Endlich macht die Kaffeemaschine die letzten, glucksenden Geräusche und ich frage mich nicht zum ersten Mal, wieso wir so ein Oldschool Ding haben müssen. Wieso haben wir nicht so eine Siebträgermaschine? Wo man ordentlichen, starken Kaffee bekommt, der ein bisschen nach Italien schmeckt. Mom und Dad haben echt jeden Scheiß, der das Leben leichter machen soll. Saugroboter, Fensterroboter, Mähroboter, Alexa, und, und, und, aber die älteste Kaffeemaschine auf diesem Gott verdammten Planeten. Dabei schwärmen sie immer noch von unserer letzten Italien Rundreise, dem traumhaften Kaffee und demGelato. Aggressiv fülle ich meine Tasse randvoll mit diesem schwarzen Gold und verbrenne mir vor lauter Gier die Zunge. Ach was für ein Scheißtag! Wie soll der sich den bitte noch steigern?
Ich stelle die böse Tasse zur Seite und bekleckere mich prompt durch mehr Schwung, als ich mir selbst zugetraut hätte. Na toll, jetzt kann ich mich umziehen. Das war mein Lieblingsshirt verdammt. Das kommt davon, wenn man seinem Arm keine genauen Anweisungen gibt. Möglichst leise stapfe ich wieder in mein Zimmer und wühle mich durch meinen Kleiderschrank, bis ich etwas gefunden habe, das zu meinem Make-up, meinen Schuhen und meiner Tasche passt.
Frisch umgezogen und zurück in der Küche, sehe ich noch einmal zur Tasse und befehle ihr jetzt artig zu sein.
>> Keine Sauerei mehr, klar? <<
Soweit ist es schon gekommen, ich rede mit meiner Kaffeetasse.
Um mich wiederaufzubauen, setze ich mich wieder ans Handy und lese mir die Kommentare zu meinem letzten, eingestellten Buch durch.
Das hätte ich lieber lassen sollen.
Irgend so ein Idiot, der keinerlei Ahnung von der Story hat, macht meine Empfehlung total zunichte. Wahrscheinlich ist das so ein Analphabet, der sonst immer nur Comics anschaut, weil echte Bücher zu wenig Bilder haben.
Ich bin kurz davor, diesem Deppen eine gepfefferte Antwort auf seine bösartigen Worte zu schicken, als mein Blick auf die Zeitanzeige des Handys fällt. Vor Schreck wäre ich fast vom Stuhl gerutscht.
Verflixt, wo ist die Zeit geblieben? Ich lasse alles stehen, was mir mit Sicherheit eine Standpauke einbringen wird. Angeblich finde ich nie den Weg zur Spülmaschine. Ohne weiter nachzudenken, schnappe ich mir Handy und Tasche und stürme aus dem Haus. Im Laufschritt überwinde ich die Distanz zur alten Linde, an der meine Freundin schon nervös hin und her wippend, nach mir Ausschau hält.
>> Was ist denn mit dir passiert? Hast du verschlafen? <<
>> Schön wär’s. << japse ich nach Luft ringend.
>> Oje. So kannst du nicht zur Schule gehen, wir müssen dich erst noch ein wenig herrichten. << erklärt sie und drückt mich auf die Parkbank, vor dem Baum.
Soviel zu, kein Sport. Es ist 7 Uhr und wir haben bereits knappe 20 Grad. Das, zusammengerechnet mit meinem Tempo von eben, lassen direkt den Wunsch nach einer Dusche in meinem Kopf entstehen. Wahrscheinlich ist vom Schweiß mein ganzes Make-Up verlaufen und meine Mühe war umsonst.
>> Sieht es echt so schlimm aus? <<
Sie schüttelt stumm ihren Kopf und sagt mir so auch ohne Worte, welche Katastrophe sie vor sich sieht.
>> Ich mach das schnell, die zwei Minuten haben wir jetzt auch noch. <<
Sie zieht konzentriert ihre rechte Augenbraue nach oben, während sie bereits ihr Notfallkit aus der Tasche zieht. Ich bin echt nicht eitel, aber selbst ich habe soviel Stolz, dass ich nicht am ersten Tag einer neuen Woche, als Vogelscheuche in die Schule gehe.
Leicht verwundert, wie frisch ich aussehe nachdem sie ihre Arbeit getan hat, gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange.
>> Vielen Dank, was würde ich nur ohne dich machen? Mein Morgen hat ganz bescheiden angefangen. <<
Sie lächelt mich selbstbewusst an und hakt sich bei mir unter, während ich ihr auf dem restlichen Weg alles erzähle.
>> Na das heißt doch lediglich, ab jetzt kann es nur besser werden. <<
Ahh, Motivations-Tami ist am Start.
Genau zum Gong betreten wir unseren Klassenraum und sind überglücklich, Frau Doktor Specht unsere Klassenlehrerin in Mathe, Englisch und Französisch, nicht vorzufinden.
