Sie sieht mich aus ihren rotgeränderten Augen, bittend an.
>> Schon gut. Wir verbuchen das einfach mal unter hormongesteuerte Verliebtheit. << sage ich und sie atmet erleichtert auf.
Sie erzählt mir, was ihr neuer Schwarm ihr bisher über seinen Auslandsaufenthalt gesagt hat. So erfahre ich überrascht, dass die beiden zwischen Verliebtheit und Zungenakrobatik doch noch recht viel miteinander gesprochen haben.
Er bleibt mit seiner Klasse ein ganzes Jahr bei uns und geht mit seinen Mitschülern, tatsächlich alles Jungs, ab morgen auf unsere Schule. Seine Klasse wird wohl auf unsere beiden im Jahrgang aufgeteilt. Da wir eher kleine Klassen haben, kommen wir mit der Anzahl von neuen Schülern vielleicht auf eine übliche Klassengröße.
Bisher hatte jeder das Privileg, mit nicht mehr als 10 Schülern pro Klasse, sich wie an einem Elite Collage zu fühlen. Sie sollen in diesem Jahr fließend Deutsch lernen und wir sollen vom Englischanteil profitieren. Mich würde ja echt mal interessieren, wer auf diese Idee gekommen ist. Sie klärt mich darüber auf, dass alle aus einem teuren Internat aus Schottland kommen, doch den Namen konnte sie sich nicht merken. Für sie war wichtig, dass anscheinend alle gut aussehen, zumindest nach Tami’s Maßstäben.
Ich befürchte, das gibt unter den Mädels an der Schule einigen Beef, bei so viel Testosteronüberschuss. Plötzlich fallen mir die grauen Augen wieder ein und ich schaue meine Freundin fragend an.
>> Sag mal der Typ, der sich gestern in der Warteschlange so rüde vor uns gedrängelt hat, ist nicht zufällig auch in der Klasse? <<
Ich kann sehen, wie es in ihrem Kopf förmlich zu rattern beginnt, als sie versucht sich zu erinnern.
>> Das weiß ich gar nicht, der war so schnell wieder weg. Gut möglich, aber ich habe ihn nicht noch einmal gesehen. <<
Irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass die grauen Augen, der breite Rücken meines ungewollten Retters und der Drängelfuzzi vom Eingang ein und dieselbe Person sind.
>> Hast du gestern zufällig jemanden mit grauen Augen gesehen? <<
Sie sieht mich mit einem schrägen, süffisanten Lächeln an, ohne zu antworten.
>> Gibt es endlich jemanden der dir gefällt? <<
Sofort verdrehe ich die Augen.
>> Nein, ich will es einfach nur wissen. Also hast du? <<
Immer noch ein wenig überlegen lächelnd, beginnt sie sich in Gedanken die Bekanntschaften und Gesichter des vergangenen Abends abzurufen, doch schüttelt nach einigen Augenblicken den Kopf.
>> Nein, ich glaube nicht, dass ich jemanden gesehen oder kennengelernt habe, sorry. <<
Auf dem Rückweg läuft sie neben mir her und fragt noch einmal spezifischer nach, was gestern passiert ist. Ich erzähle ihr von den grauen Augen und von dem Gefühl, beobachtet wurden zu sein.
Sie ist bestürzt über den angetrunkenen Jungen und das sie nicht bei mir war, um mir zur Seite zu stehen. Ich versichere ihr, dass es halb so schlimm war und der Unbekannte mich schließlich gerettet hat. Als wir bei mir Zuhause angekommen sind, überlegt sie gerade, ob der Alkohol daran schuld sei, dass ich mich nicht an ein genaues Gesicht zu den Augen erinnern kann und ich bereue ihr davon erzählt zuhaben.
>> Ja kann schon sein, dass ich einfach zu viel getrunken habe. <
Der Abend, verläuft Gott sei Dank unspektakulär und ich bin froh, als ich endlich allein in meinem Zimmer bin. Gerade als ich mir noch mein Outfit für den nächsten Tag raussuche, klopft es an der Tür.
>> Oh. <<
Meine Mom steckt überrascht ihren Kopf in mein Zimmer und sieht mich an.
>> Willst du schon schlafen gehen? Ich dachte, wir machen es uns noch ein wenig gemütlich. <<
Verwundert über dieses Harmoniebedürfnis lehne ich ab.
