmals begegnen oder auffallen sollten.
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