Es herrscht aufgeregtes Geschnatter und Carolin, meine Sitznachbarin, erklärt mir direkt was das zu bedeuten hat.
>> Wir bekommen gleich neue Schüler einer Austauschklasse, weswegen die Specht sich verspätet. << gackert sie beinahe hysterisch. Ich hoffe, sie wird nicht gleich anfangen zu hyperventilierten. Die freien Plätze sind in U-Form um die belegten Tische verteilt.
Alle wollen möglichst nah am Fenster sitzen und keiner in der ersten Reihe. Beim Gedanken, warum das so ist, überkommt mich sofort Mitleid, mit denen, die das Los treffen wird. Ich sitze in der letzten Reihe am Fenster. Frau Doktor Specht, ja sie besteht auf die volle Anrede, hat mich höchst persönlich auf diesen Platz verbannt. Eigentlich saßen Tami und ich zusammen, doch letzte Woche ist sie, nachdem ich ihr erzählt habe, wie Thomas in Chemie fast Herrn Schröder in die Luft gesprengt hatte, in einen hyänenartigen Lachanfall verfallen. Dieser verursachte zudem Tränen und zu allem Überfluss, die phänomenale Tatsache, dass sie vom Stuhl gefallen ist. Frau Doktor Specht ist bei dieser Vorstellung in erboste Schnappatmung geraten. Das hat uns Nachsitzen, einen Eintrag ins Klassenbuch und eine Zwangstrennung auf Lebenszeit eingebracht.
Mir macht es nicht so viel aus wie Tami, die regelmäßig bei mir abschreiben durfte, aber so ist es schon um einiges ruhiger.
Mit meinen schulischen Leistungen bin ich im Großen und Ganzen zufrieden. Zwar bin ich nicht gerade ein Überflieger, aber ich befinde mich im vorderen Drittel, das ist ein ganz guter Schnitt.
Die beiden Gründe, weshalb es gut ist nicht in der ersten Reihe zu sitzen, besonders bei den derzeitigen Temperaturen, heißen Herr Ostenwald und Frau Fischer-Brühl. Herr Ostenwald, unser Lehrer in Sport und Geografie, ist zwar schon etwas in die Jahre gekommen, aber sehr nett. Jedoch sind, zu unser aller Leidwesen, seine weniger hervorzuhebenden Attribute, seine stark ausgeprägte Schweißbildung und der damit einhergehende Geruch.
Es ist nicht übertrieben, wenn jemand meint, dass seine körperlichen Ausdünstungen vom letzten Knobi- Zwiebeldöner, Übelkeit verursachen. Je wärmer und je länger der Sportunterricht vorher war, um so intensiver ist das Aroma, welches er ausstrahlt. Vor 2 Jahren hat Angelika ihn gefragt, was er zum Frühstück isst und er sagte tatsächlich, er verspeise jeden Morgen eine rohe Zwiebel, die würde ihm Kraft bringen und ein langes Leben.
Ich denke, es ist nicht weiter erwähnenswert, dass sich auch das ein oder andere, unangenehme Lüftchen aus Herrn Ostenwald’s Körper bewegt, dass nichts mit seinem Schweiß oder Atem zu tun hat.
Bei Frau Fischer-Brühl, Lehrerin für Musik und Physik, hat man das Gefühl in einem fortwährenden leichten Sprühregen zu sitzen. Selbst in der zweiten Reihe, ist man vor der starken, lispelnden Ausdrucksweise, die Frau Fischer-Brühl an den Tag legt, nicht immer sicher. Aus diesem Grund hat die zweite Reihe auch ein Päckchen Kleenex vor sich stehen und leidet offiziell unter einem ganzjährigen Dauerschnupfen.
Je mehr ich an diese beiden Lehrer denke, um so größer wird mein Mitleid mit den Neuankömmlingen und um so glücklicher bin ich hier hinten, in Sicherheit und bei der Frischluftzufuhr zu sitzen.
Gerade überlege ich, welche Lehrer wir im Laufe des Tages haben, um mich entsprechend mental zu rüsten, als Frau Doktor Specht den Raum betritt. Es folgen ihr 10 junge Männer, die allesamt aussehen, wie Mitte zwanzigjährige Footballspieler. Mit den Jungs aus der Klasse haben sie optisch nicht viel gemein.
Angelika, Carolin, Bettina, Johanna und Tuilin gaffen die Neuankömmlinge mit geröteten Gesichtern an, als wäre ihre Lieblings-Boygroup eingelaufen. Meine Fremdschäm-Spannweite vergrößert sich gerade in unbekannte Weiten. Es fehlt nur noch, dass sie anfangen zu sabbern und um Autogramme betteln. An sechster Stelle steht Max, der nach einem kurzen Blick über uns alle, mir kurz zuzwinkert und dann bei Tamara hängenbleibt. Ich staune schon gar nicht mehr als ich die Typen von Samstagnacht als Nummer 7 und Nummer 8 ausmache. Nummer 9, der mich geradewegs ansieht, sorgt dafür das mir die Luft wegbleibt.
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