>> Tut mir leid, ich bin total erledigt und wollte heute früh zu Bett. <<
Mom sieht im ersten Moment ein bisschen enttäuscht aus, setzt aber sofort ein fürsorgliches Lächeln auf.
>> Das verstehe ich, Schatz. Aber es ist doch alles in Ordnung bei dir, oder? <<
>> Klar Mom. Alles Bestens. Wie gesagt, ich bin nur müde. <<
Sie schaut mich noch einmal prüfend an, nickt dann aber.
>> Ok, aber du weißt, wenn irgendwas ist, kannst du jederzeit mit mir reden. Schlaf schön Liebling. <<
Völlig verwirrt schaue ich auf die geschlossene Tür, was war das denn? Meine Mutter ist manchmal sonderbar. Manchmal ist sie besonders gefühlsduselig, aber so etwas kam meiner Erinnerung nach noch nie vor. Ob Dad ihr doch etwas von meinem Streit mit Tami erzählt hat?
Ich lege mich hin und versuche mein Gedanke abzustellen, doch natürlich gelingt mir das nicht. Erst überlege ich, wie ich mich fühlen würde, wenn jemand so reagiert wie Michael. Hätte ich mit ihm Schluss gemacht, hätte er dann genauso reagiert? Irgendwie komme ich nicht auf den Gedanken, den er haben musste, um so cool mit der Situation umzugehen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Geschichte mit Tamara, Max und Michael einfach zu glatt abgelaufen ist. Das mit Max kann ich auch noch nicht richtig nachvollziehen. Klar, Liebe auf den ersten Blick. Meinetwegen, aber es kann einen doch nicht so erwischen, oder? Und dann ist da immer noch dieser Fremde mit den grauen Augen.
Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass ich sie mir nicht eingebildet habe und alle drei Ereignisse von Gestern eine Person ergeben. Doch wie sieht er aus? Und warum sollte er mich beobachten?
Was stimmt nicht an dieser Geschichte?
Als ich die Lider schließe, schlafe ich mit dem Bild der grauen Augen vor mir, unvermittelt ein.
4.
Als ich erwache, ist der Tag noch lange nicht angebrochen und ich fühle mich wie erschlagen. Ein Blick auf mein Handy lässt meine Laune auch nicht steigen. Die Anzeige demonstriert mir, dass ich über 1 Stunde zu früh wach bin und ich fühle mich direkt noch müder als zuvor. Jeder Versuch, noch einmal einzuschlafen, schlägt fehl. Schlussendlich stehe ich frustriert auf und ziehe mich an. Das einzig Positive an der Sache ist, dass ich mehr als genug Zeit habe, um mich für meinen ersten Schultag der neuen Woche fertig zu machen.
Ich setze mich also vor meinen Schminktisch und sehe dem Grauen ins Gesicht. Oje, ja das ist das Grauen. Ich werde viel Concealer und Kaffee brauchen, um nicht auszusehen wie ich mich fühle.
Bei jedem Schritt muss ich meine Finger und Arme überreden ihre Arbeit zu machen und so brauche ich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mein Spiegelbild endlich einigermaßen akzeptabel finde. Ich kann von Glück reden, dass ich heute nicht direkt Sport habe und mein Make-up damit ruiniere.
Fertig gestylt, schnappe ich mir meine Tasche und begebe mich in die Küche. Meine Eltern schlafen noch. Verständlich um 5 Uhr morgens und ich bin ziemlich neidisch auf die Zwei. Sie liegen in ihrem kuscheligen, warmen Bett, während ich die Kaffeemaschine böse anstarre. Das doofe Ding ist einfach zu langsam für meinen benötigten Konsum.
Ermüdend sehe ich, wie die Maschine Tropfen für Tropfen, meines heutigen Überlebenselixiers in die Kanne abgibt. Ich hole mir alles für ein karges Frühstück aus dem Kühlschrank, setze mich an die Theke und starre wieder gereizt auf die Maschine, welche die Kanne für meinen Geschmack weiterhin viel zu langsam füllt.
Wie ferngesteuert, schmiere ich mir mein Brot und öffne die Instagram App auf meinem Handy, um mir die neuesten Beiträge anzusehen.
Auch die lustigen Sprüche, die meistens voll ins Schwarze meines Lebens treffen, können mich nicht aufheitern.
Unbewusst verschlinge ich 3 ganze Scheiben Brot, wenn ich nicht aufpasse, kann ich bald zur Schule rollen oder muss Diät halten. Etwas, dass ich so wieso nie durchziehen würde.
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